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Romantikerin in unromantischer Zeit

Für kaum einen anderen Künstler der Nachkriegszeit war die Faschismuserfahrung so prägend wie für Ingeborg Bachmann. Das Leben und Werk der am 25. Juni 1926 in Klagenfurt zur Welt gekommenen Schriftstellerin stand im Schatten einer Jugend im Dritten Reich. Ihr Werk verarbeitet die faschistische Geschichtserfahrung zu einer Kritik einer von der patriarchalischen Machtgeschichte geprägten Sprache.

Von Sibylle Cramer | 25.06.2006
    Als sie im Oktober 1973 in den Flammen starb, die sie mit ihrer brennenden Zigarette im Schlaf entzündet hatte, wussten selbst ihre engsten Freunde nicht, ob ein Selbstmord oder häuslicher Unfall vorlag. Immer schon stand die Existenz Ingeborg Bachmanns auf des Messers Schneide. Zum Ende hin vollzog sich ihr stets gefährdetes Leben in immer geringerer ästhetischer Distanz zu ihrem Schreiben. Die Romantikerin in unromantischer Zeit, die am 25. Juni 1926 in Klagenfurt zur Welt kam, wurde nicht einmal 50 Jahre alt.

    Vier Monate vor ihrem Tod entstand die Aufnahme eines ihrer schönsten, 1964 entstandenen Gedichte "Böhmen liegt am Meer":

    "Liegt Böhmen noch am Meer, glaub ich den Meeren wieder.
    Und glaub ich noch ans Meer, so hoffe ich auf Land. (...)
    Ich will nichts mehr für mich. Ich will zugrunde gehn.
    Zugrund – das heißt zum Meer, dort find ich Böhmen/ wieder.

    Zugrund gerichtet, wach ich ruhig auf.
    Von Grund auf weiß ich jetzt, und ich bin unverloren. (...)"

    Die Spur des Gedichts führt zu Shakespeare, der im "Wintermärchen" Böhmen ans Meer verlegt. Den geografischen Irrtum wendet Ingeborg Bachmann in eine utopische Aussage:

    "Ich grenz noch an ein Wort und an ein andres/ Land, (...)
    ein Böhme, ein Vagant, der nichts hat, den nichts hält,
    begabt nur noch, vom Meer, das strittig ist, Land
    meiner Wahl zu sehen."

    Böhmen ist das unerreichbare Land am Horizont poetischer Verheißungen, das Exil einer ihr orphisches Erbe hütenden Kunst, zu dem nur die Unbedingten Zutritt haben.

    Die Tochter eines Klagenfurter Schuldirektors war eine bewunderte und umworbene Erscheinung auf dem römischen und Berliner, Züricher, New Yorker Schauplatz der internationalen Literaturszene. Die junge Philosophin, die mit Arbeiten über Heidegger und Wittgenstein die philosophische Prägung ihres Werks vorwegnahm, fand schnell Aufnahme im Kreis junger Wiener Autoren um Ilse Aichinger und Paul Celan. Die Übersetzerin Guiseppe Ungarettis und Librettistin des Komponisten Hans Werner Henze überwand mühelos die Grenzen, die die Sprachen und Künste trennen. In einer einfühlsamen Rede zur Verleihung des Hörspielpreises der Kriegsblinden sprach sie 1959 von der Wahrheit, die dem Menschen zumutbar ist, und der Notwendigkeit, als geistbegabte Wesen den Blick auf das Vollkommene, das Unmögliche, das Unerreichbare zu richten.

    Ihren Durchbruch erzielte sie 1952 bei einer Lesung der Gruppe 47 als Lyrikerin, die nach eigenem Zeugnis auf den Saiten des Lebens den Tod spielte, weil sie das Leben als Falle erlebte. Die Gedichte der Bände "Die gestundete Zeit" und "Anrufung des großen Bären", 1953 und '56 erschienen, verschmelzen den Jargon der Straße, die Alltagsphrase, den Werbespruch mit klassischen Mittelmeerlandschaften und Hymnen an Sonne und Meer. So laden sie das unlebbare, erlittene, aber nüchtern in Augenschein genommene Hier und Jetzt symbolisch und metaphysisch auf.

    Dem Unsagbarkeitston der Lyrik stellte sie in den 60er Jahren eine Prosa an die Seite, die das weltverändernde Projekt einer unbedingten Liebe verfolgte, Liebe als widerspruchsfreie Form des Fühlens. Den Erzählungsband "Das dreißigste Jahr", 1961 veröffentlicht, beschließt ein Abgesang der weiblichen Figur an die Welt der Männer. Er präludiert das Thema der nachfolgenden Erzählungen, des Romans "Malina" und der Fragmente des geplanten Romanzyklus "Todesarten". Der Zyklus bestimmt das vermeintlich natürliche Reich der Geschlechter in den Kategorien der Geschichtsschreibung als kulturelle Konstruktion, die in zwei Hemisphären zerfällt: die herrschende männliche Rasse der Altenwyls, die in der österreichischen Geistes- und Kulturgeschichte wurzelt, und die weiblich niedere, jüdische, "galicische", der die Opferrolle zufällt. Damit forderte die Autorin eine Kritik heraus, die gewohnt war, Geschlechtlichkeit als biologisches Schicksal zu verstehen. Ungeteilte Zustimmung fand ihre Darstellung sprachlich diskursiver Erfahrung von Geschlechtsidentität aber auf Seiten der Gender-Forschung.

    Das essayistische Werk hält am Befund einer Zeit fest, die in ihren banalen Aktualitäten lebensfeindlich ist und von der Kunst gesprengt werden muss. Deren Gewähr ist das Ich, das Ingeborg Bachmann als Dozentin der Frankfurter Poetik-Vorlesungen feierte:

    "Es ist das Wunder des Ich, dass es, wo immer es spricht, lebt; es kann nicht sterben – ob es geschlagen ist oder im Zweifel, ohne Glaubwürdigkeit und verstümmelt - dieses Ich ohne Gewähr! Und wenn keiner ihm glaubt ... es wird seinen Triumph haben, heute wie eh und je – als Platzhalter der menschlichen Stimme."