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Romantisches Denkmal für die Indianer

Zwei alternde Männer, einer rot, einer weiß, stehen am Ende ohne Familie und Volk da, am Rande einer Zivilisation, die über sie hinweggehen wird. Davon erzählt James Fenimore Cooper in "Der letzte Mohikaner". Jetzt ist der Roman von 1826 in einer vorzüglichen Neuübersetzung wieder aufgelegt worden.

Von Michael Schmitt | 07.05.2013
    Schon James Fenimore Cooper selbst gab unter seinen vielen Büchern nur den fünf "Lederstrumpf"-Romanen, die er zwischen 1823 und 1841 veröffentlicht hatte, eine Chance, über seinen Tod hinaus im Gedächtnis der Leser verhaftet zu bleiben. Und er hat recht behalten, wenn auch um den Preis, dass diese Bücher auf den Status von Schmökern abgesunken sind, wenn nicht gar zu Jugendbüchern. So konnte man es 2001 aus Anlass seines 150. Todestages gelegentlich lesen.

    Lederstrumpf, Falkenauge, Lange Büchse – die Namen von Coopers zivilisationsflüchtigem Helden, dem Jäger, Fallensteller und Kundschafter Natty Bumppo wechseln je nachdem unter welchen Indianern oder Weißen er sich bewegt – lebt weiter in alten entstellenden Übertragungen oder in zusammengestrichenen, auf den abenteuerlichen Plot reduzierten Kurzfassungen. Sie unterschlagen Natty, den naiven Verfechter des einfachen Lebens – wenn man das denn so nennen möchte - genauso wie den philosophischen Schriftsteller James Fenimore Cooper. Sie lassen nichts davon ahnen, dass Cooper mit den "Lederstrumpf"-Geschichten und anderen erfolgreichen Büchern den historischen Roman in der Nachfolge von Walter Scott in den Vereinigten Staaten begründet hat, genauer noch: dass er gezeigt hat, dass amerikanische Geschichte überhaupt ein literarisch ergiebiges Thema sein kann.

    Wer die neue, vollständige und ausführlich kommentierte Übersetzung von Coopers "Der letzte Mohikaner", die Karen Lauer nun vorgelegt hat, in die Hand nimmt, merkt schon bei den ersten langen und kunstvoll gewundenen Sätzen, dass widerstandsloses Schmökern bei dieser Fassung des Romans nicht weit führt, wenn man sich ernsthaft darauf einlassen möchte. "Der letzte Mohikaner" ist sperrig und vielschichtig wie etwa auch der Roman "Moby Dick" von Hermann Melville, der ein ähnliches Schicksal hatte. Aber auf andere Weise: Cooper mischt Traditionen des romantisch gefärbten Gesellschaftsromans, die zuweilen recht süßlich anmuten, mit Episoden aus einer Wildnis, in welcher der feine Schliff eines britischen Soldaten oder die Anmut einer Offizierstochter nur mehr wenig helfen. Und die Grenze zu dieser Wildnis liegt Ende des 18., Anfang des 19. Jahrhunderts noch nahe der Ostküste der USA, ein paar Hundert Kilometer von New York entfernt.

    Dieser Roman setzt auf eine fein gedrechselte Sprache: Die edelsten genauso wie die hinterhältigsten Rothäute klagen oder drohen in blumigen, bildmächtigen Sätzen. Und auch Natty Bumppo, ein sehr rauer, manchmal recht engstirniger Mann philosophiert noch im Angesicht des Feindes in langen Satzperioden – obwohl ihm kaum mehr im Leben zugefallen ist als eine lange Büchse mit gezogenem Lauf und die jahrzehntelange Erfahrung mit dem Leben in den Wäldern und in Gesellschaft von Indianern.

    "Der letzte Mohikaner" erscheint 1826, sechs Jahre nachdem James Fenimore Cooper, der aus einer reichen Familie stammt, das Vermögen aber verliert, als Schriftsteller debütiert hat. Sein Vater hat im großen Stil Land an Siedler verpachtet und am Lake Otsego die Gemeinde Cooperstown gegründet. Cooper selbst, 1789 geboren, fährt als junger Mann zur See, dient in der britischen Marine, versucht sich als Siedler, schreibt seinen ersten Roman als plumpe Kopie englischer Gesellschaftsromane. Erfolg hat er erst 1820 mit dem historischen Roman "The Spy" und 1823 mit dem ersten Lederstrumpf-Roman, "Die Ansiedler", der von genau so einer Siedlung erzählt, wie sein Vater eine gegründet hat – und davon, dass ein Mann wie Natty Bumppo dort nicht leben kann und nach Westen ausweicht.

    Mit dem "letzten Mohikaner" feiert Cooper 1826 dann seinen größten literarischen Erfolg. Cooper selbst nennt das Buch einen "Bericht", da die Geschichte in die kolonialen Auseinandersetzungen zwischen Engländern und Franzosen im Siebenjährigen Krieg eingewoben wird in die Ereignisse rund um Belagerung, Eroberung und Zerstörung des britischen Forts William Henry am Lake George durch den französischen Oberkommandierenden Montcalm im Jahr 1757. Natty, der Kundschafter, sein indianischer Freund Chingachgook und dessen Sohn Uncas – der letzte Nachfahre der alten Häuptlinge der Mohikaner – werden in diese Kämpfe verstrickt, als sie die beiden Töchter des Kommandanten von Fort William Henry und deren Begleiter, den britischen Offizier Duncan Heyward aus einer Falle des listigen und skrupellosen Huronen Magua retten.

    Ungeachtet seiner Ansprüche auf Nüchternheit nimmt Cooper sich aber erhebliche Freiheiten bei der Schilderung der Ereignisse und auch bei der Darstellung der Indianer, denen er in diesem Roman breite Aufmerksamkeit schenkt. Es gilt als sein Verdienst, als Erster so eingehend über deren Sitten und Schicksal geschrieben zu haben – obwohl er nachweislich die Geschichte der Stämme und auch die ihrer Parteinahmen für Engländer oder Franzosen teilweise verwirrt und vor schlimmen Klischees nicht zurückschreckt, wenn er jene "Wilden" beschreibt, die im Roman die wesentlich "Bösen" sind.

    Aber: Er setzt ihnen dennoch ein romantisches Denkmal, denn auch der niederträchtigste Hurone leidet an dem einen großen Schmerz, den alle Indianer teilen - an der fortdauernden Vertreibung durch weiße Jäger, Holzfäller und Siedler, denen ein Mann wie der Fallensteller Bumppo als tragische Figur gewissermaßen sogar den Weg ebnet, wenn er ihnen ausweichen möchte. Wenig davon entspringt dabei Coopers eigener Anschauung, denn als er diesen Roman schreibt, leben dort, wo sein Vater eine Gemeinde gegründet hatte, fast nur noch Weiße. Cooper zehrt von literarischen Quellen und Reiseberichten.

    Wenn Karl May zwei Generationen später seinen Old Shatterhand zunächst als Greenhorn nach Nordamerika schickt, dann schon als Eisenbahnarbeiter – weit im Westen, im Land der Apachen. Dazwischen liegt die Eroberung eines ganzen Kontinents – und James Fenimore Cooper ist der trauernde, später zunehmend verbitterte Chronist der frühen Schritte auf diesem Weg. "Der letzte Mohikaner" ist eine abenteuerliche Geschichte, aber den Schilderungen von Zweikämpfen und Schlachten gilt nicht unbedingt Coopers größter Ehrgeiz. Ausgreifende Bilder der unwegsamen Wildnis, kontrastierende Charakterskizzen von Roten und Weißen interessieren ihn mehr, und überall scheint ein Motiv durch, das er dann in Anmerkungen zu einer Ausgabe des Romans von 1831 deutlich heraushebt: Es geht um ein Form von Untergang – und zwei alternde Männer stehen am Ende ohne Familie und ohne Volk da, einer rot, einer weiß, am Rande einer Zivilisation, die über sie hinweggehen wird.

    James Fenimore Cooper: Der letzte Mohikaner. Ein Bericht aus dem Jahr 1757.
    Herausgegeben und übersetzt von Karen Lauer
    Carl Hanser Verlag, München 2013, 656 Seiten