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Romanverfilung "Unterwerfung" im Ersten
Diabolische Monologe

Der Stoff war Sensation und Skandal zugleich: Michel Houellebecq hat 2015 mit seinem Roman "Unterwerfung" über die Islamisierung Frankreichs polarisiert. Nun kommt die Geschichte ins Fernsehen - als ein gelungenes Hybrid aus Theaterinszenierung und TV.

Von Michael G. Meyer | 06.06.2018
    François (Edgar Selge, r.) sitzt auf einem Sofa und hängt an den Lippen von Robert Rediger (Matthias Brandt), dem neuen Präsidenten der Pariser Universität
    François (Edgar Selge, r.) hängt an den Lippen von Robert Rediger (Matthias Brandt), dem neuen Präsidenten der Pariser Universität (rbb/NFP/Stephanie Kulbach)
    Filmszene: "Dass der Gipfel des menschlichen Glücks in der absoluten Unterwerfung besteht."
    Schon die Anfangssequenz des Films wirkt ungewöhnlich: François geht durch die Straßen Hamburgs und spricht mit sich selbst. Das kommt nicht oft vor im Fernsehen, dass die Hauptfigur lange monologisiert. Zu sehr engt diese Erzählform die Dramaturgie ein. Zumal die Hauptfigur in "Unterwerfung" durchaus nicht nur sympathische Züge trägt.
    Verschmelzung von Film und Theater
    Jener François, ein misanthropischer, frauen- und sexbesessener Intellektueller - gespielt von Edgar Selge - hat auch im Fernsehfilm eine starke Wirkung. Dabei bedient sich Regisseur Titus Selge eines Tricks: Viele Szenen aus der gefeierten Hamburger Inszenierung von 2016 hat er in die Verfilmung übernommen. Auch dort war Edgar Selge Hauptdarsteller - man sieht ihn, wie er auf der Bühne vor der Kulisse eines großen, sich drehenden Kreuzes monologisiert.
    Theaterszene: "Gut, für irgendwas im Leben muss man sich ja interessieren. Ich fragte mich nur, wofür ich mich interessieren könnte, falls sich das Ende meines Liebeslebens bestätigen sollte. Da könnte ich vielleicht Weinbau lernen, oder Modellflugzeuge sammeln oder Kronkorken."
    Diese Art des Erzählens, das häufige Hin- und Herschneiden zwischen Film und Theaterinszenierung, kannte man bislang eher von der Bühne, wo Video gern als Stilmittel eingesetzt wird. Doch umgekehrt, ein Film mit Theaterszenen, ist seltenerer Kunstgriff. Lars von Trier drehte 2003 mit "Dogville" einen ganzen Film in einer Theaterdekoration. Regisseur Titus Selge betont, es sei ihm vor allem darum gegangen, Facetten der Figur zu zeigen, die man im Theater allein nicht zeigen kann: "Weil man dafür nah ran kommen muss und weil man dafür hinter den Text gucken muss. Das war die Ausgangsidee, dass man hier bei diesem Stoff und bei so einer Figur, die so sehr von Einsamkeit und von stillen Momenten geprägt ist, dass man da mit dem Film, einer tollen Inszenierung, noch etwas dazugeben kann."
    Von der Realität eingeholt
    Theaterszene: "Im September hatte ich Miriam Lebewohl gesagt. Jetzt war Mitte April, das Studienjahr neigte sich dem Ende zu und ich hatte sie noch immer nicht ersetzt. Dennoch trug ich mich an den Gedanken, Miriam wieder anzurufen. Die Liebe eines Mannes ist ja nichts anderes als die Anerkennung für das ihm bereitete Vergnügen."
    Besonderer Reiz des Films ist natürlich die Deutung der Geschichte nach den Anschlägen auf die "Charlie Hebdo"-Redaktion, den Bataclan-Club und andere Orte. Das habe sowohl die Theaterinszenierung als auch den Film beeinflusst, meint Hauptdarsteller Edgar Selge: "Nach Bataclan war das ein anderes Umgehen mit dem Text als vor der Wahl, als Macron das erste Mal gewählt wurde, es hätte ja auch Frau Le Pen werden können. Die Spannung ist jeweils anders, je nach der politischen Situationen. Das ist das Tolle, wenn man so einen politischen und aktuellen Text hat, dass die Leute auch gemäß der gesellschaftlichen Stimmungslage auf diesen Text reagieren. Und das ist das Tolle an diesem Text, dass er so porös und offen ist, dass er das zulässt."
    Fokus auf die Unterwerfung
    Die Verfilmung nimmt sich ausführlich Zeit, um zum eigentlichen Thema zu kommen: der Unterwerfung. François ist seit längerer Zeit von seinem Job als Uniprofessor beurlaubt und wird plötzlich zu Robert Rediger gerufen. Rediger ist der neue Präsident der islamischen Universität Paris Sorbonne. Er umgarnt François, dass es doch ein reines Glück sei, sich komplett zu unterwerfen, auch einem Glauben. Und doch kommen François Zweifel:
    Filmszene: "Denken Sie, dass ich jemand bin, der zum Islam konvertieren könnte?" / " Ja! Sie sind nicht katholisch, das hätte ein Hindernis sein können, und ich glaube auch nicht, dass Sie ein überzeugter Atheist sind. Echte Atheisten gibt es im Grunde genommen nur wenige." / "Ah, ja?" / "Ja, die wahren Atheisten waren Rebellen. Sie lehnten Gott ab, weil sie den Menschen an seine Stelle setzen wollten. Sie waren Humanisten!"
    Matthias Brandt spielt diesen Robert Rediger mit einer derart überzeugenden, diabolischen Beiläufigkeit, dass man ihm - aber auch Edgar Selge - am liebsten noch sehr viel länger zuschauen würde. Die Verfilmung von "Unterwerfung" ist in ihrer Machart überaus gelungen - ein Film, den man so nicht häufig im Fernsehen zu sehen bekommt.
    "Unterwerfung" - 06.06.2018 um 20:15 Uhr, Das Erste