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Roméo Dallaire: Ich gab dem Teufel die Hand

Zehn Jahre wird es morgen her sein, dass das Massaker vorwiegend an Angehörigen der Volksgruppe der Tutsi in Ruanda begann. Mehr als 800.000 Menschen sollen diesem Völkermord zum Opfer gefallen sein, darunter auch gemäßigte Hutu, die der Ausrottungspolitik des Hutu-Regimes sich widersetzt hatten. Während im Fall des Irak oder Jugoslawiens in Europa und den USA unentwegt die Menschenrechte, gelegentlich sogar der Holocaust, argumentativ bemüht wurden, um den Krieg zu legitimieren, wurde und wird der Völkermord in Ruanda als innerafrikanisches Problem abgetan. Der kanadische General Roméo Dallaire hatte als hochrangiger Militär der Vereinten Nationen rechtzeitig vor den Gefahren in Ruanda gewarnt und die Ereignisse dort genau verfolgt. Mit seiner UNO-Truppe dort waren ihm durch die so oft zitierte 'internationale Gemeinschaft’, die in Wirklichkeit von den Veto-Mächten des Weltsicherheitsrates beherrscht wird, die Hände gebunden worden. Mehrfach war Dallaire Anfang dieses Jahres vor dem Internationalen Ruanda-Tribunal in Arusha, Tansania, als Zeuge aufgetreten. Sein Buch über den Handschlag mit dem Teufel hat in Kanada und darüber hinaus großes Aufsehen erregt.

Von Lothar Baier | 06.04.2004
    Statt für die Massaker, wie es weitgehend üblich ist, schlicht die in afrikanischen Stammeskonflikten schlummernde Gewaltbereitschaft verantwortlich zu machen, geht der aus einer Montrealer Soldatenfamilie stammende, inzwischen pensionierte Berufssoldat Dallaire mit der "Internationalen Gemeinschaft" und den sie tragenden Großmächten, aber auch mit der verkrusteten UNO-Bürokratie, hart ins Gericht. Die UNO war militärisch durchaus vor Ort in Ruanda, als am 6. April 1994 die Maschine des ruandischen Präsidenten Habyarimana über dem Flughafen der Hauptstadt Kigali abgeschossen wurde. Ihre Mission war zuvor mit dem Auftrag entsandt worden, die Einhaltung des 1993 in Arusha zwischen der ruandischen Regierung und der Tutsi-beherrschten Rebellenarmee FPR geschlossenen Friedensabkommens zu überwachen, insbesondere entmilitarisierte Zonen zu kontrollieren. In einem Bürgerkrieg zu intervenieren, gehörte nicht zu ihrem Auftrag.

    Als nach dem - wie inzwischen zweifelsfrei feststeht - vom FPR (Front Patriotique Rwandais) begangenen Attentat auf den die die Hutu-Majorität anführenden Habyrimana überall im Land Gewalt aufflammte, blieb die "internationale Gemeinschaft" untätig: Westliche Regierungen begnügten sich damit, ihre Staatsangehörigen aus Kigali auszufliegen. Tausende ihrer in afrikanischen Nachbarländern stationierte Militärs wurden in ihren Basen zurückgehalten. Nach Ansicht des kanadischen Ruanda-Experten Jerry Kaplan hätten sie, rechtzeitig in Marsch gesetzt, die ganzen Massaker verhindern können.

    Dabei hatte die UNO-Mission in Ruanda schon vorher bei der UNO-Zentrale in New York Alarm geschlagen. Wie ihr Kommandant Dallaire mitteilt, war seine Mission bereits Monate vor dem Anschlag auf den Präsidenten von ruandischen Informanten darüber unterrichtet worden, dass eine mit der Regierungsarmee des Präsidenten verbündete irreguläre, bewaffnete so genannte "Dritte Kraft" Massaker an der Tutsi-Bevölkerung plante, ja, ihr waren sogar die Standorte geheimer Waffenverstecke mitgeteilt worden. Der General ersuchte die UNO-Zentrale um Erweiterung seines Mandats, damit sein Kontingent die legale Möglichkeit erhielt, die Waffenlager im Handstreich auszuheben. Die Autorisierung jedweder Aktion, die über reine Selbstverteidigung hinausging, wurde Dallaire jedoch verweigert. Seinen dringenden Bitten um Entsendung zusätzlicher Einheiten nach Ruanda wurde ebensowenig entsprochen, auch dann nicht, als der Massenmord im Gang war.

    Nicht zum ersten Mal werden die USA, Großbritannien, Frankreich und die ehemalige Kolonialmacht Belgien ihrer Untätigkeit wegen hart kritisiert. Zum ersten Mal jedoch ist zu erfahren, auf welch schäbige Weise diese Länder sich um wirkungsvolle Hilfeleistungen herumdrückten. Als die USA gebeten wurden, eines ihrer mit Störsender ausgerüsteten Spezialflugzeuge zu entsenden, damit der zum Abschlachten der Tutsi-Bevölkerung hetzende Extremistensender "Radio des Mille-Collines" zum Schweigen gebracht werden könnte, wurde die Bitte von Washington mit Hinweis auf die hohen Kosten abgewiesen.

    Des Lobes voll ist General Dallaire in seinem Bericht dagegen für die seinem Kommando unterstellten Soldaten aus einem Drittweltland, dem westafrikanischen Mali, die jedoch fast ohne Ausrüstung, vor allem ohne Fahrzeuge, in Kigali eingetroffen waren. Andere UNO-Soldaten jedoch, berichtet er, sabotierten absichtlich die zur Verfügung gestellten leichten Panzer, um nicht an riskanten Einsätzen teilnehmen zu müssen. Nachdem die MINUAR genannte Mission von der "internationalen Gemeinschaft" dringend die Anlieferung geländegängiger Fahrzeuge verlangt hatte, ließen die USA sich gerade dazu herab, seit den fünfziger Jahre in Deutschland eingemottete uralte gepanzerte Kisten nach Ruanda zu transportieren. Teilweise waren sie nicht mehr fahrtüchtig, teilweise brachen sie beim ersten afrikanischen Schlagloch zusammen.

    Die damals von Präsident Clinton regierten USA wollten, wie neben dem kanadischen General auch andere Beobachter erkannten, um keinen Preis mehr in afrikanische Angelegenheiten verwickelt werden, nachdem sie sich ein halbes Jahr zuvor in Somalia bei ihrer kläglich gescheiterten Operation "Restore Hope" die Finger verbrannt hatten. Großbritannien verhielt sich auch damals schon, wie später in Sachen Irak, als folgsamer Gehilfe Washingtons. Von der den Menschenrechten in aller Welt sonst so sehr ergebenen Bundesrepublik Deutschland schweige des Sängers Höflichkeit im afrikanischen Zusammenhang.

    Harte Worte findet der gebürtige frankophone General aber auch für die Regierung Frankreichs. Als diese schließlich mit großer Verspätung, aber mit umso mehr Fernseh-Pomp ihre "Operation Türkis" getaufte Ruanda-Aktion startete, blieb dem militärischen Kontingent nicht viel mehr übrig, als mit ihren Bulldozzern Leichenhaufen in Massengräber zu schieben. Staunend stellte der kanadische General fest, dass sich unter den Offizieren der französischen Abteilung eine Reihe jener Militärs befanden, die eine Zeit zuvor die Kader der völkermordenden Hutu-Armee trainiert hatten. Der Bock war demnach zum Friedhofsgärtner gemacht worden.

    Allerdings nicht ganz zufällig, wie der perfekt zweisprachige, deshalb mit den verschiedenen Seiten gut kommunizierende Kanadier Dallaire erkannt hat. Mit den Verantwortlichen der heute in Kigali regierenden Patriotischen Front Ruandas verstanden sich die Franzosen schon wegen der Sprache schlecht, weil sich die aus dem anglophonen ugandischen Exil zurückgekehrten Kader der Tutsis weitgehend des Englischen bedienten. Ein rein Hutu-beherrschtes Ruanda war ihnen also auch aus kultur-strategischen Gründen lieber, weil mit den französischsprechenden Hutus die Reihen ihres "Frankophonie" genannten postkolonialen Pseudo-Imperiums verstärkt worden wären.

    Nachzutragen bleibt noch, dass Roméo Dallaire nach seiner Rückkehr aus Ruanda unter der Last der Erfahrung des mitangesehenen Horrors und der erlittenen Hilflosigkeit völlig zusammenbrach und versuchte, sich umzubringen - ein unter abgebrühten Berufsmilitärs sicher seltenes Phänomen. Er musste lange Zeit psychiatrisch behandelt werden. Die Niederschrift seines Buchs war offenbar Teil seines langwierigen Heilungsprozesses. Wünschenswert wäre, dass seine erschütternde Chronik eines angekündigten und nicht verhinderten Genozids früher oder später ins Deutsche übersetzt wird.

    Roméo Dallaire: Ich gab dem Teufel die Hand. Die englische Version: "Shake Hands with the Devil", ist bei Random House, Kanada erschienen, die französische "J'ai serré la main du Diable" bei der Éditions Libre Expression, Outremont/ Québec. Es hat 684 Seiten und kostet 36,95 kanadische Dollars. Und ein weiteres Buch möchte ich Ihnen an dieserStelle empfehlen, ein Buch, das sich ebenfalls mit der ruandischen Katastrophe auseinandersetzt, die eine ganze afrikanische Region in den Krieg gestürzt hat. Der Band heißt Ruanda, Nichts getan, nichts gesehen, nicht darüber reden aus dem Verlag Schmidt von Schwind in Köln, herausgegeben von Georg Brunold, Andrea König und Guenay Ulutuncok. Das Buch vereinigt Reportagen und interessante Analysen von zehn internationalen Autoren, Wissenschaftlern und Journalisten mit vielen großformatigen Farb-Photos, darunter einige, die die Grausamkeit des Genozids ahnen lassen. Schon auf dem Titelbild sieht man ein kleines Mädchen, das die Ermordung seiner ganzen Familie überlebt hat, im Gesicht gezeichnet durch einen Machetenhieb, der auch ihm eigentlich den Kopf abtrennen sollte. 111 Seiten hat dieses informative und ansehenswerte Buch für 25 Euro.