Donnerstag, 28. März 2024

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"Romeo und Julia" am Berliner Staatsballett
Berühmte Liebesgeschichte mitreißend getanzt

Der Ballett-Klassiker "Romeo und Julia" zur Musik von Sergej Prokofjew steht am Ende einer unvollendeten Amtszeit. Der Spanier Nacho Duato kehrt dem Berliner Staatsballett damit nach vier Spielzeiten vorzeitig den Rücken. Und die Bilanz seiner Intendanz fällt durchwachsen aus.

Von Elisabeth Nehring | 30.04.2018
    Nacho Duatos "Romeo und Julia" am Berliner Staatsballett
    Nacho Duatos "Romeo und Julia" am Berliner Staatsballett (Staatsballett Berlin / Fernando Marcos Ibanez)
    Julia fegt über die Bühne. Das lose, weiße Kleid bauscht sich wie schäumendes Wasser um sie herum. Ihre Arme wirbeln nach allen Seiten, ihre Sprünge wirken, als führe sie einen Veitstanz aus. Die Verzweiflung dieser jungen Frau, die einen ungeliebten Mann heiraten soll, spricht aus jeder Bewegung, aus jeder Faser ihres Körpers. Getanzt wird die Partie der Julia bei der Premiere von Polina Semionova, Dauergastsolistin am Staatsballett und jüngste Berliner Kammertänzerin. Unzweifelhaft ist die Semionova eine der ausdrucksstärksten, natürlichsten und anmutigsten Tänzerinnen, die Berlin derzeit zu sehen bekommt. Ob sie in der Choreografie Nacho Duatos Neugierde, Entzücken oder Verzweiflung tanzt – ihre spitzenschuh-befreite Julia ist in jedem Moment mitreißend und glaubhaft.
    Gastsolist tanzt den Romeo
    Auch die anderen Rollen sind überzeugend besetzt: Aurora Dickie und Alexej Orlenco als ausdrucksstarke Eltern Capulet, Arshak Ghalumyan als herausfordernder Mercutio und die wunderbare Beatrice Knop – leider etwas unterfordert – in der Charakterrolle der Amme Julias. Warum aber Nacho Duato die zweite Titelrolle mit einem Gast besetzt hat, bleibt rätselhaft. Zwar macht Ivan Zaytsev vom Michailowski-Theater aus Sankt Petersburg als Romeo seine Sache an der Seite Polina Semionovas gut. Aber man fragt sich, warum Duato in dem großen, sehr guten Staatsballett-Ensemble keinen Solisten finden konnte, der die Rolle bei der Premiere hätte übernehmen können.
    Begleitet von einer engagierten, stellenweise aber auch fast bäuerisch klingenden Staatskapelle macht der Noch-Hausherr aus der berühmtesten Liebesgeschichte der Welt ein romantisches Handlungsballett – mit moderner Bewegungssprache interpretiert und direkt und unverschlüsselt erzählt. In guten Momenten übersetzt die Choreografie das innere Drama der Figuren in mitreißenden, äußeren Aufruhr. In weniger guten wird die Aufmerksamkeit mit ins Halbdunkel getauchten, langatmigen Szenen sediert.
    Durchwachsene Gesamtbilanz mit unsäglichen Ausrutschern
    In diesem Nebeneinander von mehr oder weniger Gelungenem, aber auch in der Einladung des Gastes für die Titelrolle, liegt etwas Symbolisches, das – frei assoziiert – für die gesamte Amtszeit Nacho Duatos stehen kann: Auch in der Gesamtprogrammation gab es ganz schöne Aufs und Abs – ohne, dass Duato dem Staatsballett je zu wirklichem Glanz verholfen hätte. Seine ältere Arbeiten wie "Dornröschen" oder auch "Romeo und Julia" hätte man in einer guten Mischung durchaus würdigen können, wären da nicht die unsäglichen Ausrutscher der jüngeren Produktionen des Chefs gewesen – man denke nur an die Premiere von "Erde" im letzten Jahr. Insgesamt aber stand auf dem Spielplan vor allem viel zu viel Duato, und auch die begrüßenswerten Einladungen an Choreografen wie Hofesh Shechter und Ohad Naharin konnten das nicht ausgleichen.
    Was sich aber im Resümee als stärkster Eindruck nach vorne drängt, ist die fehlende Identifikation Nacho Duatos mit dem Staatsballett. Als hätte die öffentliche Skepsis, die ihm zur Begrüßung entgegenschlug, den spanischen Künstler nachhaltig verschreckt, wirkte er in der Rolle des Intendanten von Anfang an leicht angemüdet. Ein großes Ensemble wie das Staatsballett aber braucht eine andere Leitung – mit zupackender Energie und einem sicheren Gespür, wie man Tradition und State of the Art im Rahmen eines Spielplans geschickt miteinander verbindet. In diesem Sinne ist es wirklich Zeit, den programmatischen Dämmerzustand, in dem nicht alles schlecht, aber auch nichts wirklich überragend war, zu beenden und besseren Zeiten entgegenzuhoffen.