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Rootsmusiker Christopher P. Stelling
Reisender Troubadour

Christopher Paul Stelling ist ein Vollblutmusiker, der immer unterwegs ist, um seine Musik unter die Leute zu bringen. Der in Florida geborene 33-Jährige ist ein Virtuose auf der Gitarre, seine Stimme klingt rau und rauchig. In den Songs geht es um die existenziellen Dinge des Lebens, um die Angst, das Scheitern, das Unbekannte.

Von Jan Tengeler | 10.01.2016
    Ein Mann steht vor der Skyline einer amerikanischen Metropole, in der Hand hält er eine Gitarre.
    Rootsmusiker: Christopher P. Stelling aus Florida. (Jenn Sweeny)
    Musik "Dear Beast"- Christopher Paul Stelling
    In einem seiner jüngsten Videos steht Christopher Paul Stelling ganz allein mit seiner zerschlissenen Gitarre in einer verlassenen Lagerhalle und singt sich die Seele aus dem Leib: ‚Dear Beast' - ‚Geliebtes Tier' sei eine Hymne an die eigene Unzulänglichkeit, so der 33-jährige Mann mit der roten Haarmähne, dem Vollbart und den stechend grünen Augen. Ein Charakterkopf, der auch noch gut aussieht. Ein Musiker, der keinen Grund dafür sieht, der Angst, egal welcher Art, aus dem Weg zu gehen.
    "Jeder kennt Momente der Angst und ich hoffe, dass daraus Mut erwächst. Deshalb bin ich überzeugt, dass es gut ist, sich der Angst zu stellen. Man sollte nicht davor weglaufen, selbst wenn die Angst immer wieder zurück kommt – wie in Wellen. Aber denk daran: jeder kennt das – selbst ein Millionär mit Haus und Familie, Menschen, die ein sicheres Leben haben, werden sich manchmal fragen, ob sie tatsächlich alles richtig gemacht haben. Und ich wette - sogar der US Präsident und der Papst erleben Augenblicke der Angst. "
    Musik "Warm Enemy"- Christopher Paul Stelling
    Als ich Christopher Paul Stelling im Sommer zum Interview traf, spielte er 36 Shows in knapp 40 Tagen. Im gemieteten Auto pendelte der US-Amerikaner zwischen Holland, Frankreich, Deutschland, Italien, Spanien und Osteuropa. Diebstahl, Unfälle und den täglichen Verkehrswahnsinn inklusive.
    "Wenn ich auf Tour bin, dann passiert jeden Tag irgendetwas Verrücktes, meistens auch Unangenehmes, allein schon, weil man 6 Stunden auf der Straße verbringt. Wir wurden ausgeraubt, die Scheibe unseres Autos wurde zerstört, fremde Menschen versuchen Dir von draußen ins Lenkrad zu greifen...oder einfach nur der tägliche Stau, der ganz normale Mist eben. Wenn ich aber über Angst Rede oder auch den ‚warm enemy', den uns so nahen Feind, dann meine ich die Angst vor dem Unbekannten, der Zukunft, dem Schicksal. Wir wissen ja alle nicht, was kommt. Aber wie gesagt: wenn man wachsen möchte, sollte man sich der Angst stellen."
    Rastloses Leben
    Keine Angst vor der Angst, keine Angst, Gefühle auszudrücken und vor allem keine Angst davor, das alles in intensive Songs zu verpacken: vor vier Jahren hat Stelling beschlossen, sich ganz der Musik zu widmen. Seitdem lebt er ein rastloses Leben, tourt pausenlos durch die USA und Europa.
    "Ich werde nicht reich damit, aber es ist immer noch besser als alles andere, was ich bisher gemacht habe. Es gibt Leute, die wollen Musik machen, aber sie denken sie scheitern, also gehen sie zur Uni und haben irgendeinen sicheren Job. Aber daran bin ich gescheitert, als Tellerwäscher und Hilfskoch. Ich habe in allen möglichen Kaschemmen gearbeitet, zwischen meinem 16. und 30. Lebensjahr. Das hier ist alle mal besser. 2012 traf ich die Entscheidung, nur noch Musik zu machen und tausende Kopien meiner Alben pressen zu lassen. Dann musste ich natürlich auch rausgehen und sie unter die Leute bringen. Keiner klopft heute an deine Tür, um sie dir abzunehmen. Und jetzt bin ich unterwegs und denke mir: für andere Menschen ist das teuer bezahlter Urlaub."
    Musik "Castle"- Christopher Paul Stelling
    Christopher Paul Stelling, dessen Vorfahren übrigens aus dem Hamburger Vorort Stellingen stammten, wurde 1982 in Florida geboren. "Ein seltsamer Ort, um groß zu werden", erzählt er im Rückblick, "der nur aus Strand oder Sumpf" bestehe. Noch als Teenager beginnt er, ruhelos durch die Vereinigten Staaten zu ziehen: Colorado, North Carolina und Washington, Boston und Seattle, viel länger als 6 Monate hält er es an keinem Ort aus. Zwischen seinen Jobs frönt er seinem Hobby – dem Lesen der großen Werke der Weltliteratur und er übt so oft es geht auf der akustischen Gitarre. Seine Vorbilder sind Bluesmusiker wie Skip James oder Mississippi John Hurt, Banjospieler wie Roscoe Holcomb und Meister des Finger-Picking Styles wie John Fahey. - die Gitarre wird stets gezupft, wobei der Anschlag so kräftig ist, dass die Fingernägel regelmäßig mit viel Kleber zusammengehalten werden müssen –In dieser Stilistik hat es Stelling mittlerweile zu großer Meisterschaft gebracht. Nicht minder beeindruckend ist seine kraftvolle Stimme, in der sich Sorge und Hoffnung, Whiskey, Rauch und Honig die Waage halten. 2012, mittlerweile hat er sich in New York niedergelassen, veröffentlicht Stelling sein Debütalbum ‚Songs of Praise and Scorn' – ‚Lieder von Lob und Verachtung', über das die Presse wohlwollend berichtet und auch gleich das passende Etikett parat hat: Stelling sei genau das, was einen eigenständigen, modernen Troubadour heutzutage ausmache.
    Musik" Solar Flares"- Christopher Paul Stelling
    Rund 500 Shows hat Stelling gespielt, seitdem er vor gut drei Jahren Profi wurde. Er tourt mehr oder weniger ganzjährig durch die USA und Europa, immer unterwegs, um seine Musik unter die Leute zu bringen. Ein Singer-Songwriter im Folkgewand oder - wie in der Presse oft zu lesen ist - ein moderner Troubadour. Im ursprünglichen Sinne ist das ein Künstler, der sich sowohl in der Musik wie in der Poesie gut auskennt, ein Lied-Erfinder.
    "Ja, die Leute sagen, ich sei ein Troubadour – ich mache Musik und fahre herum. Diese Einschätzung ist besser als diese ganzen musikalischen Klassifizierungen. Troubadour bezeichnet einen Lebensstil und weniger einen Musikstil, damit kann ich mich anfreunden.Es ist eine kreative Beziehung, die zwischen dem Reisen und der Musik besteht. Einerseits werden meine technischen Fähigkeiten als Musiker immer besser. Andererseits sind meine Songs das einzige, auf das ich mich wirklich verlassen kann. Das ist mein zu Hause. Der Rest ändert sich ja täglich. Ich kann mir nicht vorstellen, was morgen sein wird und erinnere mich kaum an das, was gestern war. Es ist eine einzige große Inspiration aus der immer neue Songs entstehen. Sie sind das Destillat, in dem es aber nicht um meinen Lebensstil geht, sondern um die Fülle und Probleme des Lebens, um religiöse und spirituelle Dinge, die uns alle betreffen. Denn ein echter Troubadour hat etwas zu sagen: er singt nicht über sein tolles oder anstrengendes Leben auf der Straße, sondern über das, was die Leute wirklich beschäftigt."
    Musik "Free To Go"- Christopher Paul Stelling
    "Free to go" - ein Song, in dem auch die ganze Verzweiflung und Wut mitschwingt, die ein ruheloses Leben auf der Straße mit sich bringt. Ein Stück aus Stellings zweiter CD 'False Cities'. Das Gitarrenspiel reichert er auf seinen Alben immer wieder mit Fiddel und Perkussion an, manchmal auch mit Kontrabass und zweiter Stimme. Auch ‚On the Road' ist er nicht immer Solo. Auf seiner letzten Tour durch Deutschland ließ er sich zumindest bei einigen Songs von seiner Freundin begleiten, wie hier beim Soundcheck zum Stück ‚Motherless Child'.
    "Ich liebe es, zu reisen, Menschen zu begegnen, neue Orte zu entdecken und es funktioniert ganz gut: die Leute fragen mich, ob ich nicht auch bei ihnen spielen möchte, so eine Einladung nehme ich immer gerne an. Jetzt lebe ich dieses Leben, denn die Songs trage ich schon lange in mir. Ich habe als Kind angefangen in der Kirche zu singen, in der Schule und im Theater. Mit 13 habe ich Gedichte geschrieben und versucht, eigene Lieder zu komponieren. So kam die Sache langsam ins Rollen und jetzt ist es mein Job, den ich übrigens mit der gleichen Gewissenhaftigkeit ausübe, wie andere ins Finanzamt gehen. Ich stehe auf, frühstücke, fahr zum nächsten Gig, unterhalte die Leute, trinke ein paar Bier und lege mich schlafen. Der Ablauf ist immer der gleiche."
    Musik "Take"- Christopher Paul Stelling
    Hard Work, schwere Arbeit – so hieß dieser Song von Christopher Paul Stelling. Vor allem auf Tour leiste er diese harte Arbeit, denn die ständigen Wechsel seien sehr anstrengend. Dabei singt er über das, was uns alle beschäftigt. Er tut es aber nicht im schönen Elfenbeinturm der Kunst, seine Kunst selbst ist das pure Leben, der Schweiß, die Tränen, der Dreck, die Schwerstarbeit. Fast selbstverständlich, dass das Interview zu dieser Sendung in seinem Auto stattfand, das von der lange Reise etwas mitgenommen wirkte. Kein Zufall vielleicht, dass schräg gegenüber ein Nagelstudio seine Dienste anbietet. Auf seiner akustischen Gitarre bewegt sich Stelling schnell wie ein Wiesel und kraftvoll wie ein Bär, seine Fingernägel sehen dementsprechend aus.
    "Die bestehen nur noch aus Plastik und Sekundenkleber. Die sind wirklich hart, aber dann brechen sie wieder und ich muss das irgendwie kleben. Da drüben an der Straßenecke ist ein Nagelstudio, ich glaube, da muss ich morgen früh mal hin. Wenn man jeden Abend spielt, dann machen die Nägel irgendwann nicht mehr mit. Also muss man sie ersetzen."
    Musik "Death Influence" -Christopher Paul Stelling
    Death of Influence – ein Song aus der jüngsten CD von Christopher Paul Stelling mit dem Titel ‚Labour against waste', die im Juni 2015 in Deutschland erschienen ist. Es ist sein drittes Album, stilistisch wieder zwischen Country, Folk, Blues und Americana, wieder mit der Stimme und der Akustikgitarre im Zentrum und vorsichtig angereichert mit ein paar anderen Instrumenten. Nicht zuletzt wieder mit einer Eindringlichkeit, die seinesgleichen sucht. "Man könne vor Bewunderung nur den Kopf schütteln, wie jemand so anspruchsvolle Gitarrenparts spielen und gleichzeitig eine ganz andere Melodie dazu singen kann," schreibt ein US-amerikanisches Musikmagazin über seine Fähigkeiten und fügt hinzu: er habe "auch nicht vergessen, nur einen einfachen Akkord zu spielen, wenn der Song es verlangt." Apropos Song, apropos Stückeschrieben – kommt er überhaupt noch dazu, wenn er immer unterwegs ist?
    "Ich habe schon jetzt ein weiteres, fertig produziertes Album in der Schublade. Wenn ich fahre - oder abends nach dem Gig - kommen mir eine Menge Ideen, die ich alle noch nicht benutzt habe – ich schreibe eigentlich immer. Kollegen von mir haben für solche Fälle immer ihr Notebook dabei. Aber Willi Nelson hat einmal gesagt: wenn eine Songidee es wert ist, erinnert zu werden, dann erinnerst du dich auch daran. Was meistens stimmt. Jedenfalls in meinem Falle, es ist für mich das leichteste der Welt. Wenn ich etwas einmal auf der Gitarre gespielt habe, vergesse ich nie wieder. Dafür kann ich mir keine Telefonnummern merken und auch nicht, dass ich meine Steuererklärung noch machen muss. Aber Musik, die Mechanik eines Songs, Melodie, Harmonie, Rhythmus? Kein Problem, das passiert alles im gleichen Teil meines Gehirns."
    Musik "Too Far North" - Christopher Paul Stelling
    "Ich schreibe die Lieder für mich selbst. Wenn es Anderen gefällt – schön, das freut mich und ich biete sie gerne an. Aber ich würde sie auch schreiben, wenn ich keine Hörer hätte, das steht nicht im Mittelpunkt meines Interesses. Es ist also eigentlich keine Popmusik, in der es ja nur darum geht, dem Publikum zu gefallen. So denke ich nicht."
    Christopoher Paul Stelling schreibt Musik für sich selbst und um der Musik willen. Er schielt nicht auf Erfolg oder Massengeschmack. Er spielt für 500 Leute beim Newport Folk Festival oder für fünf in irgendeiner Kaschemme im Mittleren Westen oder in der Mitte des Ruhrgebiets. Dort ist er übrigens auch demnächst wieder zu hören, wenn er nämlich im Februar 2016 auf Deutschlandtour kommt. Ihn umweht der herbe Charme des einfachen, musizierenden Wanderarbeiters. Aber im Gespräch macht er auch deutlich, wieviel Kunstfertigkeit und philosophischer Tiefgang hinter seiner Arbeit als Musiker, Komponist und Poet steckt.
    "Du fragst mich, ob ich religiös bin, ob ich an Gott glaube... Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Aber ich denke viel darüber nach und die Frage taucht immer wieder in meinen Texten auf. Es ist ja an sich ein beruhigender Gedanke, dass da jemand ist, der über uns wacht. Aber ich versuche der Unsicherheit Stand zu halten; es erfordert einigen Mut, zu sagen: ich weiß es nicht und niemand kennt die Antwort. Denn was ich immer sage oder glaube, das Gegenteil ist stets direkt zur Stelle. In meinen Songs versuche ich immer beide Seiten einzunehmen. Ich wechsle immer die Perspektive, ich setze verschiedene Brillen und unterschiedliche Masken auf. Das ist das Schöne am Schreiben – es muss ja nicht biographisch sein, es kann fiktional sein. Es kann eine Parabel oder eine Geschichte sein, die all dieses Ebenen einbezieht."
    Musik "Revenge"- Christopher Paul Stelling