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Rosa-Luxemburg-Stiftung
Linke Gretchenfrage

Am Wochenende diskutierte die Links-Partei auf Einladung der ihr nahe stehenden Rosa-Luxemburg-Stiftung in Berlin ihre Haltung zur Religion. Besonders intensiv wurde um das Verhältnis zu den Kirchen gerungen. Die Teilnehmer entdeckten dabei viele Gemeinsamkeiten zwischen Linken und Gläubigen an der Basis.

Von Benjamin Dierks | 29.01.2018
    Protestshirt "Antifasistische Kirchen" gegen den Auftritt der AfD-Politikerin Anette Schultner beim Kirchentag am 25.05.2017 in Berlin
    Muss genauer hingesehen werden? Viele Linke stehen Kirche und Religion insgesamt kritisch gegenüber, es gibt aber auch Ausnahmen. (imago stock&people)
    Nun sag, wie hast Du's mit der Religion? Die Linke stellt sich die Gretchenfrage: Ist Religion allein Privatsache? Wie strikt muss die Trennung von Staat und Religion sein? Stehen dem Islam gleiche Rechte zu? Und steht der Klerus an der Seite der Unterdrücker oder sind Kirchen Verbündete im Kampf um Befreiung? Am Wochenende haben die Partei und die ihr nahestehende Rosa-Luxemburg-Stiftung in Berlin ihre Haltung zu Kirchen und Gläubigen und deren Verhältnis zum Staat diskutiert.
    "Ein beachtlicher Teil interessanterweise gerade der westdeutschen Mitglieder der Partei Die Linke kommen aus christlichen Zusammenhängen, die teilweise sehr konservativ, teilweise repressiv erfahren wurden von ihnen. Die haben eine Trennungsgeschichte hinter sich. Das ist anders in den ostdeutschen Bundesländern, was die Parteimitglieder betrifft, die kommen eher sowieso schon aus atheistischen Zusammenhängen, die haben ein viel entspannteres Verhältnis zu Religion typischerweise", sagt Michael Brie, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Rosa-Luxemburg-Stiftung, der einst Professor an der Humboldt-Universität war, aber als ehemaliger Stasi-IM abgewickelt wurde.
    Hin und Her auf dem Parteitag
    Dass die Linke jetzt über ihr Verhältnis zu Religion diskutiert, hat einen konkreten Anlass: Unter anderem hatte auf dem Parteitag im vergangenen Juni eine Hamburger Stadtteilgruppe zu später Stunde einen Antrag eingebracht, der das Ende aller Staatsverträge mit den Kirchen forderte. Der Antrag wurde zunächst knapp angenommen, am nächsten Tag aber von einer Mehrheit revidiert. Aufgeschreckt von der Härte der Forderungen, die auch ein Ende etwa der Gefängnis- oder Krankenhausseelsorge implizierten, stieß der Parteivorstand die aktuelle Debatte an und setze eine religionspolitische Kommission ein.
    "Die Qualität dieser Anträge zum Laizismus, ist ja legitim zu stellen, aber die fanden zum Teil auf einem Niveau statt, wo wir sagten, das reicht nicht aus, um solide über diese Themen sprechen zu können", sagt Cornelia Hildebrandt. Sie ist Referentin für Parteien und soziale Bewegungen der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Um das Niveau zu heben, brachte die Stiftung Wissenschaftler, Politiker sowie Vertreter von Christentum, Islam und der humanistischen Weltanschauung zusammen. Und die fanden mehr Verbindendes als Trennendes zwischen Linken und Gläubigen, wie Michael Brie feststellt:
    "Im Christentum gibt es eine ganz klare befreiende Botschaft: Kümmere Dich um deinen geringsten Bruder, deine geringste Schwester. Das ist eine Befreiungsgeschichte. Im Islam, was wir fast ignorieren, gibt es die Vorstellung, dass wir uns um die Gemeinschaft kümmern müssen. Im Judentum gibt es eine Sklavenbefreiungsgeschichte. Das sind doch alles Punkte, die uns geradezu aufrufen, da zusammenzuwirken."
    Abrüsten bei der Religionskritik?
    Beide Seiten sollten sich zum Ziel setzen, die Welt gemeinsam zu verbessern, sagte Brie, und stieß auf Kirchenseite auf Zustimmung. Die Zusammenarbeit klappe in konkreten Projekten wie etwa im Kampf gegen Kinderarmut schon ganz gut, pflichtete Oberkirchenrat Martin Vogel bei, Länderbeauftragter der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, der als christlicher Schüler in der DDR verfolgt wurde. Er mahnte die Linke aber zu mehr Verständnis für die Kirchen.
    "Mein Wunsch an die Linke wäre, bei der Religionskritik abzurüsten, denn ich erlebe schon einige Zusammenhänge, wo ich dann höre von Mitgliedern der Linkspartei: 'Ja ich verstehe gar nicht, warum hier über Städtebauförderung geredet wird und warum jetzt auch an die Dorfkirche gedacht wird'."
    Rhetorisch etwas kürzer treten sollten aber auch die Kirchen, hieß es auf dem Podium. Was das Verhältnis von Kirche und Staat angeht, forderte Frieder Otto Wolf, den Staatsvertrag zu reformieren, sodass er auch den Islam und andere Weltanschauungen einschließe. Der Honorarprofessor für Philosophie an der Freien Universität Berlin war bis September Präsident des Humanistischen Verbands Deutschlands.
    "Das muss auf einer Ebene der Gleichheit anstelle der bisherigen Diskriminierung der nichtchristlichen und Privilegierung der christlichen Kirchen treten."
    Wie kontrovers das Thema in der Linken ist, zeigte sich an Reaktionen aus dem Publikum. Da wurde die DDR zur Friedensmacht erklärt, weil sie den Klerus entmachtet habe, und die bundesdeutsche Kirche verurteilt, weil sie Auslandseinsätze der Bundeswehr absegne. Ohnehin werde sie "vom Kapitalismus umklammert". Eine Diskutantin wurde versöhnlicher:
    "Die Kirche besteht auch aus oben und unten, aus den Herrschenden und denen, die unten unterdrückt werden oder denen, die Gutes tun oder nicht."
    Die Grenze verläuft demnach also nicht zwischen den Weltanschauungen, sondern zwischen oben und unten. Vielleicht ist das eine Formel, die ins linke Weltbild passt.