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"Rose Bernd" in Salzburg
Wiederentdeckung eines Dramas

Zwingend wie ein antikes Drama zeigt die Inszenierung von Hauptmanns "Rose Bernd" in schlesischem Dialekt eine Tragik-Maschine in voller Fahrt und schöner Klarheit. Regisseurin Karin Henkel hat einen Schatz gehoben und ein Denkmal inszeniert.

Von Karin Fischer | 30.07.2017
    Szene aus Rose Bernd 2017: Lina Beckmann (Rose Bernd), Maik Solbach (August Keil), Gregor Bloéb (Arthur Streckmann) auf der schwarzen Bühne.
    "Rose Bernd": Drama mit einer herausragenden Lina Beckmann, die sich zu Beginn stark wähnt und am Ende wie zu Tode gehetzt aufgibt. (Salzburger Festspiele / Monika Rittershaus)
    Um es vorweg zu nehmen: Diese Premiere war triumphal, wie man das nicht allzu oft erlebt. Sie wurde zum Triumph des Theaters, weil das Künstlichste zum Lebendigsten wurde, Hauptmanns schlesischer Kunst-Dialekt. Zum Triumph der Schauspieler, die mit ihm leidende und liebende Menschen erschufen. Und zum Triumph der Regisseurin, die einen Schatz gehoben hat und noch etwas ganz anderes vermochte: ein Denkmal zu inszenieren.
    Die Bühne ist ganz schwarz und von einem Stahlskelett überwölbt wie das Innere eines Bergwerks. Auf dem Boden dicke Bohlen aus Holz zwischen schwarzen Parzellen mit Kies, die alles darstellen: Kirche, Hof, ein Grab, das Haus des Dorfschultes.
    Taubenschläge, Sensen und eine vornehmlich in schwarz gekleidete Gesellschaft markieren die alte Zeit. Die Inszenierung ist wuchtig und bildmächtig choreografiert, immer wieder finden sich Gruppen im Chor zusammen oder zum stummen Gebet; als Roses Geschwisterschar treten sechs wasserstoffblond perückte Mädchen auf; die Frau des Dorfschultes sitzt wie gelähmt in einem viel zu kleinen alten Sprossenbett, eine Schar junger Männer schleift rhythmisch die Sensen.
    Das sind starke Bilder für Gruppendruck und Bedrängnis, enge und soziale Kontrolle einer armen Gesellschaft mit starren Regeln, die eine Frau auf keinen Fall brechen darf. "Christus ist das Haupt des Mannes, der Mann aber das Haupt der Frau. […] Von der Frau kommt der Anfang der Sünde und durch sie sterben wir alle."
    Mit Naturalismus hat das alles aber nichts zu tun, wie auch die Sprache ja erst entschlüsselt werden muss. Rose: "Was geschehen ist, bereu i nit. Aber es kann o wirklich so nimmer gehen." Flamm: "Dumm wie ne Gans, wenn's donnert. Heiraten aus Mitleid!"
    Zu Tränen rührende Inszenierung
    Lina Beckmann erscheint absurd zugehängt mit Trachtenkleid und Kranz und Troddeln wie eine Kuh beim Almabtrieb. Rose Bernd will sich von ihrem Liebhaber, dem Dorfschulte Flamm verabschieden und den verkrüppelten August heiraten. Nicht nur wäre die Familie abgesichert: Rose ist schwanger und muss heiraten. Als sie vom Maschinisten Streckmann erpresst wird, nimmt das Drama seinen Lauf, das mit einem Meineid und der Tötung ihres Kindes enden wird. Diese Inszenierung zeigt eine Tragik-Maschine in voller Fahrt und schöner Klarheit, zwingend wie ein antikes Drama.
    Dazwischen liegt das grandiose Spiel eines großartigen Ensembles mit Markus John als herzensgutem Dorfschulte, der aber gern auf die Natur des Mannes verweist. Julia Wieninger als seine kranke Frau ist das menschliche Kraftzentrum der Inszenierung. Klarsichtig, strategisch, als Einzige nicht dumm oder verbohrt. Michael Prelle als Vater Bernd ist Protestant und engstirnig und kann nicht anders; er wird nur noch übertroffen von einem dauerzuckenden Maik Solbach als August, der sich religiös verstiegen und dabei extrem leidensfähig gibt.
    Der andere Außenseiter ist Gregor Bloéb, sein erpresserischer Streckmann ist ein tumber Proll im RTL-Format, der Roses Vergewaltigung noch in Verliebtheit umdeutet! Und wir sehen eine herausragende Lina Beckmann, die sich zu Beginn so stark wähnt und am Ende wie zu Tode gehetzt aufgibt. Ihr Gesicht spricht von Treuherzigkeit und Angst, von Trotz und Scham, von Traurigkeit und Verzweiflung so kompliziert und beredt wie die ungewöhnlichen Laute, die aus ihrem Mund kommen: "Du host a Verbrecha an mir beganga. Der Herrgott wird di bestrafa." - "Da lass mer's eben drauf ankomma."
    Wir sehen ihre ganze Entwicklung von Entschlossenheit über Bedrängnis über Verweigerung bis hin zur Bitte um Barmherzigkeit, die von Vater und Mann ganz verschieden beantwortet wird: "Du darfst an nichts anderes denken als ans ewige Leben, dass du dereinst vor dem Richter stehen wirst." - "Man kann ja auch woanders leben."
    Es sind diese winzigen Spielräume, die Gerhart Hauptmann seinen Figuren eröffnet, die aus einem gewöhnlichen Sozialdrama - schwangere Mädchen sterben ja immer auf der Bühne, siehe Maria Magdalena, siehe Gretchen - eine vielschichtige Erzählung jenseits jeder Schuldzuweisung machen.
    Man könnte daraus lernen, dass religiöse Konflikte heute auch komplexer sind als gewöhnlich angenommen. Aber das ist was für nach dem Erwachen aus dieser bezwingenden und zu Tränen rührenden Inszenierung, die glücklicherweise in der neuen Spielzeit auch am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg zu sehen ist.