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Rosemarie Trockel in Bregenz
"Märzschnee und Weiberweh"

Sie malt nicht, sie zeichnet und schafft Installationen und Objekte, Raumgefüge. Die international bedeutende deutsche Künstlerin Rosemarie Trockel wurde mit Strickbildern bekannt. Im Kunsthaus Bregenz hat Rosemarie Trockel auf Ort und Regionalkultur reagiert.

Von Christian Gampert | 30.01.2015
    Gleich im Erdgeschoß wird eine graue Herdplatte als Sonne inszeniert, Titel: "Sunset", digitaler Pigmentdruck auf Aluminium, in Plexiglas gerahmt; limitierte Auflage, Preis 4.800 Euro. Wer sich nicht wehrt, landet hinterm Herd, das war die Parole der 80er-Jahre, als Studentinnen im Seminar provokant mit Strickzeug erschienen und das unheimlich feministisch fanden; wer sich aber wehrt, landet offenbar im Museum. Und auf dem Kunstmarkt.
    Rosemarie Trockel gehört neben Richter, Polke und Bruce Nauman zu den bestbezahlten Künstlern weltweit. Die Strickliesl des deutschen Kunstbetriebs, die Herdplatten-Amazone hat es geschafft - und wenn dann auf der Bregenzer Pressekonferenz auch noch angekündigt wird, dies sei "jetzt die letzte Ausstellung", die nächsten sieben Jahre bis zu ihrem 70. Geburtstag wolle Rosemarie Trockel nur noch arbeiten, überläuft uns dann doch ein angstvoller Schauder: was, sieben dürre Jahre ohne Strickbilder?
    Natürlich ist auch diese Ankündigung eine PR-Strategie, die die Bregenzer Schau aufwerten soll. Trockel zeigt hier neueste Arbeiten, die oft nur noch wenig mit hausfraulichen Tätigkeiten zu tun haben. Der erste Stock ist absolut enttäuschend: eine Vielzahl nichtssagender Digitaldrucke, Fotos von Schornsteinen, deren Backsteine quasi gehäkelte Muster bilden, ein quergelegtes Bild von Günter Netzer, Karin Baal kommt vor und Jeff Koons, ein Kreuzfahrtschiff, eine Strandpromenade, eine Schwangere, die sich selbst inspiziert, eine amerikanische Stretchlimousine, Toreros und Strumpfhosen - dieses Sammelsurium soll ein verfremdetes Tagebuch sein, grau gerahmte Banalität vor den grauen Wänden des Kunsthauses.
    Der zweite Stock ist lichter und minimalistischer: große, längliche Sitzmöbel im leeren Raum, skulpturale, in ihrer theatralen Präsenz wunderbare, in Stahl gegossene Riesensofas, rostig-ockerfarben das eine, mit wildem Schwarz bemalt das andere. Eine Mischung aus Franz West und Richard Artschwager, Wartemöbel, Krankenliegen, konzeptuell-streng und doch persönlich. Denn so etwas hat Trockel auch zu Hause, auf dem Sofa sitzt sie nicht nur, dort stellt sie probeweise auch ihre Werke auf. Und das schwarze Tuch, über eine tiefliegende Tischplatte gebreitet, ist das Leichentuch ihrer Mutter. Aber in einer Ecke gibt es dann wieder ein buntes Allerlei mit abstrakten Streifenbildern, so ähnlich machen das auch Bridget Riley und Gerhard Richter, nur dass Trockel als gute Farbfeld-Feministin Wolle verwendet, Acrylwolle, die Fäden werden aufgetackert.
    Schnipp, schnall, Schwanz ab
    Im dritten Stock schließlich das ganz Neue, das, weshalb wir gekommen sind: Trockel interessiert sich für Volkskunde. Sie hat eine Unisex-Puppe mit schwarzer Bregenzer Tracht ausstaffiert und zentral in den existentialistisch-kahlen, abgedunkelten Raum gestellt. An den Wänden bizarre Skulpturen, Abgüsse von Fleisch, von Schweinebauch und Rinderzunge, von Tier-Herzen und Extremitäten, die manchmal mit tickenden Uhren zu einem Ensemble verbunden sind. Die Zeit läuft, das Fleisch ist sterblich. Die Trachten-Frau in der Mitte aber ist hart im Nehmen, gemäß einer Weisheit aus dem Bregenzer Wald - sie erzählt von "Märzschnee und Weiberweh", was aber der Bregenzer Kurator Rudolf Sagmeister viel besser aussprechen und erklären kann als wir.
    "Märzeschnee und Wiberweh sand am Morge niamme meh" – das heißt eben, dass der Frauenschmerz und der Schnee, der im März fällt, wenn schon Frühling ist, am nächsten Morgen schon verschwunden sind. Was eine ironische Brechung ist, wenn Rosemarie Trockel diesen Titel nimmt.
    Die schwarz gekleidete Frau - ist es Trockels Alter Ego? - trägt eine schusssichere Weste, große Lockenwickler und einen gefältelten schwarzen Trachtenrock, der aber hinten geschlitzt ist, sodaß darunter - Überraschung - Strapse sichtbar werden. Das scheint ein Angebot. Auf dem Rücken dann aber alle möglichen Schutz-Amulette, Wolfszähne, Krötenköpfe. Auf dem Kopf balanciert die Figur, in der Tradition afrikanischer Frauen, eine Schüssel, in der ziemlich viele abgeschnittene Gamsbärte liegen, das Männlichkeits-Symbol der Jäger, das die sich normalerweise an den Hut stecken. Schnipp, schnapp, Schwanz ab, sagte die Frauenbewegung. Rosemarie Trockel weiß, woher sie kommt.