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Rossini in schwarz-weißer Stummfilmästhetik

Bisher sind bei der Rossini-Stiftung in Pesaro 32 Bände erschienen. Und die Forschungsergebnisse zu Erstfassungen und Varianten werden auch auf die Bühne gebracht und damit überprüft – jedes Jahr beim Rossini-Opern-Festival in Pesaro.

Von Dieter David Scholz | 13.08.2012
    Aller Augen und Ohren richteten sich zu Beginn des diesjährigen Rossini Opera Festivals in Pesaro auf die Oper "Ciro in Babilonia", die dort zum ersten Mal aufgeführt wurde, wo man in 33 Spielzeiten nun alle Bühnenwerke Rossinis - bis auf ein noch ausstehendes Stück - auf die Bühne gebracht hat. Diese jüngste Ausgrabung hat Rossini als Auftragswerk für Ferrara 1812 komponierte, für die "Quaresima", also die Fastenzeit, in der man weltliche Oper nicht aufführen durfte und deshalb Oper als szenisches Oratorium deklarierte. Und man um eine große biblische Episode herum eine Handlung baute, die allerdings alle opernspezifischen Ingredienzien aufwies. Im Mittelpunkt der Oper steht die unverbrüchliche Liebe des persischen Königs Kyros zu seiner Gattin Amira. Eine Partie, wie gemacht für die polnische Sängerin Ewa Podles, die nach Marilyn Horne heute einzige wirkliche Rossini-Kontraaltistin.

    Dass die Neuproduktion des "Ciro in Babilonia" im schönen alten Teatro zu einer Sternstunde wurde, verdankt sich nicht nur der fulminanten Gesangskunst von Ewa Podles und eines um sie herum gruppierten tadellosen Sängerensembles sowie des sehr animiert spielenden Orchesters des Teatro Comunale di Bologna unter Will Crutchfield. Auch die Inszenierung des Turiner Regisseurs Davide Livermore mit ihrer beeindruckenden Kreuzung von Kinosaal und Opernhaus in schwarz-weißer Stummfilmästhetik der 20er-Jahre wurde zum umjubelten Publikumserfolg. Ein ironisch gebrochenes Schauvergnügen als dreidimensionale, von den Videodesignern D-WOK perfekt animierte Projektion. Ein Wunder an optischer Täuschung und kostensparend, was wichtiger denn je ist in Pesaro. Der hochbetagte künstlerische Direktor des Festivals von Anbeginn, Alberto Zedda, beklagt, wie sehr auch in Pesaro an der Kultur gespart wird.

    "Heute verfügen wir nur noch über die Hälfte der Summe, die uns noch vor sieben Jahren zur Verfügung stand. Früher konnten wir uns kostspielige Bühnenbilder leisten, heute müssen wir versuchen, sie durch kostengünstige Ideen zu ersetzen."

    Wegen dieses Sparzwangs gibt es in diesem Jahr neben "Ciro in Babilonia" nur noch eine Neuproduktion der Farca "Il Signor Bruschino". Man gibt konzertant Rossinis "Tancredi" allerdings in erstklassiger Besetzung und man zeigt noch einmal die erfolgreiche Produktion der Oper "Mathilde di Shabran" mit der aufstrebenden Sopranistein Olga Peretyatko und dem Rossini-Startenor Juan Diego-Florez.

    Auch, wenn das Rossini Opera Festival in seinem 33. Jahrgang mehr denn je unter finanziellen Problemen leidet, kann es doch in 13 Tagen 31 Veranstaltungen anbieten: Lesungen, Einführungen, Konzerte und Opernaufführungen. Das Paradoxe: Obwohl der Etat schrumpft, wächst das Publikumsinteresse. Weil das Festival unverwechselbar ist und man in Pesaro eben den "ganzen" Rossini geboten bekommt. Und das auf höchstem Niveau. Alberto Zedda:

    "In dem Moment, in dem wir die Qualität absenken müssen, schließen wir. Wir wollen nicht unter ein gewisses Niveau absinken. Dekorationen können einfacher werden, aber musikalisch halten wir an unserem Niveau fest, ja wir steigern es sogar, da wir heute viel leichter als früher wundervolle Rossini-Sänger finden."

    In der Accademia Rossiniana, einer beispiellosen Karriereschmiede des Belcanto, zieht Alberto Zedda sich seinen sängerischen Nachwuchs heran. In diesem Jahr präsentiert sich die Accademia mit einer eigenen Produktion von "Il viaggio a Reims". Auch, wenn der Adriastrand am Geburtsort Rossinis in diesem Jahr aufgrund der auch bei den Touristen spürbaren Finanzkrise leerer, dabei die Hitze extremer als sonst ist: Die Reise zum Rossini-Festival hat sich auch in diesem Jahr wieder gelohnt. Und das unverwechselbare Festival beweist auch 2012, dass es weltweit die Nummer Eins ist in Sachen Rossini.