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Rot-Rot-Grün im Bund
"Wir sind von einem Mitte-Links-Bündnis noch sehr weit entfernt"

SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann hat sich skeptisch über ein Bündnis mit der Linkspartei nach der Bundestagswahl 2017 geäußert, dieses aber nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Eine Regierung müsse aber eine verantwortungsvolle Europa- und Außenpolitik gewährleisten, sagte er im DLF. In dem Punkt wisse er nicht, wo die Linkspartei im Augenblick stehe.

Thomas Oppermann im Gespräch mit Frank Capellan | 09.10.2016
    SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann.
    Der SPD-Fraktionsvorsitzende Thomas Oppermann Oppermann sieht Chancen, dass die SPD mit einem Linksbündnis im kommenden Jahr den Kanzler stellen könnte. (pa/dpa/Kumm)
    Capellan: Thomas Oppermann, es wird noch regiert jenseits des Streites um die Flüchtlingspolitik. Die Große Koalition hat sich zusammengerauft. War das das Signal des Koalitionstreffens zum Ende dieser Woche? Wollte man da zeigen, es geht noch was, ein Zeichen setzen möglicherweise gegen Politikverdruss, gegen politische Unkultur, die ja bei den Einheitsfeierlichkeiten am 3. Oktober in Dresden doch sehr deutlich zutage getreten ist?
    Oppermann: Ich glaube, das beste Mittel gegen Politikverdrossenheit und Populismus ist eine Regierung, die klare und gute Entscheidungen trifft. Wir sind für vier Jahre gewählt und nicht für drei. Und deshalb werden wir auch die verbleibenden Monate dafür nutzen, das Leben der Menschen in diesem Land Stück für Stück zu verbessern.
    Capellan: Warum ist die Stimmung in Deutschland so aufgeheizt? Politiker werden da als Volksverräter beschimpft, Publizisten als Lügner. Mit Argumenten – so scheint es – kommt man da nicht mehr durch. Warum ist das so?
    Oppermann: Einerseits gibt es ein hohes Maß an Unsicherheit bis hinein in die Mittelschichten. Angst vor den internationalen Konflikten. Viele Menschen haben Angst davor, die könnten nach Deutschland rüberschwappen. Viele haben Angst, dass wieder eine unkontrolliert hohe Zahl an Flüchtlingen kommt. Aber all das rechtfertigt natürlich nicht, dass es eine Gruppe von Menschen gibt, wie in Dresden, die demonstrieren. Und wir sind ja zu Recht stolz auf die Meinungsfreiheit und die Versammlungsfreiheit in Deutschland. Aber die haben eben nicht die Meinungsfreiheit genutzt, um die Politik zu kritisieren, sondern das waren handfeste Pöbeleien unter der Gürtellinie. Und dagegen müssen wir alle, insbesondere die Mitte der Gesellschaft, aufstehen. Wir dürfen nicht zulassen, dass unsere Republik kaputt gepöbelt wird.
    Capellan: Wir reden ja da über Pegida-Anhänger. Wir reden aber auch über AfD-Wähler. Wie sollte man mit denen speziell umgehen? Ernst nehmen? Ignorieren? Bloßstellen? Oder denen hinterherrennen?
    "Wer Hass und Hetzbotschaften in die Welt setzt, dem muss man entgegentreten"
    Oppermann: Das große Problem ist ja, dass wir fast nur noch über Pegida und AfD reden. Der Koalitionsausschuss gestern war ja auch eine Möglichkeit, mal wieder über politische Themen zu reden. Aber wir kommen da ja sicher noch drauf. Ich glaube, man muss klar eine Doppelstrategie fahren. Wer die Menschenwürde anderer verletzt, wer Hass und Hetzbotschaften in die Welt setzt, wer rassistisch redet, dem muss man ohne Wenn und Aber entgegentreten. Diese Menschen gehören nicht zu unserer Demokratie. Aber viele sind keine Rassisten. Sie sind verunsichert und haben Angst, und um diese Menschen muss man sich bemühen. Die große Mehrheit der AfD-Wähler würde sicher auch gern eine andere Partei wählen, wenn sie das Gefühl hätte, dass – ich sage mal – die Probleme, die sie bedrängen oder die sie bedrückend empfinden, angepackt werden, wenn wir für Sicherheit sorgen, für soziale Sicherheit, aber eben auch für öffentliche Sicherheit, und wenn wir sozusagen in dieser schwieriger gewordenen Welt mit vielen Konflikten als Regierung es schaffen, stets auch den Eindruck zu erwecken, dass wir die Probleme unter Kontrolle haben.
    Capellan: Ich fragte eben auch nach "Hinterherrennen" mit Bezug auf die AfD, weil das auch dem SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel vorgehalten wird. Stichwort Obergrenze. Er hat dieses Wort, was eigentlich bisher nur von der CSU genutzt wurde, in den Mund genommen, Obergrenzen gefordert. Ist das ein Hinterherrennen mit Blick auf die AfD?
    Oppermann: Nein, ganz im Gegenteil. Sigmar Gabriel hat ja nur auf einen Punkt hingewiesen, dass es selbstverständlich bei der Integration von Flüchtlingen mit Bleiberecht faktische Kapazitäten gibt, die wir schaffen müssen, wenn das gelingen soll. Und …
    Capellan: Aber das heißt doch in der Konsequenz, wenn diese Kapazitäten ausgeschöpft sind, wenn wir nicht mehr Menschen integrieren können, dann müssen wir auch zu einem Aufnahmestopp kommen. De facto wäre das dann schon eine Obergrenze.
    Oppermann: Aber jeder weiß doch, dass wir nicht jedes Jahr eine Million oder 850.000 Flüchtlinge aufnehmen können.
    Capellan: In Rede stehen aber nur 300.000 in diesem Jahr.
    Oppermann: In diesem Jahr sogar weniger als 300.000. Wahrscheinlich werden es eher 200.000. Was ich völlig unverständlich finde, ist, jetzt kommen gar keine Flüchtlinge mehr, aber je weniger kommen, umso heißer wird die Debatte über Obergrenzen geführt. Das macht keinen Sinn.
    Capellan: Also wir können festhalten, für die SPD gibt es keine feste Obergrenze. Da gehen Sie auch konform mit der Bundeskanzlerin?
    "Der Begriff Obergrenze ist in der politischen Kommunikation nicht mehr zu gebrauchen"
    Oppermann: Dieser Begriff ist in der politischen Kommunikation nicht mehr zu gebrauchen. Deshalb lehne ich es ab, diesen Begriff zu benutzen. Selbstverständlich gibt es für uns, wenn wir Flüchtlinge aufnehmen und integrieren wollen, begrenzte Möglichkeiten.
    Capellan: Merkels Beliebtheitswerte sind ganz aktuell wieder gestiegen. Mehr als 50 Prozent der Deutschen sind mit ihrem Kurs zufrieden. Freut Sie das oder macht Sie das eher nervös? Denn die SPD hat ja gesagt: Zum ersten Mal ist die Kanzlerin durch ihre Flüchtlingspolitik auch angreifbar geworden. Steht das jetzt wieder auf dem Spiel für die Sozialdemokraten?
    Oppermann: Ich glaube, man muss den langfristigen Trend sehen und darf nicht kurzfristige Stimmungsschwankungen so ernst nehmen. Das kann in der nächsten Woche schon wieder ganz anders sein. Zum einen müssen wir alle darum kämpfen, dass verloren gegangenes Vertrauen von Wählern zurückgewonnen wird. Und die SPD, da bin ich ganz zuversichtlich, wird bei der nächsten Bundestagswahl mit einem attraktiven Programm antreten. Wir setzen auf soziale Sicherheit, auf öffentliche Sicherheit. Wir setzen auf die Gleichberechtigung von Frauen und Männern, und wir werden die SPD als eine Partei, die Friedenspolitik und internationale Deeskalation am besten kann, in dieser Wahl präsentieren. Und ich bin sicher, dass unser Programm attraktiv sein wird und unser Kanzlerkandidat auch.
    Capellan: Kanzlerkandidat – das Stichwort möchte ich jetzt noch nicht aufgreifen. Kommen wir ja gleich noch zu. Gleichberechtigung von Männern und Frauen, Stichwort Lohngerechtigkeit, da ist ja – überraschenderweise, sagen viele – ein Durchbruch möglicherweise gelungen mit Blick auf das, was die Familienministerin Manuela Schwesig vorhat. Die Union trägt offenbar diesen Gesetzentwurf mit. Ist das für Sie ein Zeichen auch dafür, dass die Kanzlerin einfach auch mal wieder Ergebnisse zeigen möchte?
    Gesetz zur Lohngerechtigkeit: "Ich glaube mit diesen Instrumenten schaffen wir es in wenigen Jahren"
    Oppermann: Die Regierung ist darauf angewiesen, Entscheidungen zu produzieren. Und hier haben wir eine Entscheidung produziert, die in der Tat ein Durchbruch ist. Denn in Deutschland verdienen Frauen immer noch 21, 22 Prozent im Durchschnitt weniger als Männer. Und selbst, wenn man die strukturell bedingten Nachteile von Frauen nicht in Rechnung stellen würde, wäre es immer noch eine Lohnlücke von mindestens sieben Prozent. Das ist eine große Ungerechtigkeit. Und wir haben jetzt einen riesigen Schritt gemacht, um diese Ungerechtigkeit zu beseitigen. Vor wenigen Monaten sah es noch so aus, als ob die Union das total blockieren würde.
    Capellan: Es gibt aber auch schon wieder Widerspruch seitens der Union. Da wird gesagt, eine Auskunftspflicht von Frauen für Betriebe ab 200 Beschäftigten: Das war nicht vereinbart! Wir waren im Koalitionsvertrag von 500 Beschäftigten ausgegangen. Unionskollegen von Ihnen sagen, das sei alles mit zu viel Bürokratie verbunden. Also ist das Gesetz wirklich schon in trockenen Tüchern?
    Oppermann: Ich bin ganz sicher, wir haben uns geeinigt. Arbeitnehmer, die in einem Betrieb mit 200 Beschäftigten arbeiten, haben einen Anspruch auf Auskunft darüber, ob sie gerecht bezahlt werden. Und für die Frauen – und das sind allerdings sehr viele –, die in Betrieben unter 200 arbeiten, gibt es einen gesetzlichen Auftrag für die Familienministerin, das sorgfältig zu beobachten und auch weiter Bericht zu erstatten und zu evaluieren, wie man diesen Missstand in kleinen Betrieben beseitigen kann.
    Capellan: Eben! Das heißt ja auch noch lange nicht, was jetzt vereinbart wurde, dass es wirklich zu einer gleichen, fairen Bezahlung von Frau und Mann kommen wird…
    Oppermann: … nicht von einem Tag auf den anderen, aber wir haben jetzt Instrumente mit dem Auskunftsanspruch, aber auch für die großen Unternehmen ab 500 Arbeitnehmer. Da gibt es ein betriebliches Prüfverfahren und eine Berichtspflicht. Ich glaube, mit diesen Instrumenten schaffen wir es in wenigen Jahren "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit" in Deutschland herzustellen.
    "Eine steuerfinanzierte Rente würde auch die Großverdiener an der Finanzierung unserer Altersvorsorge stärker beteiligen."
    Capellan: Geht noch mehr? Stichwort Rente – da wird an einer Rentenreform gearbeitet. Sie haben gesagt, man sollte die aus dem Wahlkampf heraushalten. Glauben Sie, dass das noch gelingen kann?
    Oppermann: Wir haben ja bei der Rente im Koalitionsvertrag vereinbart, dass wir eine Mindestrente, eine Rente für jahrzehntelang beschäftigte Arbeitnehmer schaffen wollen, damit sie am Ende deutlich mehr haben, als nur die Grundsicherung im Alter. Wir haben die Betriebsrente vereinbart. Da sind wir fast fertig. Eigentlich ist ein Haken dran. Wir haben die Rentenangleichung Ost/West. Andrea Nahles hat einen Vorschlag gemacht…
    Capellan: …bis 2020 soll das geschehen…
    Oppermann: Wir haben das große Problem: Wie geht es weiter mit dem Sicherungsniveau bei der Rente? Das liegt im Augenblick bei 47,5 Prozent. Wenn wir nichts tun, dann wird es im Jahre 2045 bei 41 Prozent liegen. Und jetzt geht es um die Frage: Gibt es eine Haltelinie? Und es geht um die Frage: Können wir all diese Punkte noch in dieser Wahlperiode schaffen? Können wir nur kleine Würfe machen? Oder können wir in einem großen Entwurf auch über die Sicherung des Rentenniveaus eine Regelung treffen, die das Thema aus dem Wahlkampf herausziehen würde? Ich glaube, ein Wahlkampf, wo es einen Überbietungswettbewerb gibt über unbezahlbare Lösungen, wäre für unsere Demokratie am Ende nicht gut.
    Capellan: Es geht aber auch um einen Generationenkonflikt. Der SPD gerade wird auch immer wieder vorgehalten, sie habe zu wenig die Interessen der Jüngeren im Blick. Sie haben in der Tat in der Großen Koalition viel für die heutigen Rentner getan. Angleichung der Ost-West-Renten – das steht noch aus. Die Mütterrente, die Rente mit 63. Aber die Jüngeren, heute noch Arbeitenden stehen vor dem Problem, mit der Rente möglicherweise nicht mehr leben zu können. Was wollen Sie für die tun? Also: wie weit darf das Rentenniveau beispielsweise sinken?
    Oppermann: Wir brauchen bei der Rente eine ausbalancierte Lösung zwischen den Generationen. Die Rente in Deutschland ist ja ein Generationenvertrag. Und sie ist ja deshalb so stabil und sicher, weil die junge Generation mit ihren Rentenbeiträgen die Renten der älteren Generation finanziert. Jetzt haben wir aber eine Unwucht wegen der demographischen Veränderungen. Ab 2020 gehen die geburtenstarken Jahrgänge, gehen die "Baby-Boomer" in Rente. Und zwischen 2025 und 2045 haben wir eine extrem hohe Zahl an Rentnern und deutlich weniger Arbeitnehmer als bisher, also deutlich weniger Beitragszahler. Ich finde, dieser Konflikt darf auf keinen Fall einseitig zu Lasten der jüngeren Generation gelöst werden.
    Capellan: An welchen Stellstrauben wollen Sie drehen? Es gibt im Grunde nur drei: Andrea Nahles hat schon gesagt, die Beitragssätze müssen steigen. Wir werden möglicherweise weniger haben. Das haben Sie angesprochen. Das Rentenniveau wird wohl sinken. Wir müssen möglicherweise auch länger arbeiten. Sigmar Gabriel, der SPD-Vorsitzende wehrt sich aber ganz aktuell auch gegen Vorhaben der Bundesbank, etwa das Renteneintrittsalter auf 69 Jahre anzuheben. Wohin geht die Reise bei der SPD?
    Oppermann: Nein, bei 67 Jahren muss die Altersgrenze bleiben. Wer schwere körperliche Arbeit leisten muss, wer Schichtarbeit leisten muss, aber auch, wer in den Dienstleistungen, etwa in der Pflege schwere körperliche Arbeit macht, dem kann man nicht zumuten, länger als bis 67 zu arbeiten. Aber es wird viele geben, die fit sind in diesem Alter und die weiterarbeiten können und weiterarbeiten wollen. Wir haben jetzt mit der Flexi-Rente die Möglichkeit geschaffen. Ehrlich gesagt, das ist sogar auch attraktiv, denn mit jedem Jahr, das ich über die Altersgrenze hinaus arbeite, erhöht sich meine Rente insgesamt um sechs Prozent. Die Beiträge dürfen auch nicht in den Himmel schießen, wie es Andrea Nahles zu Recht formuliert hat. Das würde am Ende auch die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft infrage stellen. Die Beiträge werden steigen, aber es muss auch da eine Haltelinie geben. Und dann bleibt der Steuerzuschuss. Ich bin sicher, dass der deutlich steigen wird, um die Renten der Zukunft zu garantieren. Eine steuerfinanzierte Rente würde auch die Großverdiener an der Finanzierung unserer Altersvorsorge stärker beteiligen.
    Capellan: Selbstständige, Beamte, Bundestagsabgeordnete mit einbeziehen in die Rentenversicherung – ist das die Lösung?
    Oppermann: Das ist natürlich langfristig ein vernünftiges Ziel. Nur kurzfristig hilft das auch nicht, denn die Selbstständigen zahlen zunächst Beiträge, aber am Ende müssen sie auch eine ordentliche Rente bekommen. Also sie treten ja nicht nur als Beitragszahler in die Rentenversicherung ein, sondern auch als Leistungsempfänger. Das gilt genauso für Beamte. Wenn man die Beamten in die Rentenversicherung holen will, muss man die Verfassung ändern. Dafür sehe ich im Augenblick leider nicht die notwendige Mehrheit im Bundestag und im Bundesrat.
    Chancen für Rot-Rot-Grün: Die Linke ist bereit in eine Regierung einzutreten
    Capellan: Das Interview der Woche im Deutschlandfunk heute mit dem SPD-Fraktionsvorsitzenden Thomas Oppermann. Herr Oppermann, Dietmar Bartsch, der Chef der Linksfraktion im Bundestag, hat zum Ende dieser Woche gesagt: "Wir brauchen eine große Rentenreform." Wir haben gerade darüber gesprochen, was da noch gehen würde. Sie haben sich da eher skeptisch geäußert, was gehen würde mit der Union. "Wir brauchen auch eine große Steuerreform. Und all das kann man nur mit einem Mitte-Links-Bündnis erreichen." Rot-Rot-Grün – ist das die Zukunft auch aus Sicht des SPD-Fraktionsvorsitzenden?
    Oppermann: Wir sind grundsätzlich bereit, mit allen demokratischen Parteien mit Ausnahme der rechtspopulistischen und rechtsextremen Parteien über Koalitionen zu reden, auch mit der Linkspartei. Und, wenn jetzt Dietmar Bartsch klar sagt, dass seine Partei bereit ist, in eine Regierung einzutreten, dann finde ich, ist das bemerkenswert.
    Capellan: Warum ist denn die Linkspartei auf einmal regierungsfähig aus Ihrer Sicht? Wir haben alle noch viele führende Sozialdemokraten im Ohr, die gesagt haben, gerade mit Blick auf die Außenpolitik geht das überhaupt nicht mit den Linken. Ich habe auch im Ohr, Sigmar Gabriel als Parteichef, der im vergangen Jahr noch gesagt hat, wir müssen uns um die arbeitende Mitte kümmern. Da war von Linksbündnissen eigentlich keine Rede. Ist das jetzt alles auch eine Folge des Vormarsches der AfD, dass Sie über Linksbündnisse so offensiv nachdenken?
    Oppermann: Ich glaube, dass wir von Rot-Rot-Grün, von einem Mitte-Links-Bündnis noch sehr weit entfernt sind. Aber es muss ja auch der Wille zu einer gemeinsamen Regierung da sein. Und da fand ich die eindeutige Äußerung von Dietmar Bartsch schon bemerkenswert, dass er gesagt hat, die Linke ist bereit in eine Regierung einzutreten. Und das hat bestimmt auch damit zu tun, dass das politische Geschäftsmodell für die Linken nicht mehr funktioniert. Das Geschäftsmodell als Protestpartei geht zu Ende. Die Linke hat Konkurrenz bekommen. Viele Wählerinnen und Wähler der Linken wandern zur AfD ab. Da sind die Linken nicht die Einzigen, aber sie sind besonders stark davon betroffen. Und das könnte ein Grund dafür sein, dass die Linke jetzt vielleicht doch bereit ist, stärker Verantwortung zu übernehmen. Aber wir müssen eine verantwortungsvolle Europa- und Außenpolitik gewährleisten. Und da weiß ich nicht, wo die Linkspartei im Augenblick in Wirklichkeit steht.
    Capellan: Ist die Linkspartei zu NATO-feindlich und zu Russland-freundlich?
    Oppermann: Ich glaube, dass Dietmar Bartsch und Gregor Gysi die Europäische Union kritisch würdigen, dass aber Sahra Wagenknecht wieder gesagt hat, sie will Zuständigkeiten der Europäischen Union renationalisieren. Oskar Lafontaine will gar zu nationalen Währungen zurückgehen. Das wäre mit der SPD nicht zu machen. Und ich muss sagen, was unsere Verankerung im westlichen Bündnis betrifft, ich bin unheimlich froh, dass wir – anders als in der Weimarer Republik oder im Kaiserreich – im westlichen Wertesystem eindeutig verankert sind. Und deshalb müssen wir auch die gemeinsamen Beschlüsse der NATO mittragen. Und wir können nicht in einem Mitte-Links-Bündnis jedes Mal eine Grundsatzdebatte mit einer Regierungskrise haben, sondern sie müssen handlungs- und entscheidungsfähig sein. Und deshalb sage ich ganz klar, die Linke muss diese Fragen für sich klären.
    Capellan: Nun war es allerdings gerade auch ein Sozialdemokrat – Frank-Walter Steinmeier, der Außenminister – der gewarnt hat, was wir jetzt nicht brauchen in diesen unruhigen Zeiten, ist "Säbelrasseln und Kriegsgeheul", und er hat das auf die NATO bezogen. Das haben viele auch verstanden als Anbiedern in Richtung Linkspartei. War es wirklich so gemeint?
    Oppermann: Deutschland steht für eine Außenpolitik, die auf Ausgleich setzt, auf Deeskalation, auf die Entschärfung von Konflikten und nicht auf Aufrüstung oder Säbelrasseln. Das versteht sich von selbst. Aber, wenn wir im Bündnis Entscheidungen getroffen haben, dann müssen die eben auch umgesetzt werden. Und da kann sich die Linkspartei dann nicht sozusagen dagegenstellen und eine ganze Regierung blockieren. Das würde im Alltag nicht funktionieren.
    Capellan: Die Linke drängt auch auf weitere Gespräche mit Wladimir Putin. Kann man mit dem russischen Präsidenten noch reden? Die Amerikaner sagen gerade, es geht nicht mehr wegen der Beteiligung und der Mitverantwortlichkeit an Kriegsverbrechen in Syrien. Das sagt zum Beispiel auch Norbert Röttgen, der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, gerade so – "Putin ist mitverantwortlich für Kriegsverbrechen in Syrien". Sehen Sie das auch so?
    Oppermann: Auf jeden Fall ist das, was in Syrien passiert, was in Aleppo passiert, mit der Kategorie "Kriegsverbrechen" richtig beschrieben. Wir haben ja auch im Koalitionsausschuss mit Frank-Walter Steinmeier eine Stunde lang über die grauenhafte Situation in Aleppo diskutiert und was man machen kann.
    Capellan: Ja, was kann man machen? Was folgt daraus? Im Gespräch sind gerade verschärfte Sanktionen. Die SPD hatte bisher eigentlich über einen Abbau der Sanktionen gegenüber Russland nachgedacht.
    Oppermann: Ich würde jetzt keine schnellen Maßnahmen dieser Art empfehlen, sondern wir müssen jetzt gucken, wie wir sowohl Putin als auch die Amerikaner wieder zur Aufnahme von Gesprächen bringen können. Es muss eine Feuerpause erreicht werden, um Menschen mit Lebensmitteln, mit Trinkwasser und Medikamenten in Aleppo versorgen zu können. Und da muss Europa auch sein Gewicht einbringen. Die Weltgemeinschaft darf nicht zuschauen, wie Tag für Tag die Menschen in Aleppo weiter abgeschlachtet werden.
    Gauck-Nachfolger? Ohne gemeinsamen Kandidaten, Entscheidung erst im dritten Wahlgang
    Capellan: Herr Oppermann, wenn Sie so vehement dafür streiten, es möglicherweise mal zu versuchen mit einem Linksbündnis, die Weichen in diese Richtung zu stellen, warum versuchen Sie es dann nicht – Stichwort Bundespräsidentenwahl – mit einem gemeinsamen linken rot-rot-grünen Kandidaten?
    Oppermann: Nein, ein Bundespräsident, der wird nicht von einer Parteikonstellation gewählt, sondern von der Bundesversammlung. Und es wird auch nur jemand gewählt, der als Persönlichkeit in der Lage ist, alle Gruppen in diesem Land anzusprechen und auch repräsentieren zu können. Wir brauchen einen Bundespräsidenten oder eine Bundespräsidentin, die die Menschen in diesem Land zusammenführt und das Land zusammenhält.
    Capellan: Also einen, der über den Parteien steht?
    Oppermann: Der Präsident muss sein Amt parteipolitisch neutral versehen. Er muss nicht parteilos sein und er muss auch in bestimmten Situationen Partei ergreifen – zum Beispiel, wenn die Menschenrechte bedroht sind, oder wenn es zu Konflikten in dieser Gesellschaft kommt. Aber wir brauchen jetzt einen Präsidenten, der durch seine Persönlichkeit überzeugt und nicht durch die politischen Farben, die hinter ihm stehen bei der Wahl …

    Capellan: …da hätte ich zwei Namen im Angebot: Frank-Walter Steinmeier – da würden Sie mir wahrscheinlich gleich zustimmen – wird allgemein gesagt, ist sehr beliebt in der Bevölkerung, ist präsidiabel. Ein anderer, der spätestens seit dem 3. Oktober verstärkt genannt wird, ist Norbert Lammert, der Bundestagspräsident, ein Christdemokrat, der aber gewissermaßen in Dresden eine Bewerbungsrede gehalten hat – so wird das vielfach gesehen. Steinmeier gegen Lammert – was spräche gegen die beiden?
    Oppermann: Ich will zu konkreten Personalvorschlägen nicht Stellung nehmen. Das ist jetzt auch nicht die richtige Zeit. Ich will nur grundsätzlich darauf hinweisen, wenn jetzt nach einem gemeinsamen Kandidaten gesucht wird, dann darf das nicht darauf hinauslaufen, dass man sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigt. Das wäre ein zu hoher Preis. Die SPD, das haben Sie ja eben schon angedeutet, ist jederzeit in der Lage, eine Person zu benennen, die das Amt ganz hervorragend ausführen würde.
    Capellan: Gut, das wäre Steinmeier. Da sagt die Kanzlerin als CDU-Vorsitzende: "Kann ich nicht durchbringen, mache ich nicht mit." Sie würden möglicherweise das Gleiche sagen bei Norbert Lammert, obwohl er ja Ansehen in allen Fraktionen, also über die Parteien hinaus genießt. Oder sehe ich das falsch?
    Oppermann: Wenn es nicht zu einem gemeinsamen Vorschlag kommen sollte, dann würde das am Ende darauf hinauslaufen, dass alle in der Bundesversammlung vertretenen Parteien eigene Kandidaten ins Rennen schicken und dann würde die Entscheidung wohl erst im dritten Wahlgang fallen.
    Capellan: Und würden Sie das verhindern wollen?
    Oppermann: Das kann man gar nicht verhindern. Wenn es nicht zu einer …
    Capellan: … na, dann können Sie ja mit Steinmeier ins Rennen gehen.
    Oppermann: Wir werden zu gegebener Zeit die Person benennen, die für uns ins Rennen geht. Ich will nur …
    Capellan: …wer entscheidet wann darüber?
    Oppermann: Diese Gespräche führen an der Spitze die Parteivorsitzenden und sie binden dabei die Fraktionen, aber auch die Ministerpräsidenten und die Parteispitze mit ein. Ich rechne damit, dass wir Ende des Monats mit konkreten Gesprächen beginnen werden.
    Zur Kanzlerkandidatur: "Der Parteivorsitzende hat immer den ersten Zugriff"
    Capellan: Lassen Sie uns reden noch über den Kanzlerkandidaten der SPD. Auf die Frage haben Sie sicherlich schon gewartet. Vorausgesetzt, es gäbe eine linke Mehrheit, Sie haben ja selber gesagt, derzeit gibt es die nicht und solange die SPD bei den aktuellen 22 Prozent verharrt, ist es eigentlich nicht in Sicht, wie man, außer mit einer Großen Koalition, weiter regieren könnte. Wäre trotzdem Sigmar Gabriel der richtige Mann, auf diese Mehrheit hinzuarbeiten als Kanzlerkandidat?
    Oppermann: Sigmar Gabriel hat als Vizekanzler, aber auch als Parteivorsitzender einen hervorragenden Job gemacht. Wir werden unsere Kanzlerkandidatur Anfang nächsten Jahres entscheiden. Und dabei hat der Parteivorsitzende immer den ersten Zugriff.
    Capellan: Na, aber immer wieder wird unter Verweis auf anonyme Quellen berichtet, führende Genossen würden inzwischen den scheidenden EU-Parlamentspräsidenten Martin Schulz als SPD-Kanzlerkandidaten favorisieren. Sehen Sie noch ernsthafte Konkurrenz für Sigmar Gabriel?
    Oppermann: Ich glaube, dass wir zu gegebener Zeit einen Vorschlag machen werden, der dann auch breit mitgetragen wird.
    Capellan: Jetzt sind Sie der Frage ausgewichen. Immerhin hat sich der mitgliederstärkste SPD-Landesverband, Nordrhein-Westfalen, schon für Sigmar Gabriel als Kanzlerkandidat ausgesprochen. Sie sind Niedersachse. In Niedersachsen gibt es Vorbehalte gegen Sigmar Gabriel. Woran liegt das?
    "Einen besseren Job als SPD-Fraktionsvorsitzender kann ich mir nicht vorstellen."
    Oppermann: Ich glaube, das muss in internen Diskussionen geklärt werden. Sigmar Gabriel macht, wie gesagt, eine hervorragende Arbeit als Vorsitzender der SPD. Er macht eine hervorragende Arbeit als Vizekanzler und Wirtschaftsminister. Er wird einen Vorschlag machen. Dass er dabei als Parteivorsitzender den ersten Zugriff hat, das ist in der SPD selbstverständlich. Und ich bin sicher, dass hinterher alle hinter diesem Vorschlag stehen werden.
    Capellan: Eine abschließende Frage, Thomas Oppermann, Sie - das ist kein Geheimnis - Sie wären gerne 2013 Innenminister geworden. Sehen Sie sich in einem Jahr auf diesem Posten? Sehen Sie sich als Minister in einem Kabinett Sigmar Gabriel?
    Oppermann: Ich wollte in der Tat Innenminister werden. Und ich finde, dass die Innenpolitik eines der wichtigsten Resorts ist. Und das hat man ja in den letzten drei Jahren gesehen, mit welchen gewaltigen Herausforderungen das verbunden war. Aber ich bin inzwischen mit Leib und Seele Fraktionsvorsitzender und einen besseren Job als SPD-Fraktionsvorsitzender kann ich mir gar nicht vorstellen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.