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Rot-Rot-Grün in Berlin
Bescheidene Bilanz nach 100 Tagen

Von Anfang an war die Arbeit des Rot-Rot-Grünen Dreierbündnisses im Berliner Senat von Problemen überschattet. Angefangen von Personalproblemen, dann die Pannen rund um den Berliner Flughafen und schließlich das Weihnachtsmarkt-Attentat. Dementsprechend durchwachsen fällt die 100-Tage-Bilanz der Regierung aus.

Von Claudia van Laak | 17.03.2017
    Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller (SPD), spricht am 08.03.2017 während eines Interviews in seinem Amtszimmer im Roten Rathaus in Berlin.
    Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller, hat mit vielen Problemen zu tun. (dpa / picture-alliance / Gregor Fischer)
    "Hallo, guten Morgen" - "Na du, hey" - "Gut geschlafen?" - "Hallo, wie geht´s?"
    Abgeordnetenhaus Berlin, Festsaal. An diesem Morgen des 8. Dezember ist die Welt noch in Ordnung. Küsschen hier, Umarmung dort. Die Partei- und Fraktionschefs unterzeichnen den Koalitionsvertrag. Alle, wirklich alle machen Selfies.
    "Wer schickt mir das Bild?" – "Ich!" - "Ich danke Dir!"
    Später dann die üblichen Geschenke für den wiedergewählten Regierenden SPD-Bürgermeister Michael Müller. Die AfD hat sich etwas Originelles ausgedacht. Fraktionschef Georg Pazderski überreicht ein blaues gummiartiges Ding.
    "Ich habe dem Herrn Müller einen Anti-Stress-Ball geschenkt. Weil ich doch denke, dass er in den nächsten Jahren durchaus Stress mit dieser Koalition haben wird. Und da wird er seinen Stress abreagieren."
    Personalie Holm wird zum Problem
    Mit diesem Geschenk war der AfD-Fraktionschef zwar arg um Humor bemüht, er hat zugleich aber auch hellseherische Kräfte bewiesen, hat doch der frisch gewählte Regierende Bürgermeister nur wenige Tage später ein veritables Personalproblem. Die mitregierende Linke hat Andrej Holm zum Staatssekretär für Wohnen gemacht – einen parteilosen Stadtsoziologen, der Hausbesetzungen für eine akzeptable Methode der Wohnungspolitik hält. Holms Umgang mit seiner Stasi-Vergangenheit wird zur massiven Belastungsprobe für das neue Dreierbündnis. Michael Müller reagiert genervt. Von Holm hätte er anderes erwartet:
    "Wenn ich dann in Interviews lese – na, ja das war nicht so schlimm in der DDR, wir konnten Heiner Müller lesen und Westfernsehen gucken - dann wundert man sich. Dann wundert man sich darüber, dass man heute als Erwachsener, nicht als 16- oder 18-Jähriger, sondern heute als Erwachsener nicht anders und sensibler mit dem Thema umgeht."
    Doch wie bereits in der letzten Legislaturperiode zeigt sich der Regierungschef unentschlossen und zögerlich. Die Personalie Holm wird zur Hängepartie, erst Mitte Januar tritt der Staatssekretär zurück, die Linke fühlt sich gedemütigt. Müllers Stellvertreter, der linke Kultursenator Klaus Lederer:
    "Der Wind ist hart, der uns da ins Gesicht weht. Und es gibt durchaus eine Menge Druck, mit dem Versuch, uns überhaupt nicht eine Chance zu geben, bevor wir erst einmal richtig gestartet sind."
    Auch nach der Affäre Holm gibt es kein Durchatmen - die Skandal-Baustelle, die mal ein Flughafen werden soll, macht ihrem Namen wieder alle Ehre. Die Verantwortlichen müssen zugeben: Es wird nichts mit der BER-Eröffnung in diesem Jahr. Wir zählen die fünfte Verschiebung, das Ende ist ungewiss. Der alte Flughafenchef muss gehen, der neue ist ein Müller-Vertrauter mit SPD-Parteibuch – Staatssekretär Engelbert Lütke-Daldrup. Die Opposition ist entsetzt – CDU-Generalsekretär Stefan Evers hätte sich einen Fachmann aus der Wirtschaft gewünscht:
    "Ich glaube nicht, dass es hilfreich ist, dass der Flughafen Willy Brandt aus dem Willy Brandt-Haus der SPD gemanagt wird. Und wenn ich die wiederkehrende Einmischung der Politik als Konstruktionsfehler dieser Flughafengesellschaft begreife, dann muss der radikale Schnitt eher in die andere Richtung gehen. Ich glaube, die Politik ist bemüht, dem Projekt noch den Todesstoß zu versetzen."
    Nächste Bewährungsprobe: Attentat auf Weihnachtsmarkt
    Der BER und die Personalie Holm – die erste rot-rot-grüne Koalition unter Führung der SPD hat hausgemachte Probleme, wird aber auch von außen auf die Probe gestellt, durch das bisher schwerste islamistische Attentat auf deutschem Boden, den Anschlag kurz vor Weihnachten auf dem Berliner Breitscheidtplatz. Das Dreierbündnis zeigt sich geschlossen, verabschiedet als Konsequenz aus dem Attentat ein 45 Millionen Euro schweres Sicherheitspaket.
    Doch die Laune von Michael Müller wird nicht besser, denn sein eigener Fraktionschef fährt ihm in die Parade. Raed Saleh demonstriert seinen Führungsanspruch, indem er dem Senatsbeschluss widerspricht und mehr Videoüberwachung fordert.
    "Die Leute fragen sich zu Recht, ob es noch zeitgemäß ist, so restriktiv wie bisher mit der Videoüberwachung zu sein. Niemand versteht, warum die Videoüberwachung auf Bahnhöfen erfolgreich ist, aber auf kriminalitätsbelasteten Plätzen nicht erlaubt sein soll. Das passt nicht zusammen."
    Der Applaus kommt von der Opposition, und SPD-Chef Michael Müller muss sich fragen lassen, ob er seine Partei im Griff hat. Die ersten 100 Tage waren anstrengend für den Regierungschef, das ist Müller bei jedem öffentlichen Auftritt anzusehen. Der 52-Jährige wirkt noch dünnhäutiger und angreifbarer als sonst. Aus Sitzungen dringt heraus, er habe mal wieder mit seinem Rücktritt gedroht – im Aufsichtsrat der Flughafengesellschaft, im SPD-Landesvorstand, aber auch schon während der Koalitionsverhandlungen. Einfach ist es nicht für die anderen Koalitionäre. Müller fehlt die Souveränität und Leichtigkeit eines Klaus Wowereit. Die Opposition feixt, CDU-Generalsekretär Stefan Evers:
    "Also wenn Michael Müller eines nicht verströmt, dann ist es Lust am Regieren. Die Lustlosigkeit, die er ausstrahlt aus jeder Pore, zeigt schon, dass die ersten 100 Tage dieser rot-rot-grünen Koalition dazu geführt haben, dass er jede Illusion aufgegeben hat, dass sich in dieser Konstellation gut regieren lässt."
    Senatskanzlei will keine 100-Tage-Bilanz ziehen
    Was Michael Müller selbst dazu sagt? Aus der Senatskanzlei heißt es auf Anfrage: Keine 100-Tage-Bilanz, wir haben eine eigene Zeitrechnung. Im Roten Rathaus wird erst im April ein erster Strich unter Rot-Rot-Grün gezogen – hat man sich doch erst im Januar ein 100-Tage-Programm gegeben.