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Rot-Rot-Grün in Thüringen
"Die Zeichen stehen gut"

Die Entscheidung des Thüringer SPD-Landesvorstand, ein rot-rot-grünes Bündnis eingehen zu wollen, hat SPD- Generalsekretärin Yasmin Fahimi ausdrücklich begrüßt. Sie freue sich vor allem, dass es eine einstimmige Entscheidung gewesen sei, sagte sie im DLF. Entscheidend seien die besten inhaltlichen Übereinstimmungen gewesen. Dennoch müsse die CDU auf Bundesebene keine Angst haben.

Yasmin Fahimi im Gespräch mit Silvia Engels | 21.10.2014
    Die Generalsekretärin der SPD, Yasmin Fahimi.
    Die Generalsekretärin der SPD, Yasmin Fahimi. (picture alliance / dpa / Wolfgang Kumm)
    In Thüringen können die SPD-Mitglieder von heute an ihr Votum über die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen abgeben. Der Landesvorstand hatte sich gestern einstimmig für ein rot-rot-grünes Bündnis ausgesprochen.
    SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi sieht gute Gründe für die Entscheidung. Nicht nur inhaltlich sei man sich nahe, auch das persönliche Vertrauensverhältnis sei gut. Sie sei überzeugt, dass auch die knappe Mehrheit mit nur einer Stimme halten werde. Entscheidend seien auch die Erfahrungen mit der CDU aus der letzten Legislaturperiode. In dieser Zeit hätte es an vertrauensbildenden Maßnahmen gefehlt, deshalb sei die Skepsis der Sozialdemokraten an einer guten Zusammenarbeit verständlich.
    Gleichzeitig zeigte Fahimi Verständnis für mögliche Bedenken an dem Bündnis an der Basis. Es gebe Genossinen und Genossen, die unter dem SED-Staat gelitten hätten. Gleichwohl habe gerade der Vorstand der Linken in Thüringen deutlich gemacht, dass sie die DDR als Unrechtsstaat betrachte.
    Eine mögliche Signalwirkung für die Bundesebene sieht die Generalsekretärin nicht. Das eine habe mit dem anderen nichts zu tun, betonte Fahimi. Gerade im Bund seien die Differenzen in der Außen- und Sicherheitspolitik sowie der Wirtschafts- und Finanzpolitik zu groß.

    Das gesamte Interview mit Yasmin Fahimi in voller Länge:
    Silvia Engels: In Thüringen hatte die SPD nach den Wahlen Mitte September zwei Möglichkeiten: Weiterregieren mit der CDU-Ministerpräsidentin Lieberknecht, oder zu versuchen, gemeinsam mit den Grünen die Linkspartei in einer Koalition zu unterstützen und deren Spitzenkandidaten Bodo Ramelow zum Ministerpräsidenten zu wählen. Der designierte Landeschef der SPD, Andreas Bausewein, hat gestern Abend deutlich gemacht, für was sich die Spitze entschieden hat:
    O-Ton Andreas Bausewein: "Wir haben dann nach zwei und einer viertel Stunde abgestimmt und haben dafür gestimmt, den Mitgliedern der SPD zu empfehlen, dafür zu stimmen, Koalitionsverhandlungen mit den Linken und den Grünen aufzunehmen. Die Entscheidung fiel einstimmig, ohne Enthaltung."
    Engels: Soweit der designierte Landeschef der SPD in Thüringen, Andreas Bausewein. - Mitgehört hat Yasmin Fahimi. Sie ist Generalsekretärin der Bundes-SPD. Guten Morgen, Frau Fahimi!
    Yasmin Fahimi: Guten Morgen, Frau Engels.
    Engels: Sie gelten schon länger als jemand, der sich Rot-Rot-Kooperationen durchaus vorstellen kann. Freuen Sie sich also?
    Fahimi: Ich freue mich vor allem darüber, dass der Landesvorstand zu einer so einstimmigen Entscheidung gekommen ist. Ich glaube, das ist ein richtiges Zeichen für die SPD in Thüringen, dass man jetzt hier eine klare Linie verfolgt.
    Eine neue Generation
    Engels: Nicht alle SPD-Mitglieder in Thüringen sind begeistert, auch - wir haben es gerade gehört - wenn es wohl nicht mehr so viele Kritiker gibt. Aber die Kritiker, die es gibt, sind lautstark, beispielsweise Stephan Hilsberg, früherer Bürgerrechtler. Er sagte schon vor einigen Tagen: „Niemals wird Die Linke mit ihrer Verantwortung für Stalinismus, Mauer, Stacheldraht eine normale Partei werden." Kann dieses Spannungsverhältnis in Thüringen noch zu Problemen führen?
    Fahimi: Zunächst einmal habe ich schon großes Verständnis dafür, dass es natürlich eine ganze Reihe von Genossinnen und Genossen in unseren Reihen gibt, die damit ein Problem haben und die natürlich unter dem ehemaligen SED-Unrechtsstaat auch gelitten haben. Insofern kann ich das Misstrauen verstehen, ich kann die Betroffenheit verstehen, und es gilt jetzt umso mehr, Vertrauen zu schaffen in einer solchen Regierungskoalition. Ich finde, dass die Linkspartei hier allerdings ein paar gute Zeichen gesetzt hat. Die Linkspartei in Thüringen hat sich ja eindeutig dazu bekannt, dass sie die DDR als Unrechtsstaat ansieht. Herr Ramelow selber kann ja auch gar keine SED-Bezüge gehabt haben, er stammt selber aus Niedersachsen, und 25 Jahre nach dem Mauerfall ist, glaube ich, jetzt schon noch eine neue Generation auch im Vorstand der Linken und hat sich dort etabliert, mit denen man eine solche Regierungsverantwortung, glaube ich, jetzt schon auch miteinander verantworten kann. Trotzdem wird es jetzt ein Beweis sein der Linkspartei, ob sie tatsächlich auch unter ihrer Führung zu einer solchen Regierung verantwortlich in der Lage ist. Ich denke aber, dass die Zeichen gut stehen, und offensichtlich ist ja die vertrauensvolle Atmosphäre auch sehr positiv gewesen. Das ist ja auch ein Grund dafür, warum sich, glaube ich, die SPD in Thüringen am Ende gegen die CDU entschieden hat.
    Thüringen ist kein Testlabor
    Engels: Aber weil es ja auch viel um Atmosphäre und Stimmung ging: War letztlich nicht Inhalt entscheidend, sondern die Ablösung einer CDU-Ministerpräsidentin für die SPD wichtiger als die Abgrenzung von der Linkspartei?
    Fahimi: Nein, ganz sicher nicht, sondern man hat in der Sache verhandelt und man hat natürlich auch geschaut, wo man die besten inhaltlichen Übereinstimmungen hat. Es ist natürlich nur so, dass die CDU während der letzten Legislaturperiode mit der SPD nicht gerade besonders viele vertrauensbildende Maßnahmen gemacht hat, und insofern, sagen wir mal, nicht nur das Vertrauen nicht da ist, sondern sich auch die Frage gestellt hat, ob dann das eine andere, stabilere Regierung tatsächlich sein könnte. Sie wissen, auch eine CDU- und SPD-Regierung hätten ja nur eine Stimme Mehrheit, und aus unseren Gesprächen wissen wir, dass diese Mehrheit gegebenenfalls in den Reihen der CDU ausgesprochen wackelig ist. Also das kann auch nicht der Grund sein, sondern man hat sich am Ende hier inhaltlich entscheiden müssen, und für mich ist das nachvollziehbar.
    Engels: Na ja! Aber auch eine Ein-Stimmen-Mehrheit in Dreierbündnissen ist immer wackelig. Wie groß ist die Gefahr, dass dieses rot-rot-grüne Projekt ziemlich zügig auseinanderbricht?
    Fahimi: Da gehe ich natürlich nicht von aus, denn Thüringen ist ja schließlich kein Testlabor. Ich gehe davon aus, dass die Verhandlungen und die Verabredungen so klar miteinander sind, dass man auch von einer stabilen Regierung ausgehen kann. Natürlich, es bleibt dabei, da haben Sie Recht: Eine Ein-Stimmen-Mehrheit ist immer eine wackelige Angelegenheit. Das ist aber auch egal, in welcher Konstellation, und umso wichtiger ist es, dass man die Inhalte klar beschreiben kann, auf die man sich verabredet hat, und dass man natürlich auch ein persönliches Vertrauensverhältnis aufbauen kann.
    Engels: Die Frage, die natürlich auf die Bundesebene zielt, ist die: Ist die anstehende Wahl eines linken Ministerpräsidenten Weichenstellung für eine Koalition mit den Linken im Bund nach der nächsten Bundestagswahl?
    Fahimi: Nein, das ist sie selbstverständlich nicht. Es ist Ländersache, da gehört es hin. Wir haben auf Bundesebene eine ganz andere Situation, eine ganz andere Bewertung vorzunehmen. Das hat miteinander rein gar nichts zu tun.
    Engels: Nun werden ja immer außen- und sicherheitspolitische Fragen angeführt dafür, dass man im Bund noch nicht mit den Linken zusammenarbeiten könnte. Ist denn das das einzige Hindernis mittlerweile?
    Fahimi: Na ja, das ist ja schon ein sehr wesentliches. Schließlich geht es hier um die Frage, wie man sich die weitere europäische Einigung vorstellt, und ob die Linkspartei dabei bleibt, Deutschland international isolieren zu wollen. Das sind ja schon sehr wesentliche Fragen. Es geht allerdings darüber hinaus auch um große Differenzen bei der Wirtschafts- und Finanzpolitik. Und ganz ehrlich: Für mich geht es auch darum, dass in der Fraktion der Linkspartei doch eine sehr große Mischung von sehr unterschiedlichen Lagern wiederzufinden ist, die sich zum Teil in Ost und West unterscheidet, und ich sehe dort eine wesentlich geringere Stabilität in der Fraktion, als ich das jetzt in Thüringen sehe.
    Engels: Gestern hieß es aus der Bundes-SPD, um da direkt anzuknüpfen, man hoffe, dass Rot-Rot-Grün „die moderaten Kräfte in der Linkspartei stärken und die Desperados in der Linkspartei ein wenig schwächen würde." Woher schöpft man denn diese Hoffnung?
    Fahimi: Ich weiß jetzt nicht, wessen Zitat das ist.
    Das ist die Realität einer Regierungspartei
    Engels: Das wurde auch nicht bekannt.
    Fahimi: Okay. Dann kann ich dazu auch schlecht etwas sagen. Aber ich kann Ihnen sagen, dass ich der Überzeugung bin, dass es immer für eine Demokratie gut ist, wenn sich die moderaten Kräfte in den Parteien durchsetzen können, und das gilt für die Linkspartei wie für jede andere Partei auch.
    Engels: Ist es aber nicht wahrscheinlicher, dass eine Partei wie die Linkspartei, die ja jetzt auch durchaus in der Tat Flügelkämpfer hat, die nun in der Regierung Kompromisse schließen müsste, an der Basis Unmut hervorruft und die stärkt, die die reine Lehre verlangen? Soll ja die SPD auch schon mal erlebt haben.
    Fahimi: Nun, das ist die Realität einer Regierungspartei. Das gilt für die Linkspartei genauso wie für jede andere Partei, gilt für die Grünen ja auch. Natürlich ist das eine neue Rolle, die die Linkspartei dort einnehmen muss. Ich hoffe, sie erfüllt sie gut. Dazu gehört es auch, den einen oder anderen Konflikt oder die eine oder andere Spannung mit der Parteibasis auszuhalten. Ich glaube, dass sich die Führungsspitze der Linkspartei in Thüringen darüber bewusst ist. Jedenfalls ist sie ja offensichtlich so auch in die Verhandlungen gegangen.
    Engels: Symbole werden eine große Rolle spielen, wenn das erste Mal ein linker Ministerpräsident gewählt wird. Nun ist ja in einigen Bundesländern Die Linke stärker als die SPD. Muss man mittelfristig um Ministerpräsidenten der SPD in den neuen Bundesländern Sorgen haben?
    Fahimi: Nein, ganz gewiss nicht. Wir werden natürlich - und zwar nicht nur in den anderen Bundesländern Ostdeutschlands, sondern auch in Thüringen - weiter darum kämpfen, dass die SPD eine starke Partei hier wird, dass wir Ministerpräsidenten stellen, und dass wir das können, das haben wir ja allenthalben auch in vielen ostdeutschen Bundesländern bewiesen. Wir haben ja genau ein anderes Beispiel auch in Brandenburg, wo wir seit dem Mauerfall einen sozialdemokratischen Ministerpräsidenten sehen. Da bin ich ganz zuversichtlich, dass wir die politische Auseinandersetzung um die Mehrheit in den Ländern auch in Ostdeutschland weiter fortsetzen werden.
    "Wir haben genügend Herausforderungen"
    Engels: Wenn in Thüringen das Dreierbündnis steht, dann öffnet sich die SPD ja doch deutlich in Richtung Linkspartei. Gewinnen Sie dadurch in Ihrer jetzigen Koalition auf Bundesebene mit der CDU an Drohpotenzial?
    Fahimi: Nein. Das hat mit der Großen Koalition auf Bundesebene gar nichts weiter zu tun. Ich finde, wir wären alle miteinander gut beraten, wenn wir diese verschiedenen Regierungen auch jeweils an der Stelle belassen, wo sie hingehören. Wir brauchen im Übrigen auch keine weiteren Tipps darüber, was ein guter Demokrat zu tun oder zu lassen hat. Wir haben in Berlin einen ordentlichen Koalitionsvertrag, den wir abzuarbeiten haben, und wir haben, glaube ich, noch in den nächsten drei Jahren genügend Herausforderungen, auf die wir uns konzentrieren sollten. Da braucht man diese Bewertung einzelner Landesregierungen nicht. Das soll den Bürgerinnen und Bürgern der jeweiligen Länder überlassen sein.
    Engels: Yasmin Fahimi, SPD-Generalsekretärin. Wir sprachen mit ihr über Rot-Rot-Grün, das sich jetzt in Thüringen abzeichnet. Danke für Ihre Zeit.
    Fahimi: Danke auch! Auf Wiedersehen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.