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Rote Fahnen auf dem Prager Wenzelsplatz

In Tschechien findet die Sparpolitik von Petr Necas' Regierung keinen Rückhalt in der Bevölkerung. Steuererhöhungen und Rentenkürzungen haben die Stimmung im Land verändert. Eine Mehrheit verlangt vorgezogene Neuwahlen. Profitieren dürften davon die Sozialdemokraten und die Kommunisten.

Von Stefan Heinlein | 22.05.2012
    Rote Fahnen auf dem Prager Messegelände. Tausende sind am 1. Mai dem Aufruf der Kommunistischen Partei gefolgt. Sie sammeln sich hinter den Porträts von Marx und Lenin. Es gibt Bier und Wurst zu den Preisen von anno dazumal und Reden wie in der Zeit vor 89:

    Diese Reformen sind nichts anderes als Diebstahl. Es leiden die einfachen Menschen und armen Familien. Die Regierung muss weg, fordert Marta Semelova. Früher war alles besser meint die kommunistische Parlamentsabgeordnete.

    "Jeder hatte Arbeit und ein Dach über dem Kopf. Es gab eine gut entwickelte Industrie und eine funktionierende Landwirtschaft. Das waren die großen Erfolge des Kommunismus."

    Parolen denen in Tschechien immer mehr Menschen Glauben schenken. Mit fast 60.000 Genossen ist die KSCM die mitgliederstärkste Partei im Land. Laut Umfragen will inzwischen jeder fünfte Wahlberechtigte sein Kreuz bei den Kommunisten machen. Die KSCM ist damit die zweitstärkste Partei.

    "Die kommunistische Partei schöpft aus zwei Quellen, erklärt der Politikwissenschaftler Jiri Pehe. Das sind immer noch die Anhänger des alten Systems aber auch Leute, die mit den bestehenden Verhältnissen unzufrieden sind. Die KSCM ist eine typische Protestpartei und vereinigt die ganze gesellschaftliche Wut."

    Steuererhöhungen, Rentenkürzungen und Studiengebühren. Der knallharte Sparkurs der Mitte-Rechts-Regierung hat die Stimmung in Tschechien verändert. Über einhunderttausend Teilnehmer versammelten sich vor wenigen Wochen auf dem Prager Wenzelsplatz. Es ist die größte Demonstration seit der Revolution 89.

    Seite an Seite marschierten Sozialdemokraten mit Kommunisten und Gewerkschaftern. Noch verhindert offiziell ein sozialdemokratischer Parteitagsbeschluss ein Linksbündnis mit den Kommunisten – doch eine klare Mitgliedermehrheit will diesen Beschluss kippen. Was in zahlreichen Städten und Gemeinden bereits funktioniert, ist für CSSD-Parteichef Sobotka auch in Prag nicht mehr ausgeschlossen:

    "Es gibt die Überlegung einer sozialdemokratischen Minderheitsregierung die von den Kommunisten toleriert wird. Manches wie der Nato-Austritt ist für uns nur schwer annehmbar aber wenn sich dies ändert, ist diese Variante im Spiel."

    Eine Variante mit der auch der soeben wiedergewählte KSCM Vorsitzende Vojtech Filip liebäugelt. Man sei bereit für eine Regierungsübernahme und die Tolerierung einer sozialdemokratischen Minderheitsregierung.

    "Sie müssen uns die Garantie für eine konsequent linke Politik geben. Wir brauchen keine Minister sondern die Kontrolle über das Parlament und die Aufsichtsräte. Außerdem müssen wir die Kontrolle über alle europäischen Programme haben."

    Vor dem Hintergrund des drohenden Linksrucks bemühen sich die konservativen Regierungsparteien nach Kräften, das Schreckgespenst einer kommunistisch dominierten Minderheitsregierung zu zeichnen. Eine Strategie die nach Meinung des Politikwissenschaftlers Pehe nicht aufgehen wird.

    "Ich denke nicht das eine kommunistische Regierungsbeteiligung etwas Schreckliches bedeuten würde. Diese Partei lebt seit über 20 Jahren nur von der Kritik. Wenn sie jetzt Verantwortung übernimmt, wird das die Partei spalten in die alten Steinzeitkommunisten und in einen pragmatischen Flügel der endlich an der Macht beteiligt sein will."

    Doch noch dominieren bei der KSCM die alten Parolen. Alle zaghaften Reformbemühungen verlaufen bisher im Sande. Es gibt keine politische Aufarbeitung der Vergangenheit - keine Entschuldigung an die Opfer der totalitären Zwangsherrschaft. Der Marxismus-Leninismus ist und bleibt das gesellschaftliche Leitbild, so Chefkommunist Filip:

    "Genossinnen und Genossen. Unser Ziel ist die Bildung einer gerechten gesellschaftlichen Ordnung. Das ist der Sozialismus. Vielen Dank."