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Rote Linien in Bayern

Horst Seehofer ist der Mann für das Dazwischen. Im Kloster Banz möchte er sich als alter und neuer Ministerpräsident positionieren - und potenzielle Gegenspieler in Schach halten.

Von Michael Watzke | 20.09.2012
    Im Innenhof von Kloster Banz will Horst Seehofer gerade die Treppen heruntersteigen, da versperrt dem CSU-Chef ein mächtig dickes Männchen den Weg.

    "- "Was haben wir da?"
    - "Das ist Obelix, ein Ergebnis von deutscher Roboterforschung und Navigationstechnologie. Der kann sich zentimetergenau positionieren."
    - "Ich finde das so fantastisch. Danke ihnen!""

    Der Roboter "Obelix" steht für "Bayern 3.0", die Digitaloffensive der CSU. Das metallische Geschöpf bewegt sich ähnlich langsam und gravitätisch wie Horst Seehofer. Aber damit sind die Gemeinsamkeiten auch schon erschöpft. Denn der digitale Obelix funktioniert nach dem binären Code. Für ihn gibt es nur 0 und 1 wie beim Mühlespielen. Horst Seehofer dagegen ist der Mann des Dazwischen. Ein Schachspieler.

    "Mühle ist ein bisschen zu einfach. Wir sind hier schon in der obersten Klasse."

    Der Schachspieler Seehofer hat die Dame gesetzt. Er hat Ilse Aigner von Berlin nach Bayern geschoben. Im oberfränkischen Banz allerdings zieht Seehofer die Bundeslandwirtschaftsministerin wieder ein Stück zurück und fordert.

    "Dass sie ihre Verantwortung in Berlin bis zum letzten Tag erfüllt. Denn sie vertritt einen wichtigen Berufsstand, der auch für uns in Bayern wichtig ist. Die Landwirtschaft. Und es sollte nicht so sein, dass die Landwirte sagen: Sie hat die Verantwortung nicht bis zum letzten Tag wahrgenommen!"

    Typisch Seehofer. Er verteilt Macht an Untergebene und nimmt sie wieder, wenn sie zu groß werden. Gerade hier in Oberfranken hat das so mancher Kronprinz erfahren müssen, sagt der CSU-Landtagsabgeordnete Max Strehle und erinnert an einen blaublütigen Freiherrn.

    "Das haben wir ja schon mal erlebt, oder? Noch gar nicht allzu lange her, wo ihm einer im Nacken stand. Da war Seehofer wahrscheinlich etwas nervös. Wenn es mehrere sind, ist es immer besser. Weil die sich dann selber in Schach halten."

    In Schach halten sich Aigner, Bayerns Sozialministerin Haderthauer und Markus Söder, den Schachgroßmeister Seehofer ausdrücklich lobt:

    "Der ist bayerischer Staatsminister der Finanzen, hocherfolgreich. Und ganz wichtig für uns."

    Söder ist vor allem beim Thema Schuldenkrise wichtig. Als Griechenland-Haudrauf vom Dienst und Lord Siegelbewahrer der Euro-Stabilität. Zuletzt forderte der bayerische Finanzminister mehr deutschen Einfluss in der Europäischen Zentralbank EZB. Seehofer nahm den Ball auf:

    "Wir wollen ein Stimmengewicht, das unseren Kapitalanteilen entspricht. Also 27 Prozent."

    Bisher ist Deutschland nur mit einer Stimme in der EZB vertreten, der von Bundesbankchef Weidmann. Weidmann gilt als einsamer Rufer in der Wüste. Zuletzt ist sogar Bundesfinanzminister Schäuble von ihm abgerückt – sehr zum Verdruss von Horst Seehofer. Der CSU-Chef will Weidmann den Rücken stärken mit der Forderung, der deutsche Bundestag solle künftig vor jeder Euro-Entscheidung wenn schon nicht Weidmanns Heil, so doch zumindest Weidmanns Rat einholen.

    "Das steht heute schon im Bundesbankgesetz, Paragraf 13. Und ich habe heute den Auftrag erteilt, jetzt mal zu schauen, wie wir hier die Erwartungen der Bevölkerung erfüllen können: dass nicht einerseits eine Begrenzung der Haftung besteht. Und auf dem anderen Wege plötzlich ein Vielfaches der Haftung ausgelöst wird. Wir müssen Hüter einer stabilen Währung sein. Und zwar glaubwürdig. Darum geht's."

    Doch beim Thema Glaubwürdigkeit hat Seehofer Defizite. Zwar ist die CSU in den Umfragen der Demoskopieinstitute Emnid und GMS in der Wählergunst gestiegen auf 47 Prozent. Allerdings haftet dem bayerischen Ministerpräsidenten der Ruf an, beim Thema Euro in lauter rote Linien verstrickt zu sein, die er selbst gezogen und dann überschritten hat. Der Wahlforscher Dr. Helmut Jung präsentiert bei der CSU-Klausurtagung im Kloster Banz Umfragen, nach denen mehr als 75 Prozent der bayerischen Wähler kein weiteres Hilfspaket für Griechenland mehr wollen. Jung glaubt, dass das Thema Schuldenkrise die Wahl entscheidet.

    "Selbst wenn die Krise noch andauert, wovon man ausgehen muss, dann wird das eher für die Regierung von Vorteil sein. Es gibt den Effekt, den wir Wahlforscher "Rally round the flag" nennen. Dabei scharen sich die Wähler in stürmischen Zeiten um den, der das bisher gut gemacht hat. Sie sehen keinen Anlass, den Kapitän mitten im Sturm auf hoher See auszuwechseln."

    Kapitän Seehofer hört solche Prognosen mit zufriedenem Lächeln. Er will weiterhin auf der Brücke des Schiffes "Bavaria" Dienst tun, lässt er die CSU-Abgeordneten wissen.

    "Es ist angerichtet für das große Finale. Wir haben eine großartige Chance, dieses Finale siegreich zu bestehen. Was Parteivorsitz und Ministerpräsidentenamt angeht, ist heute eine Antwort gegeben: Ich bin bereit dazu. Und wenn der Wähler gesprochen hat, werde ich diese beiden Ämter auch weiterführen."

    Dann macht sich Seehofer auf einen Rundgang durchs Kloster. In den alten Mauern stellen bayerische Firmen digitale Hightech-Projekte vor. Ein Stand interessiert den früheren Gesundheitsminister Seehofer besonders: Das Unternehmen Siemens kann menschliche Körperteile digital reproduzieren, etwa Hüftgelenke. Seehofer fragt die Medizintechniker nach der Wirbelsäule.

    "Ja, weil ich wissen wollte, welche lebenswichtigen Teile in unserem Körper heute schon ersetzbar sind. Und das Rückgrat ist bekanntlich ein sehr wichtiger Teil."

    Das Rückgrat sollte der wichtigste Körperteil eines Politikers sein. Ersetzbar, so musste Seehofer erfahren, ist es bisher nicht.