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Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz
Glühwein trinken ein Jahr danach

Knapp ein Jahr nach dem Terroranschlag herrscht auf dem Weihnachtsmarkt an der Berliner Gedächtniskirche wieder reges Treiben. Die Händler sind um Normalität bemüht. Am 19. Dezember - dem Tag des Terroranschlags - werden die Buden geschlossen bleiben in Gedenken an die zwölf Opfer.

Von Claudia van Laak | 28.11.2017
    Schwere Betonsperren stehen am 24.11.2017 an den Eingängen zum Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche in Berlin. Knapp ein Jahr nach dem islamistischen Terroranschlag, bei dem 12 Menschen getötet und mehr als 70 Menschen verletzt wurden, öffnen am 27.11.2017 wieder die Stände und Buden der Händler am Breitscheidplatz.
    Betonpoller sollen auf dem Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz für Sicherheit sorgen (picture alliance / dpa / Bernd von Jutrczenka)
    Es ist wieder voll auf dem Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz in Berlin: Die Besucher trinken Glühwein,
    Beim Strammen Max auf dem Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz wird schon ordentlich gezecht. Sie trinken Glühwein und Punsch an diesem stürmischen, verregneten Abend. Nicht alle wissen, dass hier vor einem Jahr ein Terroranschlag passiert ist.
    "Wow, Sie haben mich mit dieser Information geschockt. Wir haben natürlich gehört, was da passiert ist. Schlimm. Jetzt habe ich keine Worte mehr."
    "Wir sind vor einem Jahr aus der Türkei hierhergekommen, wir sind vor dem Terrorismus dort geflohen. Und dann war es sehr schwer für uns, als wir bemerkten, das passiert auch hier in Europa."
    Ein paar Meter weiter in der Hirschstube riecht es nach Sauerkraut, Haxen und Wildschweinbraten. Normalität um jeden Preis wollen Schausteller und Veranstalter demonstrieren - deshalb quetscht sich jetzt Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller durch zwischen den vielen Menschen mit Biergläsern in der Hand, über ihm Hirschgeweihe, zu Lampen umfunktioniert. Wir lassen uns unser freies und tolerantes Berlin von niemandem kaputt machen, sagt er, es klingt ein wenig trotzig.
    "Das, was am 19.Dezember 2016 passiert ist, das ist etwas, was sich in das kollektive Gedächtnis der Stadt eingebrannt hat. Viele Berlinerinnen und Berliner hat es nicht nur in den Tagen danach bewegt, sondern, ich spüre es immer wieder, dass mich viele darauf ansprechen, auch Sorgen haben."
    Alle Schausteller sind wieder dabei
    Am Tisch nebenan sitzt ein elegant gekleideter Herr, nippt an einem Weißwein. Er passt nicht so ganz hierher, zu den rustikal gekleideten Schaustellern, die gemeinsam mit dem Regierenden Bürgermeister den Weihnachtsmarkt eröffnen. Gregor Andreewitch, Direktor des benachbarten Luxushotels Waldorf Astoria. Die Stunden nach dem Terroranschlag wird er nicht vergessen.
    "Wir haben unseren Ballsaal freigemacht, wir haben Kaffee zur Verfügung gestellt, Wasser, viele Leute waren hungrig, sie hatten nichts gegessen, wir haben uns um sie gekümmert. Wir hatten aus allen Religionsrichtungen Seelsorger bei uns, ein Rabbiner war dabei ein Pfarrer, katholische Priester, und man hat sich da um die Beteiligten gekümmert."
    Den Weihnachtsmarkt genauso wieder zu eröffnen wie er im Jahr zuvor war, das sei genau richtig, sagt der Hotelmanager. Alle Schausteller sind wieder dabei, niemand ist abgesprungen.
    "Ich glaube, es geht immer noch darum zu zeigen, dass solche Akte keine Wirkung haben, dass sie ein riesiger Störfaktor sind, eine gigantische Feigheit von Menschen, die Unheil anrichten wollen, und ich glaube, der Weg, der eingeschlagen wurde, ist der richtige."
    Bereits am Vormittag hatte der Pfarrer der Gedächtniskirche die Schausteller zum Gottesdienst eingeladen. Auf dem Altar: zwölf brennende Kerzen für die zwölf Toten des Anschlags.
    "Wir bitten Dich, dass dieser Markt und dass alle Weihnachtsmärkte einen friedlichen Verlauf nehmen. Wir bitten Dich für alle, die hier arbeiten. Für Marktleute, für Polizisten, und für viele mehr um Deinen Schutz."
    Für Pfarrer Martin Germer ist dieser Tag eine emotionale Achterbahnfahrt – er ist auch Schaustellerpfarrer, kennt viele Geschichten von verletzten, traumatisierten Händlern vom Weihnachtsmarkt.
    "Mir ist zwischendurch immer wieder die Stimme weggeblieben. Das passiert mir, so wie jetzt auch, das ganze Jahr über immer wieder. Weil dann auch so diese emotionale Tiefe, die das Ganze hat, dann in mir aufsteigt."
    Am Tag des Anschlags bleibt der Markt geschlossen
    Der jetzt eröffnete Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche wird rundherum von Betonpollern geschützt - viele Polizeibeamte und private Sicherheitsleute sollen dafür sorgen, dass sich die Besucher geschützt fühlen. Der Pfarrer der Gedächtniskirche hat das ganze Jahr über Gespräche geführt mit Menschen, die sich vom Terrorismus bedroht fühlen.
    "Etwa mit diesem diffusen Gefühl von Angst umzugehen. Das ist ja ein ganz diffuses Gefühl. Da plädiere ich für Realismus und nehme gerne mal die Statistik zu Hilfe. Und sage: die Gefahr, bei einem Verkehrsunfall verletzt oder ums Leben zu kommen, ist sehr viel höher."
    Bei strömendem Regen legen Martin Germer, einige Schausteller und Vertreter des Berliner Senats am Abend weiße Rosen nieder. Ein nachdenklicher Innensenator blickt auf den improvisierten Gedenkort - am 19.Dezember letzten Jahres war Andreas Geisel gerade einmal 11 Tag lang im Amt.
    "Ach, das hat mich ins Amt katapultiert, seitdem ist nichts mehr wie es war."
    Die Fehler der Sicherheitsbehörden aufklären, daraus lernen, nicht zuletzt Stärke zeigen - das hat sich Berlins Innensenator vorgenommen.
    "Und trotzdem habe ich permanent mein Handy in der Tasche, und immer wenn es klingelt und mein Staatssekretär ist dran oder die Polizei, dann frage ich mich, was könnte das sein. Das nimmt auch mich mit, natürlich."
    Am Tag des Anschlags, dem 19.Dezember, werden weder Glühwein noch Bratwürste verkauft. Der Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz bleibt geschlossen. An diesem Tag wird das Gedenkzeichen für die Terroropfer eingeweiht. Ein 15 Meter langer, goldfarbener Riss durchzieht dann die Treppenstufen an der Gedächtniskirche.
    "Die Berliner sind gelassen. Ich hoffe, dass sie alle gelassen sind und den Alltag weiterleben. Wir haben schon viel durchgestanden und stehen auch das durch."