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Rotorblätter mit Muskeln

Für Rettungskräfte sind Helikopter unersetzlich - das hat zuletzt das Sommerhochwasser gezeigt. In den Flutgebieten störte sich wohl niemand am Hubschrauberlärm, Anwohner von Landeplätzen leiden aber sehr darunter. Forscher des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt erproben deshalb neuartige, leise Rotorblätter.

Von Ralf Krauter | 02.10.2013
    Der Rotorprüfstand des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt in Braunschweig befindet sich in einer Halle vom Format eines Flugzeughangars. Bevor Christoph Kessler die Stahltür öffnet, zeigt er auf das lärmende Hydraulikaggregat links vor dem Eingang.

    "Das pumpt eben Hydrauliköl durch diese schwarzen Schläuche in diese Rotorhalle rein. Und dort treibt es dann den Hydraulikmotor an. Und der schlussendlich den Rotor."

    Der promovierte Ingenieur leitet im DLR-Institut für Flugsystemtechnik die Abteilung für Hubschrauber. Eines seiner aktuellen Projekte ist die Erprobung neuartiger Rotorblätter, die Helikoptern das Flüstern beibringen sollen. Die schwarzen Schläuche mit dem Hydrauliköl führen in der Halle zu einem meterhohen Versuchsaufbau. Auf einem wuchtigen Stahlgestell ist ein 250 PS starker Motor montiert. Darüber der Rotorkopf mit vier braunen Flügeln aus glasfaserverstärktem Kunststoff.

    "Im Moment sind wir noch in der Phase, dass der Rotor erst einmal getestet wird. Wir hatten diverse Probleme zu lösen. Das ist schon sehr, sehr aufwendig. Und deswegen sind wir leider auch ein Bisschen im Verzug. Aber so ist das eben mit Forschung. Da läuft nicht immer alles glatt."

    Heutige Hubschrauber haben passive Rotorblätter. Auf Befehl des Piloten ändern sie ihren Anstellwinkel alle gleichzeitig ein bisschen und sorgen so dafür, dass der Helikopter steigt, sinkt, vorwärts, rückwärts oder zur Seite fliegt. Die vier braunen Flügel, die über Christoph Kesslers Kopf hängen, sollen dagegen selbst aktiv werden. Sie haben eingebaute "Muskeln", sogenannte Piezoaktoren:

    "Das sind hauchdünne Aktuatoren, die im Faserkomposit eingelagert sind. Und wie Sie sehen, haben wir ein, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht, neun, zehn, elf, zwölf von diesen Piezopatches auf der Unterseite und eben zwölf auf der Oberseite. Die können in einem bestimmten Muster angesteuert werden. Das heißt, wir können längs des Rotorradius unterschiedliche Verwindungen erzielen. Und wir wollen schauen: Was bringt das?"

    Ein elektrischer Impuls genügt, um die Rotorblätter in Sekundenbruchteilen leicht zu verwinden. Dadurch lässt sich der Anstellwinkel, mit dem ihre Nase durch die Luft rast, mehrmals pro Umlauf verändern. Und zwar bei jedem Rotorblatt ganz individuell. Gegenüber dem heutigen Stand der Technik eröffnet das ganz neue Wege, um Lärm zu mindern und Schwingungen zu dämpfen.

    "Vier Blätter, alle können angesteuert werden. Und jetzt wird der Rotor, gleich, wenn wir hier raus sind, wieder hochgedreht und dann eine ganz normale Steuereingabe, wie sie ein Pilot vornehmen würde im Hubschrauber, eingesteuert. Und wenn dann alles gut läuft, wird man auch noch mal diese aktiven Steuersysteme ansteuern, um mal zu gucken: Wie verhält sich dann der Rotor? Schlussendlich muss alles unter dem Motto laufen: möglichst viel Lärmreduktion, möglichst viel Vibrationsreduzierung."

    Um alle auftretenden Kräfte messen zu können, haben die Forscher den Rotorkopf und die je zwei Meter langen Flügel mit Hunderten Sensoren gespickt. Dicke Kabelbündel führen zu wuchtigen Verstärkern und Messgeräten. Ein spezieller Laserscanner macht die Luftwirbel an den Spitzen der drehenden Flügeln sichtbar.

    Bevor es losgeht, müssen alle die Versuchshalle verlassen - aus Sicherheitsgründen. Gesteuert wird der Rotorprüfstand aus einem mit Elektronik vollgestopften Container im Vorraum. Versuchsleiter Oliver Schneider blickt auf eine Batterie von Monitoren und Anzeigen, während er die Checkliste durchgeht.

    "Verstärker sind an ... TS2-Lampe ist an ... der ist betriebsbereit ... ändert sich, ok ... Main Signal hast du auf null? Ja. ... Sicherheitsbox ist an. Dann Relais setzen. ... Ja, Uwe: Pumpen einschalten? Ja. Und dann setzten wir die Waage noch mal null ... Dann geht's los."

    Oliver Schneider wirft den Hydraulikmotor an, der den Rotor mit den einzeln verstellbaren Blättern auf Touren bringt. Kessler:

    "Was Sie jetzt rechts oben neben dem Videobild sehen, das sind die drei Steuerwinkel, mit denen Herr Schneider als Pilot des Rotorversuchsstandes die Steuer simuliert, die schlussendlich auch der Pilot eines realen Hubschraubers ansteuern würde. Der mittlere von diesen drei Werten steuert den Schub, und damit das Steigen und Sinken. Der Linke und der Rechte, mit denen würde der Pilot im Ernstfall links, rechts, vorwärts, rückwärts steuern und den Hubschrauber fliegen."

    Leuchtdioden an den Blattspitzen zeichnen bei jedem Umlauf farbige Kreise in die Luft. Eine Hochgeschwindigkeitskamera verrät, in welchem Winkel die einzelnen Blätter durch die Luft rasen: Je steiler, umso mehr Auftrieb erzeugen sie. Auf diese Weise sehen die Forscher direkt, wie sich ihre Steuersignale auswirken. Ihr Hauptinteresse gilt den sogenannten Blattspitzenwirbeln, die entstehen, wenn die Rotorblätter mit den Luftwirbeln ihrer Vorläufer kollidieren. Denn die verursachen Vibrationen und im Landeanflug das nervige Teppichklopfergeräusch, erklärt Kessler:

    "Das ist das typische Geräusch, Ba-ba-ba-ba-papp, was der Hubschrauber von sich gibt, wenn er sich der Erde nähert. Dann ist es eben auch noch besonders unangenehm und besonders laut. Und dieser Lärmmechanismus, der wird Blattwirbelinteraktion genannt. Und den kann man sehr gut mit dieser Technologie reduzieren."

    Durch intelligente Ansteuerung der elektrischen Muskeln in den Rotorblättern lassen sich die Blattspitzenwirbel nämlich einfach aus dem Weg pusten, bevor sie Krach machen können. Die resultierende Lärmminderung, sagt Christoph Kessler, sei beeindruckend. Das nervige Knattern verschwindet fast völlig.

    "Bei den Rotorblättern, die wir momentan drauf gebaut haben und die auch früher bei Hubschraubern verwendet worden sind, kann man bis zu 6 dB Lärmreduzierung erzielen. Das ist schon eine Halbierung des Lärms. Das ist richtig richtig viel."

    Ob die Rotorblätter mit neuem Dreh tatsächlich das Zeug haben, Hubschraubern im Landeanflug das Flüstern beizubringen, sollen Ende des Jahres aufwendige Versuche in einem großen Windkanal bei Amsterdam zeigen. Die Tests in Braunschweig dienen der Vorbereitung. Denn noch hat die neue Technik Kinderkrankheiten. Im Laufe des Tages macht erst ein Wackelkontakt in der Steuerelektronik im Rotorkopf Probleme, dann legt ein Kurzschluss einen der Piezoaktoren lahm. Doch für Michael Przybilla vom Team des Rotorversuchsstandes sind solche Verzögerungen völlig normal:

    "Die Tests hier werden ja auch genau gemacht, hier in der Rotorhalle, um all diese Kleinigkeiten eben vorher zu finden, bevor man dann in den Windkanal geht, der dann in Holland ist. Wenn da noch solche Kleinigkeiten passieren, dann wird's richtig ärgerlich."

    Selbst wenn bei den Windkanalversuchen alles nach Plan läuft: Bis die Rotorblätter mit Muskeln erstmals im Flug erprobt werden können, vergehen sicher noch Jahre. Unter anderem müsste die Steuerelektronik, die derzeit noch mehrere große Metallkisten füllt, kräftig schrumpfen, um in einem Hubschrauber Platz zu finden. Die aufwendigen Zulassungsverfahren in der Luftfahrtbranche dürften die Serienreife dann um weitere fünf bis zehn Jahre verzögern.