Freitag, 29. März 2024

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Royadesara. Eine Verwirrung

Das Schema dieses Buches ist simpel: Im Mittelpunkt steht eine junge Frau, die in zwei Kulturen Zuhause ist. In Deutschland lebt sie, im Iran ist sie aufgewachsen, ganz wie die Autorin selbst. Die junge Frau fühlt sich zu zwei Männern hingezogen. Der eine ist ein Deutscher, der andere ein Iraner. Nun ist sie hin- und hergerissen zwischen zwei Ländern und zwei Männern; sie fühlt sich aber nirgendwo zu Hause und richtig liebt sie keinen. So weit die Grundausstattung dieses schmalen Romans. Sein blumiger Titel Royadesara meint eine Art Traumreich, in das sich die Ich-Erzählerin hineinfantasiert, wann immer sie es überkommt. Ein Land, in dem sie all die Dinge tut, die sie sich im richtigen Leben vielleicht gar nicht traut, was den Vorteil hat, dass sie sie, hat sie sie einmal mental getan, auch gar nicht mehr tun muss, was man dann royadesieren nennt.

Shirin Sojitrawalla | 28.03.2003
    Die junge Frau ist eine Art Hardcore-Tagträumerin, begibt sich wie süchtig in ihre Wolkenkuckucksheime und spinnt sich ihre eigene Realität zurecht. Zum Glück hat sie eine Stimme im Schädel, die sie immer wieder auf den Boden der Wirklichkeit zieht. Maria heißt die Stimme, die vielleicht ihre Freundin ist, vielleicht aber auch nur die zweite Seite ihres gespaltenen Ichs. Maria flüstert ihr nüchtern und abgeklärt ihre Sicht auf die Dinge des Lebens ins Ohr. "Maria lebt das Leben. Ich träume es", heißt es einmal. Und wer das Buch zu Ende liest, merkt, das stimmt genau, weswegen man auch lieber mehr über das Leben von Maria als über das der Tagträumerin erfahren hätte.

    Der gefällt etwa der Spruch "Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt". Doch in Shirin Kumms Erstling kommt leider gar nichts anders, als man denkt. Auf 123 Seiten erzählt uns die im Iran geborene und in Frankfurt am Main lebende Autorin, wie eine junge Frau, den Kopf in den Wolken, sich verliebt, nach Irland, Paris und Teheran reist, Bücher liest und sich Gedanken macht über das Leben, die Liebe und das Glück. Sie ist eine unzugängliche Eigenbrötlerin, die nur in ihren Traumgespinsten zu sich kommt. Doch gerade die Idee dieser Traumreisen, die bei Shirin Kumm als "Royadesara" firmieren, wirkt reichlich aufgesetzt. Dabei fühlt man sich an die Hauptdarstellerin aus dem Film "Die fabelhafte Welt der Amélie" erinnert, die ja auch um die Macht der Imagination weiß und mit ihren Gedankenspielereien ihr Leben versüßt. Doch was auf der Leinwand noch halbwegs amüsant daherkommt, liest sich schwarz auf weiß richtiggehend affektiert. Ganz schlimm wird es, wenn die Autorin ihre Leser mit landeskundlichen Details aus ihrer Heimat beglückt. Da erfährt man dann etwa, dass es die Liebenden im Iran schwer haben. So, so. Wer hätte das gedacht? Straßenkehrer tragen dort übrigens auch orangefarbene Overalls. Was der Hinweis soll? Keine Ahnung.

    Schwerer wiegt allerdings, dass das Buch auch sprachlich nicht hält, was es inhaltlich nicht einlöst. Außer einer handvoll gelungener Phrasen wie "vor Glück strotzen" überzeugen die gewählten Sätze nicht. Vieles ist ungeschickt formuliert, noch mehr hat man zu oft gehört. Der Verwirrung der jungen Frau scheint die Autorin sprachlich leider nicht gewachsen. So liest sich der durchaus reizvolle Trübsinn in diesem Buch über weite Strecken einfach nur heulsusenhaft. Und all das Royadesara riecht nach schwerem Duft an leichten Mädchenschultern.

    Dabei ist diese Ich-Erzählerin ja eigentlich gar nicht uninteressant. Eine junge von der Wirklichkeit zutiefst irritierte Frau, die sich ihren Weg zwischen zwei Kulturen und zwei Männern sucht. Doch das ganze Verhalten der jungen Frau weist nicht bloß auf eine Verwirrung hin, wie der Roman sich im Beititel nennt, sondern auf eine tiefe Verstörung. Doch darüber erfahren wir nichts. Die Abgründe dieser Person scheinen nur vom dritten Stock in den nächsten Hinterhof zu reichen. Die Ich-Erzählerin verehrt den Schriftsteller Samuel Beckett, doch nicht einmal ein Ansätzchen von Weltekel und existentieller Verzweiflung findet sich in diesem Buch.

    An einer Stelle wundert sich die Ich-Erzählerin, die Theaterstücke schreibt, dass ihr einmal vorgeworfen wurde, ihre Figuren blieben Kopfgeburten. Und da weiß man auf einmal, was nicht aufgeht in diesem Roman. Die Figur, die Shirin Kumm hier versucht, lebendig werden zu lassen, ist ein Hirngespinst, was ja womöglich der Beginn einer Arbeit an einem Roman sein könnte, aber doch nicht ihr Ende. Die junge Ich-Erzählerin gibt nichts preis von sich, und das macht sie ganz und gar nicht geheimnisvoll, sondern papieren. Sie spricht zwar ausdauernd vom Leben, lebt aber nicht, weil sie ja auch immerzu träumen muss. Herausgekommen ist ein müdes Debüt. Und tüchtig geschlafen hat auch die Frankfurter Verlagsanstalt.