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Royal Concertgebouw
Wir wollen gehört werden!

Das Royal Concertgebouw, das als bedeutendstes Orchester der Niederlande gilt, steckt in finanziellen Nöten: Löhne und Sozialkosten können nicht mehr gedeckt werden. Eine neue CD-Produktion soll nun aus der Misere heraushelfen. Das Ergebnis beeindruckt.

Von Georg Waßmuth | 16.11.2014
    Das Konzerthaus der Royal Concertgebouw in Amsterdam
    Das Konzerthaus der Royal Concertgebouw in Amsterdam (AFP/ANP/Remko de Waal)
    Heute mit Georg Waßmuth und einer großen Windmaschine aus Amsterdam. Die Blechbläser des "Royal Concertgebouw Orchestra" haben beim Label "RCO Live" eine herrlich durchlüftete Produktion unter der Überschrift "Brass Too" veröffentlicht. Orthografisch wurde das englische "Too" ganz bewusst nicht "t-w-o" sondern "t-o-o" geschrieben um mit dem Wortspiel eine Mehrfachdeutung anzuregen. Die zweite Veröffentlichung des Ensembles soll signalisieren: Auch das kann Musik für Blechbläser sein!
    Dimitri Shostakovich – The Gadfly Suite – Galopp
    Die Blechbläser des "Royal Concertgebouw Orchestra" spielten den "Galopp" aus der "Gadfly Suite" von Dimitri Schostakowitsch. Eine "Gadfly" - also eine Bremse - muss hier punktgenau zugestochen haben denn ganz ohrenfällig gingen da einige Pferde durch.
    Vor gut zehn Jahren haben sich die Blechbläser des Concertgebouw Orchesters anlässlich einer Amerika-Tournee zum ersten Mal als eigenständiges Ensemble präsentiert.
    In den angloamerikanischen Ländern und Beneluxstaaten wird die reine Blechbesetzung viel mehr als in Deutschland als eigenständige symphonische Formation wahrgenommen. Es gibt eine große Szene mit enormer Publikumsresonanz und das Leistungslevel kennt nach oben keine Grenzen. Die Amsterdamer kamen über den Teich, spielten und siegten auf ganzer Linie. Seitdem hebt die Blechbläser-Sektion des ehrwürdigen Konzertorchesters immer mal wieder zu künstlerischen Höhenflügen ab, wobei die Besetzung stets variabel und dem jeweiligen Werk angepasst ist.
    Der Komponist Dimitri Schostakowitsch hat im Jahr 1955 für einen längst vergessenen Film eine scharf charakterisierende Musik geliefert, die als "The Gadfly Suite" ein virulentes Eigenleben im Konzertsaal entwickelte. Den Blechbläsern ist natürlich ein spezielles Arrangement passgenau auf die Lippen geschrieben worden. Hinzu gesellen sich noch einige schlagkräftige Herren aus der Percussion-Abteilung des Orchesters und dann kann der Vorhang zum Breitwand-Erlebnis aufgehen.
    Dimitri Shostakovich – The Gadfly Suite – Finale
    Die Blechbläser und Perkussionisten des Royal Concertgebouw Orchestra spielten unter der Leitung von Ivan Meylemans das Finale aus der Suite "The Gadfly" von Dimitri Schostakowitsch in einem Arrangement, das die Wucht und Bedrohlichkeit dieser Musik sehr gut transformiert. Original-Werke für reine Blechbläser-Besetzungen sind immer noch Mangelware, zumal wenn es um Komponisten aus der allerersten Reihe geht. Gerade die deutschen legen eine "akademische" Scheu an den Tag wenn es darum geht, für große Blech-Besetzungen zu schreiben.
    Eine Ausnahme macht hier der 1960 in Hamburg geborene Detlev Glanert. Er sieht sich selbst als jemanden, der nicht für den engen Zirkel der Neuen Musik-Festivals schreibt, sondern Opern- und Konzertmusik für den laufenden Betrieb liefert. Das ist durchaus mit dem Anspruch auf allerhöchste Qualität verbunden und Detlev Glanert werden die frischen Stücke fast aus der Hand gerissen. Das Royal Concertgebouw Orchestra hat ihn zum "Hauskomponist auf unbestimmte Zeit ernannt" – eine Ehre die wirklich nur wenigen zu Teil wird. Für die Blechbläser des Orchesters schrieb der im besten Sinne "musikantisch" denkende ein kurzes Werk mit dem Titel "Concertgeblas". Ein kraftstrotzendes, effektvolles Tänzchen, das windschief und reichlich mit Alkoholischem "vorgeglüht" auf das Konzertparkett stolpert.
    Detlev Glanert – "Concertgeblas"
    "Concertgeblas" mit den Blechbläsern des Royal Concertgebouw Orchestra unter der Leitung von Ivan Meylemans. Die CD "Brass Too" mit dem vorzüglichen Ensemble ist beim Label RCO Live erschienen und wird von Naxos vertrieben. Über das außerordentliche Können der Amsterdamer Blechbläser-Sektion muss man eigentlich nicht viele Worte verlieren.
    In diesem Orchester halten sich wirklich nur Überflieger auf den Positionen, egal ob Solo-Trompete oder viertes Horn. Jede und Jeder hat zwar solistische Qualitäten, trägt damit aber immer zum einmaligen Gesamtklang des Traditions-Ensembles bei. Die Blechbläser-Sektion spielt im Konzertalltag von Bruckner und Brahms bis zur aktuellen Musik jede Note stets Schallplattenreif – doch bei der neuen Produktion kommt noch ein besonderer Moment hinzu. Hier sind, bis auf eine Ausnahme, der große Streicherapparat und alle Holzbläser verbannt und die möglichst farbenreiche Klangpalette wird mit Trompeten, Hörnern, Posaunen und Tuba realisiert. Dabei können die Damen und Herren der königlichen Windmaschine auch sehr leichtfüßig daher kommen wie bei Astor Piazzolla zu hören ist. Die Amsterdamer ließen für sich Teile der Oper "Maria de Buenos Aires" arrangieren.
    Tuba und Posaunen setzen gleich zu Beginn südamerikanische Impulse, auf diesem Strom lässt sich das Ensemble davontragen.
    Astor Piazzolla – Maria de Buenos Aires Suite – Yo Soi Maria – Balade para un Organito Loco – Habanera
    Ein Ausschnitt aus der Suite "Maria de Buenos Aires" von Astor Piazzolla. Mit Sicherheit vermittelte sich so das perfekte Ensemblespiel und die feinfühlige Musikalität der Amsterdamer.
    Neben den vorgestellten Komponisten sind noch Werke von Henri Tomasi und Paul Hindemith zu hören. Bei dessen Konzertmusik für Streicher und Bläser hat der Dirigent Kurt Masur die Leitung übernommen. So spannt diese CD einen sehr weiten Bogen und ist keineswegs nur leichte Kost für Blech-Freunde.
    Das Royal Concertgebouw Orchestra ist aktuell übrigens in eine Krise geschlittert. Löhne und Sozialkosten können durch die Konzerteinnahmen und Zuschüsse nicht mehr gedeckt werden. Jede Geldquelle, hier speziell auch der CD-Verkauf, wird dringend benötigt, um das Schlimmste abzuwenden. Beim niederländischen Staat stößt das Orchester momentan auf taube Ohren. Die Ticketpreise, die eh schon zu den höchsten in Europa gehören, können jedenfalls nicht mehr erhöht werden. Die Blechbläser des Royal Concertgebouw Orchestra haben also nicht nur eine klangschöne Produktion veröffentlicht. Dahinter steht auch glasklar die Ansage: Wir wollen gehört werden.
    In der Neuen Platte habe ich Ihnen heute die CD "Brass Too" vorgestellt, die beim Label RCO Live erschienen ist und in Deutschland von Naxos vertrieben wird. Zum Abschuss lässt das große Gebläse aus Amsterdam noch ein paar Takte Piazzolla herüberwehen - am Mikrofon verabschiedet sich Georg Waßmuth.
    Astor Piazzolla – Maria de Buenos Aires Suite – Fuga y Misterio
    "Brass Too"
    Royal Concergebouw Orchestra
    Ivan Meylemans, Conductor
    Label: RCO Live
    Labelcode: OMM 0037
    Bestellnummer: 6161398