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Ruanda
Frankreichs Rolle beim Völkermord in Ruanda

1994 ermordeten Angehörige der Hutu-Volksgruppe in Ruanda etwa 800.000 Menschen. Schon lange gibt es Vorwürfe, dass Frankreich eine größere Rolle beim Völkermord gespielt hat, als es offiziell zugeben will. Dokumente legen nun nahe, dass Paris Waffen an die Täter geliefert hat.

Von Kerstin Gallmeyer | 04.08.2017
    Erinnerung an den Völkermord in Ruanda: Gebeine von Genozidopfern in der Gruft hinter der Kirche von Nyamata in Ruanda
    Erinnerung an den Völkermord in Ruanda: Gebeine von Genozidopfern in der Gruft hinter der Kirche von Nyamata in Ruanda (picture alliance / dpa / Jesko Johannsen)
    Paris hatte ab Anfang der 90er Jahre die Machthaber in der Hauptstadt Kigali unterstützt, auch militärisch, sagt der französische Journalist Patrick de Saint-Exupéry, der in dieser Zeit und auch während des Völkermords vor Ort in Ruanda war.
    "Einer der Haupt-Verantwortlichen dieser Politik ist Hubert Védrine, der damals Generalsekretär des Élysées war. Er erklärt diese Politik noch heute mit der Notwendigkeit, die Paris sah, die Stabilität seiner Beziehungen zu den frankophonen afrikanischen Ländern zu gewährleisten. Mit anderen Worten: Wenn in Afrika ein Regime fällt, weil Paris ihm nicht beigestanden hat, gibt es die Gefahr eines Domino-Effekts für Frankreichs Einfluss in ganz Afrika."
    Ab dem 23. Juni 1994 schickte die französische Regierung nach einem UN-Beschluss Soldaten zu einer humanitären Militär-Intervention in das ostafrikanische Bürgerkriegsland.
    Frankreich soll über die Grenze geflohene Hutus wiederbewaffnet haben
    Im Rahmen der Opération Turquoise sollen sie eine Schutzzone einrichten, um Zivilisten Sicherheit und Hilfe zu gewähren. Jedoch nicht, um in den Konflikt einzugreifen. Doch schon lange gibt es Vorwürfe aus Ruanda und aus dem eigenen Land, dass Frankreich eine größere Rolle beim Völkermord in Ruanda gespielt hat, als es offiziell zugeben will. Nämlich, dass es die über die Grenze geflohene Hutus wiederbewaffnet haben soll. Mögliche Beweise dafür sind bislang ein gut geschütztes Staatsgeheimnis. François Hollande hatte 2014, zum 20. Jahrestag des Völkermords, angekündigt, die Archive des Élysées öffnen zu lassen. Doch außer für etwa 80 eher bedeutungslose Dokumente blieb es bei der reinen Ankündigung, beklagt Journalist Patrick de Saint-Exupéry.
    "Es gab Verantwortliche, die 20 Jahre später beauftragt wurden, die Archive durchzusehen. Sie haben alles gelesen. Sie haben dem Élysée-Palast darüber berichtet und gesagt, dass dort extrem kompromittierende Elemente enthalten seien und es deshalb zunächst einmal nicht möglich sei, sie zu veröffentlichen. Und so wurde das Archiv wieder geschlossen."
    Zugang zu den geheimen staatlichen Archivbeständen
    Dennoch: Nicht alle brisanten Erkenntnisse blieben offenbar geheim: Die Beamten, die die Archive durchforsteten, hätten sich in einem kleinen Kreis geäußert, sagt Patrick de Saint-Exupéry. Und das, was sie erzählen, sei äußerst problematisch:
    "Unter anderem sagen sie, dass französische Soldaten sich während der Opération Turquoise geweigert hätten, Befehle auszuführen. Diese sollen gelautet haben, diejenigen wieder zu bewaffnen, die gerade den Völkermord begangen hatten. Die Person, die diesen Befehl bekräftigt hat, war, ich gebe noch immer das wieder, was der Verantwortliche gesagt hat, Hubert Védrine, Generalsekretär des Élysée Palasts."
    Befehl kam offenbar aus dem engsten Kreis um Mitterrand
    Eine handschriftliche Notiz von Védrine auf einem Dokument soll der Beweis dafür sein. Der Befehl kam offenbar also aus dem allerengsten Kreis um den damaligen Präsidenten François Mitterrand. Hubert Védrine, der später französischer Außenminister wurde, hat mehrfach bestätigt, dass es Waffenlieferungen an die Hutus gegeben hat. Diese aber hätten nichts mit dem Völkermord zu tun gehabt. Die Wahrheit wird möglicherweise noch Jahre in den Tiefen der Archiv-Kartons des Élysées-Palasts schlummern. Versehen mit einem Geheim-Stempel. Ob sich das unter dem neuen Präsidenten Emmanuel Macron ändern wird? Patrick de Saint-Exupéry will lieber keine Prognose wagen:
    "Die Zeichen, die Emmanuel Macron bisher zur Akte Ruanda ausgesendet hat, sind ziemlich widersprüchlich."
    Denn: Auch wenn Macron als Präsidentschaftskandidat unter anderem am 7. April 2017, dem Jahrestag, mit einem Tweet an den Genozid erinnert hat. Als Staatsoberhaupt hat er gerade erst einen Generalstabschef ins Amt gehoben, dessen Rolle während der französischen Militäroperation Turquoise in Ruanda ebenfalls Fragen aufwirft. Er soll Vorwürfen zu Folge mit einem der Völkermord-Verantwortlichen der Hutus kollaboriert haben soll. Das alles lässt nicht unbedingt darauf hoffen, dass die französische Staatsführung mit der Aufarbeitung der Geschehnisse in Ruanda in naher Zukunft beginnen wird.