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Rudelsingen
Ein Trend kommt nach Magdeburg

Rudelsingen ist im Trend. Seit 2011 existiert die Veranstaltungsreihe, bei der sich hunderte Menschen treffen und zusammen singen. Begleitet werden sie von einem Dirigenten und einem Musiker, die Texte werden per Beamer an die Wand geworfen. Nun gibt es das auch in Magdeburg.

Von Christoph Richter | 19.10.2018
    Christine Wollf: Vorsängerin beim Rudelsingen in Magdeburg.
    Christine Wollf: Vorsängerin beim Rudelsingen in Magdeburg. (Deutschlandradio / Christoph Richter)
    Es dauert nicht mal eine Sekunde, und schon singen sie alle, die Besucher des sogenannten Ersten Magdeburger Rudelsingens. Eine Art Singe-Bewegung, Massen-Karaoke und Schlager-Move.
    Das Publikum ist gemischt, zwischen 30 und 80, fast alles Frauen. Nur wenige Männer. Man lacht, singt aus voller Inbrunst. Die schlechte Laune, die Magdeburger so oft mit sich tragen, sie gibt es nicht beim Rudelsingen.
    "Ich habe schon mal bei einer Massenkaraoke mitgemacht und das hat mich sehr glücklich gemacht. Schön schief zu singen. Deswegen wollte ich es heute direkt nochmal probieren."
    "Ich finde es eine tolle Idee, weil man sich die Scheu vorm Singen mal nimmt. Man muss nicht singen können. Hier kann man ein bisschen unbeschwerter sein."
    Gute Laune für alle
    Das sogenannte Rudelsingen ist ein neuer Trend. Seit zwei Jahren gibt es das jetzt auch in Ostdeutschland. Nun auch in Sachsen-Anhalt. Angeleitet wird es von der Potsdamer Opern- und Konzertsopranistin Christine Wolff.
    "Beim Rudelsingen ist das ganz Besondere, dass hier endlich die Menschen zum Zuge kommen, die sonst nie im Chor singen. Entweder die Stimme reicht nicht. Oder sie trauen es sich nicht. Oder sie wollen keine schweren Stücke singen. Und die können zum Rudelsingen kommen. Weil es Rudel heißt, darf es schief klingen. Aber es klingt nie schief. Es klingt gut"
    Christine Wolff – die ursprünglich aus Wolfen bei Bitterfeld kommt, in Leipzig Musik studiert hat – will die Herzen öffnen, sagt sie. In Zeiten der Polarisierung sei das doch mal die Möglichkeit, alle Menschen zusammenzubringen. Christine Wolff lächelt, als ob sie von ihrer Idee selbst ein wenig berauscht ist.
    "Da braucht es keinen Parteienklüngel, da ist die politische Ausrichtung egal. Die Menschen kommen verbindend miteinander zusammen."
    Ähnlich sieht es ihr Sohn, der 28jährige Alexander Capristan. Philosoph und Pianist.
    "Und in der heutigen Welt, wo soviel auseinander driftet, ist es wichtig, die die Leute verbinden. Und die müssen eben einfach sein. Und das Singen ist schon immer eine einfache Möglichkeit gewesen."
    Von ABBA bis Zappa
    Mutter und Sohn präsentieren in Magdeburg im Theater in der Grünen Zitadelle im Hundertwasserhaus einen illustren Mix aus Schlagern sowie Kult-, Rock- und Pop-Hits. Ob ABBA, Beatles, Pink Floyd, Nena oder Udo Lindenberg das Repertoire ist breit. Mit dabei auch Ostklassiker, wie Karat oder Nina Hagen.
    "Also, wir haben ja in der ehemaligen DDR ganz anderes Repertoire von Kindheit an gepflegt und pflegen müssen. Und diese Generation kommt hierher und singt. Deswegen sind wir Team Wolff, das Team Ost. Damit die Leute auch wissen – nicht nur natürlich – das wir auch Lieder aus ihrer Kindheit und Jugend bringen."
    Die Fakten liegen auf der Hand: Forschungen haben nachgewiesen, wenn man nur wenige Minuten singt, dass unser Gehirn dann schon erhöhte Anteile von Glückshormonen ausstößt. Im Gegenzug dazu werden Stresshormone abgebaut. Und Experten sagen: Wer singt, lebt gesünder. Ist fröhlicher und empathischer.
    Veranstalterin und Sopranistin Christine Wolff würde das Rudelsingen daher gern mal mit Politikern machen. Ihr Vorschlag: Vor den Bundestags- und Landtagssitzungen sollten sie alle mal zusammen und gemeinsam kräftig singen.
    "Ganz ehrlich: Das ist ein Traum von mir. Und ich glaube, das werden wir sicherlich irgendwann angehen. Die Staatskanzlei in Potsdam hat schon angefragt, ob man so ein Singen mal machen kann. Ich finde, dass das die Politiker wirklich brauchen."
    Beim Trend Rudelsingen geht es weder um bierseliges Mitgrölen, noch um die große Show. Es geht nur um stressfreies Singen, ganz ohne Leistungsdruck.
    In der klassischen Musik wird das Konzept belächelt. Pianist Alexander Capristan winkt genervt ab:
    "Ja, tatsächlich. Es gibt einige in meinem Umfeld, die da die Nase rümpfen. Ja, da kann ich nur entgegnen: Macht eure Avantgarde-Musik, wo dann drei Leute kommen, mit Rollkragen-Pullover und Rotwein-Glas. Bei uns ist das reale Leben."