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Rudolf Dreßler zu Israel
"In Wahrheit will Netanjahu keine Zwei-Staaten-Lösung"

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu ist nach Ansicht von Rudolf Dreßler, dem ehemaligen deutschen Botschafter in Israel, nicht an einem lebensfähigen palästinensischen Staat interessiert. Es sei Aufgabe der Staatengemeinschaft, immer wieder den Versuch zu Friedensverhandlungen anzustoßen, sagte er im DLF. Im Augenblick gebe es dafür aber kaum eine Perspektive.

Rudolf Dreßler im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker | 16.02.2016
    Der ehemaliger deutsche Botschafter in Israel, Rudolf Dreßler, SPD
    Der ehemaliger deutsche Botschafter in Israel, Rudolf Dreßler, SPD (picture alliance / dpa / Karlheinz Schindler)
    Europa habe dem Konflikt im Nahen Osten nicht zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt, im Gegenteil, so Dreßler, der ehemaliger deutsche Botschafter in Israel. Die Themen Friedensprozess, palästinensische Autonomie, Zwei-Staaten-Lösung und die Schwierigkeiten mit der augenblicklichen Regierungspolitik Israels seien stets von hohem Interesse gewesen.
    Es gebe auch in der Bundesregierung eine kritische Haltung zur aktuellen israelischen Regierungspolitik, allerdings sei Bundeskanzlerin Angela Merkel klug genug, dahingehende Verhandlungen "nicht mit dem Holzhammer" zu führen, so Dreßler.
    Netanjahu habe den Palästinensern in den vergangenen Jahren nicht die Möglichkeit gegeben, ein lebensfähiger Staat werden zu können. Immer mehr käme er zu dem Schluss, dass dieser eine Zwei-Staaten-Lösung nicht "als ultima ratio innerhalb dieses Nahost-Konfliktes begreift". Der Ex-Botschafter meint, es sei Aufgabe der Staatengemeinschaft, immer wieder den Versuch zu Friedensverhandlungen anzustoßen.

    Das Interview in voller Länge:
    Ann-Kathrin Büüsker: Erhöhtes Sicherheitsaufgebot heute in Berlin, nicht etwa wegen der Berlinale, auch wenn da natürlich ebenfalls auf die Sicherheit geachtet wird. Nein: Es war heute der Besuch der israelischen Regierungsdelegation um Benjamin Netanjahu, der die Sicherheitskräfte in Atem gehalten hat. Deutsch-israelische Regierungskonsultationen standen auf dem Programm-.
    Vor dieser Sendung habe ich dazu mit Rudolf Dreßler gesprochen. Der SPD-Politiker war von 2000 bis 2005 deutscher Botschafter in Israel. Mit Blick auf die andauernde Gewalt zwischen Palästinensern und Israelis und dem komplett brach liegenden Friedensprozess wollte ich von ihm wissen, ob wir im Angesicht der anderen Krisen im Nahen Osten in Israel zu lange weggeguckt haben und den Konflikt ein wenig missachtet haben.
    Rudolf Dreßler: Ich glaube nicht, dass nach den Erfahrungen, die ich gemacht habe, zu wenig Aufmerksamkeit in der Region Naher Osten von Seiten Europas an den Tag gelegt wird, auch nicht von Seiten Deutschlands. Im Gegenteil: Das Thema selbst, Naher Osten, Friedensprozess, palästinensische Autonomie, Zwei-Staaten-Lösung, die Schwierigkeiten mit der augenblicklichen Regierungspolitik in Israel, die haben hohes Interesse und sind sehr gefragt. Ich kann also nicht erkennen, dass wir dem nicht genug Aufmerksamkeit schenken würden.
    Büüsker: Dann anders gefragt. Waren wir nicht kritisch genug mit dem, was Israel tut?
    Dreßler: Wenn ich mir die Stellungnahmen etwa aus den Reihen der Vereinigten Staaten, der Europäischen Union, auch aus Deutschland vergegenwärtige, dann ist die Haltung zu der augenblicklichen israelischen Regierungspolitik sehr, sehr kritisch bis äußerst kritisch. Wir haben in vielen Dingen völlig andere Auffassungen innerhalb der Europäischen Union, etwa beim Siedlungsbau, etwa bei der Zwei-Staaten-Lösung, etwa in der Behandlung des Atomprogramms des Iran. Da kann ich nicht erkennen, dass wir nicht kritisch genug sind. Auch einzelne Abgeordnete aus den Fraktionen parteiübergreifend im Bundestag äußern sich zeitweise sehr, sehr kritisch.
    Büüsker: Das ist ja im Prinzip auch das, was die Kanzlerin 2012 festgestellt hat. Man ist sich einig, dass man sich uneinig ist. Aber trotz der vielen Kritikpunkte, die es neben den offiziellen Gesprächen gibt, bei den heutigen Regierungskonsultationen hat die Kanzlerin all diese Kritikpunkte nicht angesprochen. Warum nicht?
    Dreßler: Ich habe gelesen - ich war ja bei den Gesprächen logischerweise nicht dabei -, dass sie sehr wohl im Vorfeld dieses Besuchs auch kritische Anmerkungen gemacht hat und erklärt hat, dass sie diese Dinge zur Sprache bringen wollte. Sie ist klug genug, dass sie nicht über, ich sage es mal bildhaft, die Deutsche Presseagentur den Dialog mit dem israelischen Ministerpräsidenten öffentlich macht. Das hat übrigens auch niemand ihrer Vorgänger gemacht, auch kein Außenminister vor ihr gemacht. Und deshalb kann ich nicht erkennen, dass sie deshalb im Innenverhältnis nicht kritische Töne anmerkt, was sie übrigens auch im Vorfeld der Regierung Netanjahu gemacht hat. Da hat sich im Grunde nichts verändert. Nur es ist, denke ich mal, politisch klug, nun nicht mit dem Holzhammer einen solchen regierungsamtlichen gegenseitigen Besuch zu beschweren.
    Büüsker: Welche Verhandlungsmasse hat Deutschland denn überhaupt? Oder anders gefragt: Welches Gewicht hat die deutsche Stimme bei Benjamin Netanjahu?
    Dreßler: Ob sie bei Benjamin Netanjahu mehr Gewicht hat als bei anderen Ministerpräsidenten, kann ich jetzt nicht untersuchen. Ich kann nur konstatieren, dass die Haltung von Netanjahu in der Frage Siedlungspolitik, in der Frage Plattform für eine Zwei-Staaten-Lösung, das heißt der palästinensischen Autonomie die Chance zu eröffnen, überhaupt ein lebensfähiger Staat werden zu können, dass Netanjahu diese Möglichkeiten in den vergangenen Jahren nicht eröffnet hat und dadurch auch nicht die Bereitschaft für mich jedenfalls hat erkennen lassen, dass er eine Zwei-Staaten-Lösung als ultima ratio innerhalb dieses Nahost-Konfliktes begreift. Ich komme immer mehr zu dem Ergebnis, dass er in Wahrheit eine Zwei-Staaten-Lösung überhaupt nicht will.
    Büüsker: Jetzt hat Frankreich heute offiziell in Israel eine Initiative zur Wiederaufnahme von Friedensgesprächen vorgestellt zwischen Israel und den Palästinensern. Wie beurteilen Sie das?
    Dreßler: Wenn es die europäische Gemeinschaft, die westliche Staatengemeinschaft nicht tut, die Vereinigten Staaten es nicht machen würden, wer soll es denn sonst machen. Von Seiten der Israelis kommt nichts, von Seiten der palästinensischen Autonomie kommt auch nichts, es kommen nur Beschwernisse, es kommen nur Konfliktpotenziale, immer wieder neue. Und deshalb ist es Sache der Staatengemeinschaft, immer wieder den Versuch zu machen, auf dem Verhandlungswege dann doch noch zu einem Verfahren zu kommen, was die Neuauflage von Friedensverhandlungen ermöglichen könnte.
    Büüsker: Und wie viele Chancen räumen Sie dem Ganzen ein?
    Dreßler: Im Augenblick sehe ich, was die israelische Regierungsposition betrifft und die der palästinensischen Autonomie, keine Perspektive, die uns kurzfristig, mittelfristig zu einer neuen Begründung von Verhandlungen führen könnte.
    Büüsker: Rudolf Dreßler war das hier im Deutschlandfunk. Das Interview haben wir vor der Sendung aufgezeichnet.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.