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Rückhalt des georgischen Amtsinhabers schrumpft

Am Montag wählt Georgien ein neues Parlament. Das Land ist polarisiert wie lange nicht. Erstmals seit der Rosenrevolution 2003 hat das Lager um Präsident Micheil Saakaschwili einen ernstzunehmenden Konkurrenten: den Milliardär Bidzina Iwanischwili.

Von Gesine Dornblüth | 28.09.2012
    Die Siedlung Tserowani: weiße und hellgrüne Häuschen, in immer gleichen Abständen, eines wie das andere - insgesamt 2000. Dazwischen staubige Schotterpisten, Sonnenblumen, Mais. Bis Tiflis ist es eine knappe Stunde mit dem Auto. Die Häuser wurden nach dem Augustkrieg 2008 für die Vertriebenen aus Südossetien gebaut. Es gibt eine Schule, eine Papierfabrik. Lia betreibt einen kleinen Laden. Sie steht zwischen Kühltruhen und Regalen mit Speiseöl, Mehl, Nudeln. Sie lebt mit Kindern und Enkeln in Tserowani.

    "In meiner Familie haben alle Arbeit. Und wir kommen zurecht. Aber wenn man krank wird, fangen die Probleme an. Wir sind zwar über unseren Arbeitgeber krankenversichert – anders als die Arbeitslosen. Aber so etwas wie Computertomografie oder bestimmte Untersuchungen bezahlt die Versicherung nicht. Ich wurde gerade operiert. Die Analysen wurden in der Schweiz gemacht. Und das musste ich selbst bezahlen."

    Dabei hat sie sich verschuldet. Gesundheitsversorgung und Arbeit sind denn auch die großen Themen der Parlamentswahl in Georgien. Beide Lager, sowohl die Regierungspartei von Staatspräsident Micheil Saakaschwili, als auch der "Georgische Traum", die Koalition des Milliardärs Bidzina Iwanischwili, versprechen, mehr für die Menschen zu tun. Die Ladenbesitzerin Lia mag nicht sagen, wen sie wählen wird.

    "Ich habe mich noch nicht entschieden. Die Regierung hat viel getan. Anders, als früher, werden die Renten regelmäßig gezahlt. Es gibt Strom und Gas. Hauptsache, Georgien kommt zur Ruhe und wir haben Frieden."

    Die Vertriebenen aus den abtrünnigen georgischen Gebieten Abchasien und Südossetien waren bisher Saakaschwilis treueste Klientel.
    Bereits in den 90er-Jahren hatten sie die Regierung unterstützt. Als Saakaschwili vor acht Jahren an die Macht kam, versprach er, die abtrünnigen Gebiete wieder zurückzuholen – und nahm die Vertriebenen damit für sich ein. Er scheiterte. Die Vertriebenen blieben ihm trotzdem treu. Nicht einmal der Krieg 2008 konnte Saakaschwilis Rückhalt in diesem Teil der Bevölkerung nennenswert schmälern. In diesem Herbst aber scheint sich das zu ändern und zwar nicht erst seit Bekanntwerden der Foltervideos aus georgischen Gefängnissen in der vergangenen Woche. Das Stimmverhalten der Vertriebenen könnte wahlentscheidend sein, es sind mehrere 100.000.

    Eine Frau schlendert über eine staubige Piste. Ketevan Gigauri ist 57, zu jung für die Rente. Sie lebt von Sozialhilfe, die reicht nur für das Allernötigste.

    "Wenn du keinen Verwandten bei der Regierung hast, dann bekommst du keinen Arbeitsplatz, jedenfalls nicht hier in der Siedlung.
    Wer Beziehungen hat, dem geht es gut. Wer keine hat, dem geht es schlecht. Die Leute hier sind arm, sie haben genug von der Regierung."

    Ketevan Gigauri zeigt ihr Haus: drei kleine Räume, ein Tisch, Stühle, zwei Betten, eine Kochecke mit Gasherd, eine Dusche. Nach der Flucht aus Südossetien hatte sie nichts mehr. Alles wurde nach dem Krieg von der Regierung und von Hilfsorganisationen gestellt. Auf dem Fußboden stehen drei Kisten mit Tomaten. Ketevan Gigauri will Gemüse einkochen für den Winter.

    "Viele Leute hier in der Siedlung haben kein Geld, um Strom und Gas zu bezahlen. Ich spare lieber am Essen. Auf Licht kann ich nicht verzichten. Seit dem Krieg 2008 habe ich panische Angst vor der Dunkelheit."

    Sie zeigt auf den Fernseher. Dort läuft der Wahlwerbespot einer kleinen Oppositionspartei, der Christdemokraten. Es ist die einzige Kraft, die neben der Regierungspartei von Präsident Micheil Saakaschwili und dem "Georgischen Traum" von Milliardär Iwanischwili eine Chance hat, ins Parlament einzuziehen.

    "Saakaschwili baut ein neues Regierungsgebäude nach dem anderen. Was soll ich mit den hübschen Bauten, wenn ich nichts zu essen habe?"

    Von einem Machtwechsel erhofft sich Gigauri vor allem eins: Arbeit.