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Rückkehr zu den musikalischen Wurzeln

Er gilt als einer der ganz großen Geschichtenerzähler im Musikgeschäft: 1962 veröffentlichte Bob Dylan sein erstes Studioalbum. Mit "Tempest" kehrt er 50 Jahre später zu seinen musikalischen Wurzeln zurück und erzählt von Verlust, Reue und Rache.

Von Richard Knoll | 11.09.2012
    Nein, der Titel von Bob Dylans 35. Studioalbum "Tempest" hat nichts mit dem ähnlich betitelten letzten Werk von William Shakespeare zu tun. Das verriet Dylan schon vor Erscheinen des Albums dem "Rolling Stone". "Sturm" und "Der Sturm" seien nun mal zwei Titel.

    Die Spekulationen, dass Dylan nun mit seinem Sturm wie Shakespeare sein Abschiedswerk vorgelegt hat, halten trotzdem an. Tja, ein neues Dylan-Album bedeutet immer auch ein bisschen Rätselraten. Sicher ist aber, dass durch Dylans neues Album ein Sturm weht, der wenig unversehrt lässt. "Tempest" ist eines von Dylans dunkelsten Werken.

    Seit Dylans Debütalbum ist gut ein halbes Jahrhundert vergangen – nach 50 Jahren Musikgeschichte, die er zu einem Großteil mitgeschrieben hat, kann er aus einem riesigen Fundus schöpfen und daraus Neues schaffen. Zusammen mit seiner Tourband wandert er auf "Tempest" wieder tief im verstaubten Archiv der traditionellen amerikanischen Musik.

    Konsequent setzt er damit seinen Weg zu den eigenen Wurzeln fort. Zu den Traditionen, die ihn hervorgebracht haben. So zitiert Dylan auf "Tempest" etwa seinen Mentor Woody Guthrie. Und der Song "Early Roman Kings" erinnert schwer an Muddy Waters "Manish Boy".

    Dass Dylans Sturm ein apokalyptischer ist, wird im Verlauf des Albums immer deutlicher. Tod, Reue, Verlust und Unglück ziehen sich schwer durch "Tempest". So auch beim eindringlichsten und besten Song des Albums "Tin Angel", in dem sich Dylan wieder einmal als ganz großer Geschichtenerzähler erweist. "Tin Angel" erzählt die alte Geschichte dreier Liebender um Betrug und Rache, die keiner der Drei überleben soll. Zu einer Musik, die unverändert tickt, wie eine ablaufende Uhr.

    Während Dylan in "Desolation Row" - einem seiner früheren epischen Songs - die Titanic noch schwimmen ließ, lässt er sie heute untergehen: in mehr als 40 Strophen im Walzertakt - in einem schunkeligen Shanty. Stimmig insofern, als dass das letzte auf der Titanic gespielte Lied ebenfalls ein Walzer gewesen sein soll. Weniger stimmig, weil das Ganze dadurch doch sehr gleichförmig daherkommt und dem Ganzen damit die Spannung nimmt. Da hilft auch Dylans verwitterte Stimme und markante Betonung nicht viel.

    "Tempest" ist ein Album mit soliden Dylan-Songs und ein paar großen Liedern, die bleiben werden. Dylans lyrische Stärke - für die er unter anderem auch mit Pulitzerpreis dekoriert wurde - bleibt ungebrochen. Ob es in diesem Jahr für den Nobelpreis Literatur reicht, ist wieder mal mehr als fraglich. Auch, ob Dylan sich nun mit seinem Sturm wie Shakespeare von der Kunst verabschiedet, bleibt natürlich offen. Das Rätselraten darf also weitergehen. Bei Shakespeare entsagt übrigens am Ende die Hauptfigur Prospero - die gerne als Shakespeares Alter Ego gesehen wird - seinen magischen Kräften. Davon ist auf Dylans "Tempest" sicher noch nichts zu spüren.