Freitag, 19. April 2024

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Rückkehrer in Tunesien
"Individuelle Fortbildungen helfen nur zu einem Stück"

Die Grünen-Politikerin Franziska Brantner hält die Eröffnung des deutsch-tunesischen Reintegrations-Zentrums grundsätzlich für sinnvoll. Um Tunesien jedoch wirklich zu unterstützen, brauche man ganz andere Maßnahmen. Das Land müsse langfristig Zugang zum Europäischen Markt erhalten, sagt sie im DLF.

Franziska Brantner im Gespräch mit Mario Dobovisek | 03.03.2017
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    Mario Dobovisek: Beide sind auf Reisen in Nordafrika, und zwar unabhängig voneinander, Entwicklungsminister Gerd Müller und Bundeskanzlerin Angela Merkel. Sie treffen sich heute in Tunesien, was als gemeinsames Auftreten offenbar noch einmal mehr Nachdruck in der Debatte um ein mögliches Flüchtlingsabkommen geben soll. Auch ein deutsch-tunesisches Zentrum soll bei der Reintegration von Rückkehrern helfen.
    Am Telefon begrüße ich Franziska Brantner, für die Grünen im Bundestag. Sie beschäftigt sich bereits seit Jahren mit den Maghreb-Staaten und dem Nahen Osten. Ich grüße Sie, Frau Brantner.
    Wening Chancen für Rückkehrer
    Franziska Brantner: Hallo! Guten Tag.
    Dobovisek: Haben den Rückkehrer nach Tunesien dort eine realistische Chance?
    Brantner: Rückkehrer haben dort genau die gleichen Chancen oder eher sogar noch weniger als viele, die in Tunesien geblieben sind und auf dem Arbeitsmarkt keinen Fuß fassen, weil die wirtschaftliche und soziale Lage in Tunesien nicht vorankommt. Der Tourismus ist ins Stagnieren gekommen nach den Attentaten, auch die Exporte sind schwierig. Das heißt, wir haben eine schwierige Lage in Tunesien, und da helfen natürlich individuelle Fortbildungen und Weiterbildungen immer, aber nur zu einem Stück. Deswegen ist natürlich fraglich, inwieweit jetzt dieses Projekt bestimmt auch vielen einzelnen helfen kann. Aber ob es den großen Unterschied macht, ich glaube, da muss man an die Wirtschaft an sich heran.
    Dobovisek: Ist es aber zumindest erst mal ein sinnvoller Versuch?
    Brantner: Es ist ein sinnvoller Versuch. Aber seitens Entwicklungsminister Müller und Kanzlerin Merkel wurde in den vergangenen Wochen und Monaten darum gerungen, zum Beispiel wieviel Olivenöl aus Tunesien in die EU importiert werden darf. Da wurden jetzt großzügigerweise für zwei Jahre lang eine größere Menge vereinbart, aber nur für zwei Jahre. Ja wer investiert denn dann in Tunesien größere Anlagen, wenn sie wissen, in zwei Jahren ist der Zugang zum Markt der EU wieder zu? Das sind die Fragen, an denen sich wirtschaftliche Perspektiven Tunesiens festmachen, und da habe ich leider eine deutsche starke Kraft vermisst, die sich für einen Marktzugang für Tunesien eingesetzt hat, die klar gesagt hat, mit zwei Jahren Begrenzung, dann kann man es auch gleich sein lassen. Und das ist nur eines der kleinen Beispiele. Das sind eigentlich die großen Räder, um die es geht, und ich würde mir so viel Kraft und Energie, wie jetzt der Minister und die Kanzlerin dort einbringen, gerne in dieser Richtung wünschen.
    Beratung für alle Tunesier möglich machen
    Dobovisek: Aber irgendwo muss man ja anfangen und dann ist es ja durchaus ein sinnvoller Schritt, Beratungsmöglichkeiten zu schaffen, ohne gleich das große Rad insgesamt drehen zu müssen.
    Brantner: Ich sage ja nicht, dass man das eine nicht machen kann. Aber man sollte das andere nicht deswegen immer vernachlässigen. Und ich glaube, die Beratung wird vor Ort bestimmt auch hilfreich sein. Ich finde es wichtig, dass es nicht nur für Rückkehrer ist, sondern für alle Tunesier auch offensteht, weil sonst ist es auch eine Diskriminierung für die Tunesier vor Ort, die geblieben sind, und man will ja gerade auch Anreize geben, nicht das Land zu verlassen. Von daher ist das schon mal richtig aufgesetzt. Aber solange es nicht auch mehr Jobs gibt in Tunesien – dann bildet man die weiter aus, und in Tunesien ist ja gerade die Arbeitslosenrate der Akademiker besonders hoch, also derjenigen, die sogar qualifiziert sind. Das heißt, häufig liegt es nicht unbedingt nur an der Qualifizierung, sondern dass es einfach keine Jobs gibt, und deswegen ist die andere Frage mindestens genauso wichtig.
    Dobovisek: Wir haben es gerade gehört, es gibt noch wenige Rückkehrer, und das ist dann auch der zweite wichtige Punkt bei dem Treffen heute in Tunis: ein Flüchtlingsabkommen mit Tunesien. Wir hören, dass es heute unterschrieben werden könnte. Im Kern geht es dabei um Geld gegen schnellere Übermittlung von Pässen, damit tunesische Staatsbürger abgeschoben werden können. Wir erinnern uns: Der Attentäter von Berlin konnte wegen fehlender Papiere nicht abgeschoben werden. Wie wichtig ist dieses Abkommen?
    Brantner: Es ist wichtig, dass hier jetzt die Verfahren, die in den letzten Wochen und Monaten ja auch schon etabliert wurden, schriftlich anscheinend noch mal wirklich fixiert werden und man sich noch mal darauf verständigt, dass es schneller geht. Als der tunesische Gegenbesuch in Deutschland war, wurde ja auch damals schon signalisiert, dass man daran arbeitet und bereit ist, auch die Verfahren zu beschleunigen, und dass es nicht immer unbedingt nur an der politischen Spitze hängt, sondern auch manchmal an den Ministerien, dass man da jetzt besser hinschauen will. Das ist notwendig, aber auch da fragt man sich natürlich manchmal, warum das jetzt erst alles kommt. Auf europäischer Seite wird da auch schon seit Jahren dran verhandelt, ohne wirklich die Unterstützung der Mitgliedsländer. Es heißt, das ist ein wichtiger Teil. Was mir Sorgen macht ist, dass Frau Merkel vorgibt, sie würde etwas gegen die große Flüchtlingswelle, die über Nordafrika nach Europa kommt, tun. Dafür ist sie aber einfach in den falschen Ländern. Wir wissen alle, eigentlich geht es um Libyen, und das ist, sage ich mal, der große Elefant, der im Raum steht. Nach Libyen kann sie nicht, ist ja auch viel zu gefährlich. Es gibt dort auch keine Regierung, die sie wirklich treffen könnte.
    "Da sind Verfahren zu verbessern"
    Dobovisek: Lassen Sie uns auf Libyen später noch mal zurückkommen, auf den großen Elefanten, wie Sie ihn nennen. Lassen Sie uns bitte noch mal kurz bei dem Abkommen bleiben. Damit ich das richtig verstehe: Jetzt zahlt die Bundesregierung möglicherweise viel Geld für eine Selbstverständlichkeit, nämlich das Ausstellen von Pässen für eigene Staatsbürger. Ist das richtig?
    Brantner: Soweit ich verstanden habe, geht es da nicht nur um Gelder, sondern zum Beispiel auch um die Frage der Visaliberalisierungen im Gegenzug für Studierende, für Geschäftsleute. Das ist nicht unbedingt nur eine Geldfrage, sondern die Möglichkeit zu sagen, wir machen Verfahrensbeschleunigung auf beiden Seiten, die beiden Seiten helfen. Wie Sie es gesagt haben: Es ist natürlich eine Selbstverständlichkeit, dass Menschen zurückgenommen werden. Das Problem ist ja, dass die meistens keine Papiere haben, und dann wird es immer kompliziert. Aber das ist ja kein Grund, dass die Menschen auch dann zurückgenommen werden müssen, wenn es die Staatsbürger Tunesiens sind, und da sind Verfahren zu verbessern. Das haben wir ja auch als Grüne immer eingefordert.
    Dobovisek: Ist die tunesische Regierung einfach überfordert?
    Brantner: Die hat natürlich auch andere Probleme. Es ist ja nicht nur so, dass Tunesien gerade in einer einfachen Situation wäre, sei es in seiner Region, noch wirtschaftlich-sozial. Es hat außerdem noch einen schwierigen Demokratisierungsprozess durchzumachen und kämpft natürlich an ganz vielen Fronten. Und in Tunesien ist auch die Stimmung für die Heimkehrer nicht die willkommensheißenste. Von daher ist es auch ein politisch sensibles Thema für die tunesische Regierung. Die gehen das jetzt an, das ist auch richtig und notwendig, aber man kann auch nachvollziehen, dass es vielleicht unter all den großen schwierigen Themen nicht immer das erste Thema war.
    "Wir sind strikt gegen europäische Auffanglager in Nordafrika"
    Dobovisek: Das Wort Auffanglager kam schon beim Berlin-Besuch des tunesischen Premiers vor gut zwei Wochen nicht mehr vor, zumindest nicht mehr öffentlich. Stattdessen wird weiter von Lagern in Libyen gesprochen. Sie haben den großen Elefanten, wie Sie sagen, schon angesprochen. Wir haben das auch heute Morgen wieder vom FDP-Europaabgeordneten Graf Lambsdorff im Deutschlandfunk gehört. Braucht Nordafrika europäische Auffanglager?
    Brantner: Wir sind strikt gegen europäische Auffanglager in Nordafrika, weil dort die Menschenrechtssituation es gar nicht hergibt. In Libyen haben wir keinen existierenden wirklichen Staat, auch keine wirklich anerkannte und funktionierende Regierung, und die Lager, die es dort gibt, sind KZ-ähnlich nach allen Berichten, die wir gesehen haben.
    Dobovisek: Aber genau da setzt Graf Lambsdorff ja an und sagt, da müssen wir als Europa die Situation verbessern.
    Brantner: Da bin ich auf seiner Seite zu sagen, wir finanzieren und unterstützen die Vereinten Nationen, dass sie die Lager, die Situation dort verbessern. Aber es ist ja ein Unterschied, ob Sie sagen, ich möchte die Situation in den Lagern verbessern, oder ob Sie sagen, ich möchte daraus Auffanglager, Rücknahmelager für uns Europäer machen. Das sind zwei Paar Schuhe. Ich bin immer dabei, wenn wir sagen, wir werden unseren Druck dafür einsetzen, dass die UN Zugang hat zu diesen Lagern, dass sie menschenwürdiger ausgestattet sind. Da bin ich an seiner Seite. Aber zu sagen, dahin werden wir alle zurückschicken, die aus Europa kein Asyl bekommen, weil wir sie in ihre eigenen Länder nicht abschieben können, da gehen wir nicht mit, weil das ist menschenrechtlich mit der Genfer Flüchtlingsrechtskonvention nicht mehr möglich. Tunesien und Ägypten haben ja ganz klar gesagt, dass sie solche Lager nicht wollen. Ich finde, das haben wir auch zu respektieren. Und dann fragt sich, was sollen diese ganzen Lager-Diskussionen, wenn sie keinerlei Grundlage zur Realisierung momentan überhaupt haben.
    Dobovisek: Franziska Brantner, Bundestagsabgeordnete der Grünen. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
    Brantner: Ich danke Ihnen auch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.