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Rücknahme von Flüchtlingen
Ostry: Nachdrücklicher mit Maghreb-Staaten verhandeln

Vorschläge wie der, den Maghreb-Staaten wegen mangelnder Kooperation bei der Rücknahme von Flüchtlingen die Entwicklungshilfe zu streichen, seien populistisch, sagte Hardy Ostry, der Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Tunesien, im DLF. Er mahnte, man müsse stärker auf eine Kooperation mit Algerien und Marokko drängen. Es gebe genug Verhandlungsmasse.

Hardy Ostry im Gespräch mit Christine Heuer | 19.01.2016
    Ein gerade angekommener Asylbewerber steht mit seinem Koffer am Eingang zu Mecklenburg-Vorpommerns zentraler Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge in Horst bei Boizenburg (Mecklenburg-Vorpommern).
    Flüchtlinge in der Erstaufnahmeeinrichtung Horst bei Boizenburg (Mecklenburg-Vorpommern). (dpa / Jens Büttner)
    Ostry sagte, aus Sicht von Marokkanern und Algeriern wirke Europa wie ein verführerisches Paradies. Die meisten Regierungen informierten ihre Staatsbürger zwar, dass es kaum Chancen auf eine Anerkennung als Flüchtling gebe. Dennoch sähen viele eine Möglichkeit, in Europa selbst als illegale Einwanderer mehr Wohlstand und mehr Sicherheit zu erreichen. Mit Blick auf die Kriminalität nordafrikanischer Einwanderer in Europa betonte Ostry, die Ursachen dafür seien nicht rein kulturell bedingt.
    Der Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Tunesien sagte, es sei schwierig, dass die Maghreb-Staaten auf einem Nachweis bestünden, dass die abgelehnten Asylbewerber tatsächlich aus ihrem Land stammten. "Das ist problematisch, weil die meisten die Pässe wegschmeißen und eine Verifizierung schwierig ist." Deshalb müsse man stärker auf eine Kooperation mit diesen Ländern drängen.
    Den Vorstoß von Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD), die Entwicklungshilfe zu kürzen, falls die Menschen nicht zurückgenommen würden, bezeichnete Ostry als populistisch. "Wie es aussähe ohne Entwicklungszusammenarbeit für Europa, diese Frage müsste man auch mal stellen." Es gebe zudem genug Verhandlungsmasse: Zum Beispiel die sogenannten Transformationspartnerschaften, ein Budget des Auswärtigen Amtes für Projekte nach dem Arabischen Frühling.

    Christine Heuer: Es sind schwierige Tage für Angela Merkel, sicher die bislang schwierigsten in ihrer Kanzlerschaft. Die CSU hat sich längst vom flüchtlingspolitischen Kurs Merkels verabschiedet, in der CDU gärt es gewaltig, zuletzt hat auch die SPD davor gewarnt, dass die Zeit davonrenne, und entschiedene Maßnahmen zur schnelleren Abschiebung wenigstens mancher Flüchtlingsgruppen gefordert.
    Wir wollen gleich bei dem Thema bleiben, zum Beispiel bei den Forderungen von Sigmar Gabriel mit Blick auf die Maghreb-Staaten. Wie zielführend sind seine Pläne? Wie sieht er eigentlich aus, der Alltag, vor dem immer mehr junge Nordafrikaner flüchten? Fragen jetzt an Hardy Ostry, den Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Tunesien. Guten Morgen, Herr Ostry.
    Hardy Ostry: Guten Morgen!
    Heuer: Der Zuzug von Nordafrikanern, speziell aus den Maghreb-Staaten, hat sich in den letzten paar Wochen verfünffacht, sagen die deutschen Statistiken. Wieso kommen plötzlich so viel mehr Flüchtlinge von dort nach Deutschland?
    Ostry: Ja, weil auch die Flüchtlinge aus Nordafrika natürlich die neuen Routen entdeckt haben und zunehmend über die Westbalkan-Route kommen. Die klassischen Routen über Libyen und über Spanien sind durch den europäischen Grenzschutz mehr oder weniger versperrt, so dass man jetzt auch die neuen Möglichkeiten nutzt und im Schatten der syrischen Flüchtlingswelle natürlich auch diese Routen genutzt hat.
    Heuer: In Tunesien - das ist interessant - bleiben die Flüchtlingszahlen konstant niedrig im Vergleich zu Marokko und Algerien. Woran liegt das?
    Ostry: Ja das liegt sicherlich zum einen daran, dass Tunesien trotz der relativ fragilen Situation im Land immer noch in der Lage ist, hier die Grenzkontrollen einigermaßen sicher durchzuführen, man aber von Algerien und Marokko aus auch aufgrund der Visafreiheit natürlich leichte Hand hat, nach Syrien zu kommen oder auch nach Ägypten, um von dort aus dann über die Balkan-Route nach Europa zu gelangen.
    "Über 50 Prozent der Gesellschaft hier sind unter 35 Jahre alt"
    Heuer: Verglichen mit Schwarzafrika geht es dem Maghreb gut. Wir wollen mit Ihnen sprechen über die Lage dort. Wie groß ist denn die wirtschaftliche Not in Tunesien, Marokko oder Algerien?
    Ostry: Wie Sie in der Tat sagen. Es im Vergleich zu Schwarzafrika gesehen geht es den Maghreb-Staaten in der Relation noch gut. Aber wir dürfen eins natürlich nicht vergessen, dass das verführerische Europa, sage ich mal, aus der Perspektive der Maghreb-Staaten ja relativ jung ist - über 50 Prozent der Gesellschaft hier sind unter 35 Jahre alt - natürlich verführerisch nahe liegt und man immer diesen Blick nach Europa hat, nach dem Paradies, gerade für junge Leute, die hier, fünf Jahre nach den Umbrüchen in der Region, doch nicht die Dividende spüren, die man gerne gehabt hätte, gerade wirtschaftlich, dass sich das natürlich als sehr verführerisch ausweist und junge Leute anregt, auch mit Schlepperbanden nach Europa zu gelangen.
    Heuer: Welche Menschen, Herr Ostry, sind es denn dann, die ihr Heil in Europa suchen? Sie sagen immer, sie sind jung. Was sind die denn noch?
    Ostry: Es sind vor allem junge Menschen. Es sind vor allem Menschen, die mit ihrer Ausbildung, seien es junge diplomierte Akademiker, aber auch Menschen ohne Ausbildung, hier keinerlei Perspektive finden. Wir haben in den Maghreb-Staaten eine Arbeitslosenquote von 15 bis 23 Prozent nach offiziellen Angaben. Inoffizielle Angaben dürften weit darüber hinaus liegen, so dass natürlich die Insel Europa sehr, sehr verführerisch ist für diese Menschen.
    Heuer: Unter welchen Umständen leben diese Menschen? Können Sie das mal beschreiben?
    Ostry: Zum Teil leben sie natürlich im Kontext ihrer Familien. Der Familienzusammenhang spielt natürlich eine große Rolle, der sie auffängt. Aber sie sehen natürlich auch, dass es andere Zusammenhänge gibt, wo vermutlich oder scheinbar mehr Perspektiven, mehr Wohlstand und mehr Sicherheit zu erreichen ist, und das macht das Ganze natürlich noch attraktiver für sie, den Weg nach Europa zu suchen.
    "Der zunehmende Terrorismus spielt auch eine Rolle"
    Heuer: Aber ihre Asylaussichten hierzulande stehen schlecht. Das müssten eigentlich auch viele im Maghreb wissen. Ist ein Untergrundleben im reichen Deutschland trotzdem attraktiver für die Flüchtlinge als ein normales Leben zum Beispiel in, sagen wir, Marokko?
    Ostry: Zumindest scheinen es die Zahlen nahezulegen, dass für viele junge Menschen dieser Weg nach Europa, selbst die sogenannte clandestine Migration, also die illegale Migration attraktiver scheint. Die meisten Regierungen hier in der Region informieren natürlich auch ihre Staatsbürger darüber, dass sie kaum Aussichten haben, anerkannt zu werden, aber dennoch scheint Europa attraktiver zu sein, als im Moment hier in der Region zu leben. Und wir dürfen auch nicht vergessen, dass natürlich Phänomene wie der Islamische Staat, der zunehmende Terrorismus natürlich auch hier eine Rolle spielen, den einen oder anderen anzuregen, auch woanders hinzugehen.
    Heuer: Nach der Kölner Silvesternacht wird ja in Deutschland viel diskutiert über die hohe Kriminalitätsrate gerade nordafrikanischer Flüchtlinge. Wie erklären Sie dieses Phänomen?
    Ostry: Ich denke, dass es dafür keine monokausale Erklärung gibt, vor allem auch keine allein kulturell bedingte. Sicherlich ist es so, wenn solche Menschen sich auf den Weg machen aus einer Perspektivlosigkeit hier aus der Region heraus, es vornehmlich auch Männer sind, dass sie dann natürlich aus einer gewissen Isoliertheit heraus vielleicht auch zu Aktionen greifen, die sie ansonsten nicht vollziehen würden.
    Heuer: Das geht Syrern und Irakern aber im Zweifel genauso.
    Ostry: Das ist richtig. Aber ich denke, dass man das jetzt natürlich mit Blick auf die Silvesternacht vorrangig bei Nordafrikanern festgestellt hat, aber auch bei anderen Nationalitäten dieses feststellt. Das ist keine Entschuldigung, das muss geahndet werden und ich denke, dass da sicherlich auch die rechtsstaatlichen Maßnahmen richtig ergriffen werden, dann auch zu einer schnellen Abschiebung zu greifen.
    Heuer: Welche Sprache verstehen Kriminelle dann aus der Region, mit der Sie sich so gut auskennen?
    Ostry: Ich denke, jeder Mensch muss einfach die Sprache des Rechtsstaates verstehen, und ich denke, das ist das gleiche, ob wir in Nordafrika sind oder in Europa oder in Deutschland. Das ist man hier gerade in der Region natürlich ein Stück weit auch am Erlernen, wer zu Gewalt greift oder zur Missachtung anderer, muss entsprechend geahndet werden. Ich denke, das ist das richtige Mittel, da durchzugreifen.
    "Stärker auf die Kooperation drängen"
    Heuer: Die deutsche Regierung will Flüchtlinge aus Marokko und Algerien jetzt schneller abschieben. Die Staaten, die Heimatstaaten, die zeigen sich aber nicht besonders kooperativ. Wie stehen denn die Chancen, dass diese Abschiebungen, über die hier so laut geredet wird, überhaupt funktionieren?
    Ostry: In der Tat, wir haben da ein Problem in dem Sinne, dass die Staaten, Algerien, Marokko, aber auch Tunesien, immer wieder darauf insistieren zu sagen, es muss erst wirklich die Herkunft dieser Menschen aus den respektiven Staaten garantiert gesichert sein. Das ist ein bisschen problematisch, weil die meisten Asylanten natürlich ihre Pässe wegschmeißen und insofern eine Verifizierung schwierig ist. Ich glaube, man muss hier einfach ein bisschen stärker auf die Kooperation mit diesen Ländern drängen. Ich glaube, die Forderung, Entwicklungshilfe einstellen oder Flüchtlinge zurückführen, ist ein bisschen populistisch angelegt. Die Frage ist ja nicht Entwicklungshilfe ja oder nein beziehungsweise Entwicklungszusammenarbeit. Wie es ohne Entwicklungszusammenarbeit aussähe für Europa, die Frage muss man sich auch mal stellen.
    Heuer: Ich will noch mal auf die Kooperationsbereitschaft der Heimatstaaten zu sprechen kommen. Man hat ja den Eindruck, die wollen diese Flüchtlinge überhaupt nicht zurück haben. Hat das auch wirtschaftliche Gründe, oder worum geht es da?
    Ostry: Ja, das hat sicherlich auch wirtschaftliche Gründe, weil man natürlich auch sehen muss, wie diese jungen Menschen dann hier wieder integriert werden. Da, denke ich, muss man aber einfach mit Nachdruck mit den Staaten verhandeln und es gibt ja genug, sagen wir mal, Verhandlungsmasse. Es ist ja nicht nur die Entwicklungszusammenarbeit; wir haben seit den Umbrüchen im Nahen Osten und in Nordafrika insbesondere auch die Transformationspartnerschaft, die im Auswärtigen Amt angelegt ist, und ich denke, das Auswärtige Amt ...
    Heuer: Was heißt das?
    Ostry: Das ist ein spezielles Budget, was dafür angelegt ist, diese Umbrüche hier in der Region mit entsprechenden Maßnahmen zu begleiten, und ich denke, dass der Außenminister da garantiert Möglichkeiten hätte, hier mit seinen Kollegen auch entsprechend zu verhandeln.
    Heuer: Hardy Ostry, der Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Tunesien. Ich danke Ihnen, Herr Ostry, für das Interview.
    Ostry: Ich danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.