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Rückschlag für AIDS-Forschung
Erneute HIV-Infektion bei scheinbar geheiltem "Mississippi-Baby"

Zwei Jahre sah es so aus, als sei ein kleines Mädchen aus den USA von seiner HIV-Infektion geheilt. Nach einer sehr frühen und aggressiven Medikamenten-Therapie blieb die damals Anderthalbjährige gesund. Doch jetzt sind die AIDS-Viren beim "Mississippi-Baby" wieder aufgetaucht. Carsten Schröder fragte im Kollegengespräch Martin Winkelheide nach den Hintergründen.

Carsten Schröder im Kollegengespräch mit Martin Winkelheide | 15.07.2014
    Tabletten eines an AIDS erkrankten Menschen liegen in Tagesrationen und in Blistern sowie einer Dose auf einem Tisch
    Nach wie vor gilt die Empfehlung: Kinder, die mit HIV auf die Welt kommen, früh und aggressiv mit Medikamenten zu behandeln, damit das Virus möglichst wenig Schaden im Körper anrichtet. (dpa / Jens Kalaene)
    Kam der Rückschlag überraschend?
    Ja und nein. Es sah zwei Jahre lang so aus, als sei das Mädchen von der HIV-Infektion geheilt. Die Ärzte selbst allerdings sind eher zurückhaltend geblieben.
    Sie selbst haben nicht von "Heilung" gesprochen – sondern von "Remission".
    Der Begriff kommt aus der Krebsmedizin und bezeichnet die krankheitsfreie Zeit nach einer Behandlung. Da spricht man auch erst nach fünf Jahren von "Heilung".
    Bei dem Mädchen haben die Ärzte zumindest theoretisch damit gerechnet, dass im Körper doch noch ein paar Restviren versteckt sind, die in der Lage sind, die Infektion neu aufflammen zu lassen. Und genau das ist passiert.
    Was macht den Fall des "Mississippi-Babys" so besonders?
    Es ist ein Ausnahmefall, weil hier viele ungewöhnliche Faktoren miteinander verknüpft sind. Zum einen ist das Kind sehr früh sehr aggressiv gegen HIV behandelt worden. Zur Erinnerung: Das Baby ist vor knapp vier Jahren mit Verdacht auf HIV-Infektion in die Klinik eingeliefert worden. Die Kinderärztin dort hat sofort mit der HIV-Behandlung angefangen, ohne das Ergebnis des AIDS-Tests abzuwarten – ein damals eher unübliches Verfahren.
    Der zweite ungewöhnliche Aspekt: Die Ärzte haben nach 18 Monaten Mutter und Kind aus den Augen verloren. Zehn Monate später sind Mutter und Kind wieder in die Klinik gekommen. Die Mutter gesteht, dass sie dem Kind die Medikamente nicht mehr weiter gegeben hat. Die Sorge der Ärzte ist gewesen: Bestimmt ist das Kind jetzt schwer krank. Aber die Überraschung ist gewesen: Das Kind ist gesund geblieben, und es sind keine Viren im Blut nachweisbar. Obwohl das Kind keine Medikamente nimmt. So ist es dann auch zwei Jahre lang geblieben – bis zu dem Rückfall jetzt.
    Der Fall des Mädchens ist ja auch mit der Hoffnung verknüpft gewesen, zumindest bei Kindern AIDS heilen zu können. Ist diese Hoffnung jetzt zerplatzt?
    Die Vorstellung ist in der Tat gewesen: Wenn Medikamente ganz früh, direkt nach der Geburt, gegeben werden, kann sich das AIDS-Virus nicht im Körper festsetzen. Und der Körper kann das Virus von allein kontrollieren. Daher gilt auch nach wie vor die Empfehlung: Kinder, die mit HIV auf die Welt kommen, früh und aggressiv zu behandeln. Damit das Virus möglichst wenig Schaden im Körper anrichtet.
    Unklar aber ist: Lässt sich so tatsächlich vollständig ein Festsetzen des Virus verhindern? Und hier ist jetzt ein ganz großes Fragezeichen. Denn es reicht ja ein einziges vermehrungsfähiges Virus, um die Infektion aufflammen zu lassen.
    Auf der anderen Seite ist die Geschichte trotzdem auch ein Erfolg: Das Mädchen ist immerhin zwei Jahre gesund geblieben, ohne Medikamente nehmen zu müssen. Es ist also möglich, das Virus eine gewisse Zeit ohne Medikamente zu kontrollieren – wenn auch nicht für immer. Jetzt bekommt das Mädchen wieder Medikamente – und das wohl auch auf absehbare Zeit.
    Für die AIDS-Forschung ist der Rückfall des Mississippi Babys dennoch erst einmal ein Rückschlag. Wie geht es jetzt weiter?
    Die Forscher haben gerade eine Studie begonnen, wo sie ähnliche Fälle sammeln und genauer untersuchen wollen. In den USA, in Brasilien, Südafrika und in weiteren Ländern. Der Plan ist gewesen, die Kinder wie das Mississippi Baby sehr früh zu behandeln. Daran wird sich auch nichts ändern. Nach etwa zwei bis drei Jahren – so ist geplant gewesen – sollte dann versucht werden, die Medikamente abzusetzen und zu schauen, was passiert. Ob sich das mit dem neuen Wissen jetzt ohne Risiko wird machen lassen, das werden die Forscher wohl noch einmal sehr genau überprüfen.
    Früher hieß es: AIDS ist nicht heilbar. Inzwischen heißt es immer wieder: Vielleicht geht es doch. Wie realistisch ist das jetzt noch?
    Bislang gibt es erst einen einzigen Menschen, der als geheilt gilt: der so genannte "Berliner Patient". 2008 an Krebs erkrankt ist er mit einer besonderen Knochenmarktransplantation behandelt worden. Eine Methode, die sich für andere Infizierte nicht anbietet, weil die Risiken zu hoch sind. Dennoch suchen Forscher jetzt nach ungefährlichen Wegen, das Immunsystem ähnlich gut, aber auf ungefährlichem Wege vor HIV zu schützen. Noch ein langer Weg. Aber eine wichtige Forschungsrichtung.
    Die andere ist eben: Zu schauen, wie und wie schnell setzt sich das Virus im Körper fest? Und wie lässt sich das verhindern? Da hat sich jetzt herausgestellt: Es ist noch komplizierter als gedacht. Forscher müssen möglicherweise mehrere Strategien miteinander kombinieren, um das Virus endgültig aus dem Körper herauszubekommen. Und eine längere krankheitsfreie Zeit oder sogar eine Heilung hinzubekommen.