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Rücktritt mit Folgen

Erich Honeckers Rücktritt erfolgte nicht freiwillig, sondern wurde erzwungen von seinem Nachfolger Egon Krenz. Vorausgegangen war ein jahrelanger - verborgener - Machtkampf im Politbüro.

Von Kirsten Heckmann-Janz | 18.10.2009
    "Nach reiflicher Überlegung bin ich zu folgendem Entschluss gekommen: Infolge meiner Erkrankung und nach überstandener Operation erlaubt mir mein Gesundheitszustand nicht mehr den Einsatz an Kraft und Energie, den die Geschicke der Partei und des Volkes heute und künftig verlangen."

    Erich Honecker am 18. Oktober 1989. Auf der neunten Tagung des Zentralkomitees erklärt der SED-Generalsekretär seinen unfreiwilligen Rücktritt. Den Sturz Honeckers hatte eine Gruppe um Egon Krenz vorbereitet, sagt der Politikwissenschaftler Hans-Hermann Hertle.

    "Dem Rücktritt Erich Honeckers am 18. Oktober ging auf der einen Seite ein jahrelanger verborgener Machtkampf an der SED-Spitze voraus. Es gab Willi Stoph und Erich Mielke, die seit einigen Jahren in Moskau gegen Honecker intrigiert hatten und der konkrete Anlass waren die Jahresfeierlichkeiten zum 40. Jahrestag der DDR und die damit verbundenen Ereignisse, der massive Einsatz von Sicherheitskräften gegen Demonstranten. Es war absehbar, dass Erich Honecker einer militärischen Lösung der Konflikte nicht abgeneigt war. Er hatte vorgeschlagen, in Leipzig zur Montagsdemonstration am 16. Oktober Panzer auffahren zu lassen. Und jetzt sahen einige die letzte Gelegenheit Erich Honecker zu stoppen, wenn nicht die Situation in der DDR insgesamt explodieren sollte."

    Seit dem Spätsommer haben Tausende DDR-Bürger ihr Land über Ungarn verlassen. Bürgerrechtler schlossen sich in Gruppen wie dem "Neuen Forum" zusammen. Montag für Montag demonstrierten in Leipzig Zehntausende für Reformen. Am 9. Oktober waren es 70.000, am 16. Oktober schon 120.000 Menschen. Reporter des DDR-Rundfunks berichteten.

    "Ja, bis vor wenigen Minuten hätte ich gesagt, es ist ruhig hier, mit einigen Einschränkungen, aber im Moment, Sie werden das sicherlich hören, gibt es Sprechchöre: 'Neues Forum zulassen', 'Gorbi, Gorbi', aber auch Sprechchöre, die da lauten: 'Wir bleiben hier'. Ich erlebte Gesprächsrunden zu Fragen, die uns alle bewegen, wie Medienpolitik, Reisefreiheit, aber ich hörte auch, wie einige Krakeeler, zum Glück wenige, solche Dialoge niederbrüllten."

    Am nächsten Tag findet die entscheidende Sitzung des Politbüros statt. Gleich zu Beginn stellt der Vorsitzende des Ministerrates, Willi Stoph, den Antrag, Erich Honecker von seinen Funktionen zu entbinden.

    Hertle: "Die beteiligten Politbüromitglieder, mit denen ich gesprochen habe, berichten, dass Honecker sehr irritiert war, er hat nicht kampflos das Feld geräumt. Es hat aber in der Politbürositzung keiner für ihn gesprochen, auch sein engster Vertrauter Günter Mittag hat sich gegen ihn gewandt, sodass er aus Parteidisziplin dann am Schluss für seine eigene Ablösung gestimmt hat."

    Im Zentralkomitee hält Erich Honecker die ihm diktierte Ansprache und schlägt Egon Krenz als Nachfolger vor. Das ZK stimmt zu.

    Hertle: "Es gab eben auch eine ganze Reihe von Mitgliedern, die wussten, wenn jetzt nicht schnell an der Spitze der SED Veränderungen eintreten und auch eine andere Strategie gegenüber der Opposition und der Bürgerrechtsbewegung, gegenüber den Menschen auf der Straße gefunden wird, dann geht das hier gegen den Baum."

    Autorin Am Abend wiederholt Egon Krenz im Fernsehen, was er nachmittags vor dem Zentralkomitee gesagt hat:

    "Wir haben in den vergangenen Monaten die gesellschaftliche Entwicklung in unserem Lande in ihrem Wesen nicht real genug eingeschätzt und nicht rechtzeitig die richtigen Schlussfolgerungen gezogen. Mit der heutigen Tagung werden wir eine Wende einleiten, werden wir vor allem die politische und die ideologische Offensive wieder erlangen."

    Doch als Reformer ist Egon Krenz nicht glaubwürdig. Er gilt als verantwortlich für Wahlfälschungen und für das brutale Vorgehen der Sicherheitsbehörden während der Feierlichkeiten zum 40. Jahrestag. Am 23. Oktober demonstrieren rund eine halbe Million Menschen gegen die bevorstehende Wahl von Egon Krenz zum Vorsitzenden des Staatsrates. Nur wenige Wochen später – Anfang Dezember - muss er von allen Partei- und Staatsämtern zurücktreten.