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Rücktritt von Stanislaw Tillich
Die Sachsen-CDU am Wendepunkt

Erst die Wahlniederlage, jetzt der Rücktritt von Ministerpräsident Stanislaw Tillich: Die CDU in Sachsen ist schwer angeschlagen. Doch so schnell gibt CDU-Mitglied Ingo Fleming nicht auf. Zu Besuch beim Ortverein der CDU in Dresden Süd zu einer Wahlanalyse.

Von Alexandra Gerlach | 19.10.2017
    Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) verlässt am 18.10.2017 in der Sächsischen Staatskanzlei in Dresden (Sachsen) das Podium. Tillich hatte zuvor seinen Rücktritt verkündet.
    Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) verlässt am 18.10.2017 in der Sächsischen Staatskanzlei in Dresden (Sachsen) das Podium. Tillich hatte zuvor seinen Rücktritt verkündet. (dpa / Sebastian Kahnert)
    "Das überrascht mich, das habe ich nicht erwartet, gerade in dieser Situation ist es wichtig, dass dann jemand da ist, der dann wirklich lange Erfahrung hat."
    "Man hatte in letzter Zeit viel gehört, ob das von Herrn Biedenkopf war, der da gegen Tillich vorgegangen ist, wahrscheinlich war es dann die Alternative für ihn."
    "Na ja, es war irgendwie zu erwarten. Die waren nicht zufrieden mit ihm und was soll's. Iss so."
    Perplex und etwas ratlos gestern Abend auch die Stimmung im CDU-Landesvorstand, der sich zur Krisensitzung mit dem amtsmüden Tillich traf. Bei aller Kritik der letzten Wochen, mit diesem Schritt war nicht gerechnet worden. Noch knapp zwei Jahre sind es bis zur nächsten Landtagswahl, die Zeit ist knapp und die Lage für die Sachsen-CDU war noch nie so schlecht wie heute. So langsam machen sich nun auch die ersten Mandatsträger ernsthaft Sorgen um ihre Landtagssitze und schon länger brodelt es auch an der Basis.
    "Liebe Freunde der Dresdner CDU, ich freue mich , dass wir so zahlreich sind."
    Dresden vor wenigen Tagen. Ingo Flemming, seit 12 Jahren Ortvereinsvorsitzender der CDU in Dresden Süd hat an diesem Abend seine Mitglieder und benachbarte CDU-Ortsvereine zu einer Bundestagswahl-Analyse in die rustikale "Steigerstube" eines Dresdner Brauhauses eingeladen. Flemming hat die sächsische Landtagswahl 2019 fest im Blick:
    "Um so schneller müssen wir anfangen, uns neu aufzustellen, um wenigstens einige Prozentpunkte zurückzugewinnen. Ich persönlich bin nicht der Überzeugung, dass wir die AfD bis 2019 sozusagen vom Wahlzettel bekommen."
    Politik-Experte: "Es ist eine Wahlniederlage"
    Jeder Sitzplatz an den langen blanken Holztischen ist belegt. Viele der Gäste sind bereits im Rentenalter, die Jugend unter 40 in der Minderheit. Gastgeber Ingo Flemming hat sich für diesen Abend den Dresdner Politologen Prof. Dr. Werner Patzelt eingeladen. Der streitbare, ursprünglich aus Bayern stammende Wissenschaftler redet nicht lange um den heißen Brei herum:
    "Es gibt heftig etwas zu verdauen, gehen wir es an. Schauen Sie: Die Wahlniederlage der CDU, denn es ist eine Wahlniederlage und alles Schönreden hilft da nichts…"
    (ein Ober ruft dazwischen) "Ein Hefeweizen, kleines Pilz!"
    Lachen im Saal, Patzelt: "Ist für mich auch etwas dabei?"
    Ober: "Ich weiß nicht, haben Sie etwas bestellt?
    "Nee, noch nicht." Lachen im Saal
    Noch wird gelacht, doch Patzelt hat bittere Wahrheiten im Gepäck:
    "Fangen wir an mit der Wahlgeschichte Sachsens, die kann man zusammenfassen mit der Formel, von der absoluten Mehrheit zur zweitstärksten Partei. Der zweite Satz über die Wahlgeschichte der sächsischen CDU lautet vom Platzhirschen zum angeschlagenen Alpha-Tier."
    Patzelts Auftritt wirkt streckenweise wie eine Bühnenshow mit Einlagen, immer wieder bringt er das gespannt zuhörende Publikum zum Lachen. Er hat wichtige Zahlen parat, die das Ausmaß des Absturzes der Sachsen-CDU über die letzten Jahre schmerzhaft sichtbar machen. 1990 lag die CDU in Sachsen bei 49,5 Prozent, knapp 20 Jahre später, im Jahre 2009 nur noch bei 35,6 Prozent. 2013 folgte ein kurzes Hoch, mit mehr als 42 Prozent, welches der Partei trügerische Sicherheit bescherte, wie Patzelt ironisch erläutert:
    "Wir sind wieder wer, die alte Stärke ist wieder da, wir müssen nichts verändern, wir sind ganz toll und dann 2017, 26,9."
    Wie konnte es soweit kommen? Der Politologe sieht eine doppelte Ursachenlage für die – wie er sagt "dramatische" Lage der Sachsen-CDU und warnt eindringlich davor- auch er ahnt von Tillichs Rücktritt nichts - jetzt vorrangig eine Personaldebatte anzustoßen. Vielmehr sei es unumgänglich für eine komplette Analyse auch die Bundes-CDU mit in den Blick zu nehmen. In den knapp 70 Jahren seit Bestehen der Bundesrepublik sei die CDU die Partei gewesen, der die Deutschen am meisten zutrauten. Sein Vergleich: Nur 21 Jahre lang konnte die SPD den Kanzler stellen. Doch genau dort, wo die CDU bisher am stärksten war, verzeichnet sie nun die höchsten Verluste an die AfD. So auch in Sachsen:
    "So, jetzt kommt die Horrorgeschichte. Bitte aushalten: Sächsische Schweiz minus 20,4, plus 27,6; der zweite Wert ist immer AfD, der erste ist CDU. Meißen minus 19, plus 25,8; Bautzen minus 18,5, plus 25,7."
    Abstiegsängste und Missmut über die Flüchtlingspolitik der Bundeskanzlerin haben viele Sachsen bei der letzten Wahl zur AfD gebracht. Und auch in dieser Runde ist so manchem unwohl beim Blick auf aktuelle Haltungen in der Bundes-CDU und die innerparteiliche Diskussionskultur:
    "Also Recht und Gesetz spielt eine ganz große Rolle und da hat die CDU ganz viel verspielt und das Problem ist auch jetzt nach der Wahl – ich bin ja immer noch CDU-Mitglied – ich bin die IPO in der CDU, die innerparteiliche Opposition, ich halte nicht immer den Mund, aber so ist es ja. Die Leute, die jetzt eher konservativ sind, stehen am Rand."
    Abstiegsänste und Gefühle von "Ent-Heimatung"
    "Und unsere liebe Kanzlerin, die ich natürlich auch gewählt habe, muss schon lernen, mehr auszuhalten, was auch Zumutungen anbetrifft. Ich habe es selber auch erlebt bei einer Regionalkonferenz unangenehme Fragen gestellt zu haben, eisiges Schweigen. Das ist keine Basis".
    Wahlplakat der CDU mit Bundeskanzlerin Angela Merkel
    Abstiegsängste und Missmut über die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin haben viele Sachsen von der CDU weg hin zur AfD getrieben (AFP / Patrick Stollarz)
    Vor allem die Frage der sozialen Gerechtigkeit in einer Migrationsgesellschaft gilt als Reizthema in den ostdeutschen Bundesländern, die emotional immer noch am Transformationsprozess zu tragen haben und wo viele Rentner nach einem langen Arbeitsleben oft nur kleine Renten haben. Die sogenannte Ent-Heimatung sei eine nicht zu unterschätzende Besonderheit, die in einer Wahlanalyse zu berücksichtigen sei, sagt der Politologe Patzelt und führt an:
    "Dass man seine Heimat verlieren kann, ohne sich auch nur 100 Meter von seinem Wohnort zu entfernen, das ist eine ostdeutsche Erfahrung für sehr viele. Die Beheimatung in der DDR, in der vertrauten Umwelt, weg! Obwohl er sich nicht wegbewegt hat. Es kam das westdeutsche System, es kamen Wessis, alles musste westdeutschen Denkweisen entsprechen und viele fühlen sich nicht mehr zuhause. Früher haben sie ihr Kreuz bei der PDS gemacht."
    Für einen Aufschwung bedürfe es dringend neuer Ideen, charismatischer Köpfe sowie einer Rückbesinnung auf die Werte der "alten" sprich "Vor-Merkel-CDU" wird diskutiert. Diese Gedanken finden Zustimmung an diesem Abend, der so manchen Gast nachdenklich nach Hause gehen lässt:
    "Ich bin nicht CDU-Mitglied, aber ich habe bis vor kurzem immer nur CDU gewählt. Ich nehme mit, die müssen wirklich kämpfen, sich zusammenschließen, sich wieder auf ihre Werte besinnen und dem Dialog nicht ausweichen."