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Rührende Mischung

Robert Seethaler, geboren 1966, lebt und arbeitet in Berlin und Wien. 2007 wurde der Autor für seinen Roman "Die Biene und der Kurt" mit dem Debütpreis des Buddenbrookhauses ausgezeichnet. In diesem Jahr erhält er das Alfred-Döblin-Stipendium der Akademie der Künste. Seethaler erzählt mit trockenem Humor; beim Lesen wird einem das Herz leicht und schwer zugleich, lobte die Kritik. Das gilt auch für seinen neuen Roman.

Rezensiert von Michaela Schmitz | 07.01.2009
    Das Leben ist eben manchmal komisch. Und das Glück sowieso. Gelegentlich kommt es auf einem blauen Klappfahrrad daher und heißt Hilde. Die kleine dicke Hilde mit den strammen Waden. Einfach so strampelt sie an Szevkos Tankstelle vorbei und mitten hinein in Herberts Leben. Und der lange, dünne Herbert gleich hinterher. Dem 27-jährigen Herbert Szevko ist es nämlich schon lange zu eng geworden in der Tankstelle mit der Mutter, in seinem Zimmer mit Zierfisch Georg und in ihm selber.

    Und bekanntlich ist es ja oft so: In Momenten, wo gar nichts und überhaupt nichts mehr geht, kommt dann auf einmal doch noch etwas daher. Etwas, das einen durchbeutelt, herumreißt und einen erwischt, irgendwo tief drinnen, und einem das leere Herz, das leere Hirn ( ... ) füllen kann. So etwas kommt in solchen Momenten oft daher.

    Jetzt zum Beispiel die Hilde. Also geht es immer Richtung Kirchturmspitze den Hügel rauf und wieder runter, mitten ins Dorf und ins Hallenbad hinein, wo die Hilde Fliesen putzt. In so einem emotionalen Überschwang kann man sogar schon mal die Badehose vergessen. Und dass man nicht schwimmen kann auch. Aber das ist Herbert im Moment ganz egal. Ganz nach oben zieht es ihn jetzt; hoch hinauf zum Fünf-Meter-Turm. Und runter geht's ja bekanntlich immer. Auch für Herbert, der beim wagemutigen Rückzug vom Turm mit flatternden Haaren vom Brett stürzt. Gurgelnd sinkt er bis auf die grünen Bodenkacheln und sieht gerade noch, wie Hilde mit fliegenden Kittelschößen zu ihm hechtet. Ein weißer Engel, denkt er, kurz bevor er das Bewusstsein verliert. Beim Wachblinzeln lächelt sie sich direkt in sein Herz hinein. Die runde, rosige Hilde Matusovsky mit Sommersprossen und klatschnassen braunen Haaren rundherum. Und es ist ja nun einmal so: Wenn einem das Glück so unvermutet hinterher springt, dann muss man es schon festhalten. Das weiß auch der Herbert und verabredet sich mit der Hilde auf der Dorfkirmes. Dort rinnt dem Herbert beim Tanz mit Hilde das Glück plötzlich oben in den abgewetzten Anzugkragen hinein. Schön ist das. Der Augenblick ist das Leben. Und sonst nichts. Und beim großen Schlachtsaufest ist das erst recht so.

    Und so könnte das eigentlich noch ziemlich lange weitergehen. Es geht ja auch weiter. Immer geht es irgendwie weiter. Aber selten so, wie man es sich wünscht.

    Denn das Leben ist nun mal kein Schlachtsaufest. Und so werden aus den Zukunftsaussichten schnell die Gegenwartseinsichten. Die sind nämlich begrenzt. Denn erst ist Herberts Mutter ins Krankenhaus gekommen und dann hat es eine schlimme Rauferei mit Hilde, Herbert und dem Greiner gegeben. Aber weil das Leben doch gerade erst angefangen hat, entschließen sie sich, fortzugehen aus dem Dorf. Hilde und Herbert, den Zierfisch Georg im Marmeladenglas unterm Arm mitsamt der sterbenskranken Mutter auf der Krankenliege. Im erstbesten Krankenwagen beginnt eine groteske Flucht. Erst mitten hinein in den Sumpf, dann hinauf auf ein morsches Boot und weiter den großen Fluss hinunter. Einfach nur weg. Herbert weiß schließlich, was er tut.

    Eigentlich, denkt er sich, braucht es gar nicht viel zum Leben, ein paar Kekse, ein Feuer, ein Stöckchen. Und eine Hilde mit einem dunkelroten Flackern auf der Stirn.

    Hilde ist es dann auch, die ihn zum zweiten Mal aus dem Wasser fischt und die abgetriebene Mutter den Fluss wieder hinaufrudert bis ans Ufer. Und weiter? Die Zukunft ist erst einmal ein langer, staubiger Weg. Im Himmel hängen auch keine Antworten. Und bis zum nächsten Ort ist es weit. Zu weit für die wackelige Krankenliege mit der sterbenskranken Mutter. Im Hotel zur Aussicht finden sie für ein paar Tage Ruhe. Aber dann landet Zierfisch Georg auf dem Fußboden, die Hilde nach einem Unfall im Graben und der Herbert unter Hilde.

    Weil oft ist es ja so: Genau dann, wenn du am allerwenigsten damit rechnest oder wenn du sogar mit überhaupt gar nichts mehr rechnest, genau dann steht plötzlich das Schicksal vor dir, spuckt dir vor die Füße und schaut breit lachend zu, wie es dich zerlegt.

    Aber nicht mit Hilde und Herbert. Zurück im Dorf und der Tankstelle, beschließen sie: Das Glück wohnt anderswo. Für das Leben ist es nämlich nie zu spät. Und für das Weggehen schon gar nicht. Und damit ist erst einmal alles gesagt. Nur der alte Stanek und seine beiden Dackel könnten noch etwas dazu erzählen. Zu der großen Explosion nämlich. Hinter dem Hügel unten bei der Tankstelle. Und wie sie am Horizont eine eine kleine dicke und eine lange dünne Person haben verschwinden sehen.
    Und die weiteren Aussichten? Wahrscheinlich wechselhaft. Wie das Leben eben. Denn von nicht mehr und nicht weniger handelt Robert Seethalers tragikomischer Dorfschwank. Mit allem was dazugehört: dem Lachen, dem Weinen, der Dummheit, der Wut, der Liebe, dem Glück und dem Tod sowieso. Seethaler hat aus der Sicht des liebenswerten Dorfdeppen Herbert einen herzzerreißend komischen Roman geschrieben. Eine unterhaltsam rührende Mischung aus Kasperletheater, Slapstick-Comedy, absurdem Bühnenstück und Commedia dell'arte in einer vordergründig schlichten und gleichzeitig hintergründig tiefsinnigen Sprache. Das Glück ist eben manchmal komisch. Und das Unglück sowieso. Nur dass wir nicht immer drüber lachen können. Es sei denn, Robert Seethaler bringt uns dazu mit Büchern wie "Die weiteren Aussichten". Sein Roman ist ein Glücksfall für trübe Aussichten. Und für gute sowieso.

    Robert Seethaler: Die weiteren Aussichten.
    Kein & Aber 2008. 317 Seiten, 19,90 EUR.