Freitag, 19. April 2024

Archiv


Ruhe im Karton?

Egal ob es um eine Stadtbahn in Hamburg, einen Bahnhof in Stuttgart, einen Flughafen für Berlin-Brandenburg oder um die Olympischen Winterspiele 2018 in Garmisch-Partenkirchen geht: Ab einer bestimmten Größenordnung müssen Stadt, Land oder Bund die Bürger in die Planung einbinden.

Von Detlef Grumbach | 07.03.2011
    "Der Erörterungstermin, das ist ein Terminus technicus im Verwaltungsverfahrensgesetz."

    So erläutert Cornelia Rogall-Grothe, Staatssekretärin im Bundesinnenministerium, das Herzstück gegenwärtiger Bürgerbeteiligung im Planungsrecht.

    "Und dieser Erörterungstermin dient dazu, die Einwendungen, die von unmittelbar in ihren Rechten Betroffenen vorgebracht worden sind. Von beteiligten Behörden und auch von Bürgern, die durch ein Vorhaben, welches der Planfeststellung unterliegt, betroffen sind."

    Aber das, so sieht es ein Gesetzentwurf aus ihrem Hause vor, soll nicht unbedingt so bleiben. Der Termin kostet Zeit. Zu viel wertvolle Zeit, wie Vorhabenträger, Investoren also, wie etwa Energieunternehmen oder die Deutsche Bahn, meinen. Außerdem verfehle er sein Ziel, weil es am Ende doch keine Einigkeit gebe.

    Deutschland soll zukunftsfähig und regierbar bleiben, über wichtige Planungen soll zügig und ohne überflüssige Bremsen entschieden werden. Wirtschaftsminister Rainer Brüderle will nach einem Bericht der Süddeutschen Zeitung den Zeitraum von Planungsbeginn bis zur Entscheidung sogar auf vier Jahre begrenzen. Viele Bürger dagegen fürchten um ihre Zukunft. Sie wollen deshalb mitreden, mehr mitreden als bisher sogar:

    "Wir sind ja im Grund genommen für die Stadtbahn, nur wir wollten gerne wissen, was betrifft uns eigentlich davon. Als Anlieger. Was wird mit unserem Umfeld passieren? Das war das, was uns wichtig war."

    Ein Ortsamt im Norden Hamburgs, Anfang November letzten Jahres. Das Planfeststellungsverfahren für den ersten Bauabschnitt der geplanten Stadtbahn - früher hätte man es Straßenbahn genannt - hat begonnen. Ein kahler Raum, an den Wänden großflächige Modellskizzen. Sechzehn Aktenordner enthalten Aufzeichnungen, Tabellen, Pläne, zeigen, wo die Schutzgüter "Menschen, Kultur und Stadtbild”, "Tiere und Pflanzen”, "Wasser und Boden, Luft und Klima” in Gefahr sind, und was dagegen getan werden soll.

    "Uns interessiert jetzt im Wesentlichen, wie die Lärmbelästigung ist. In unserer Straße jetzt. Und das ist alles hier wunderbar aufgemalert, hätte ich beinah gesagt."

    Ein Ehepaar, er wohl schon im Rentenalter, sie etwas jünger, haben sich gleich zu Beginn der Auslegungsfrist auf den Weg gemacht.

    "Die Haltestelle liegt hier, das ist eine Brücke, und die Bahn fährt praktisch hier um die Ecke herum, und wir haben das Eckgrundstück. Und ich hatte bezweifelt, dass die überhaupt um diese enge Kurve herum kommen und wollte gerne wissen: Wollen die ein Stück vom Grundstück abknabbeln."

    Egal ob es um eine Stadtbahn in Hamburg, einen Bahnhof in Stuttgart, einen Flughafen für Berlin-Brandenburg oder um die Olympischen Winterspiele 2018 in Garmisch-Partenkirchen geht, egal, ob um die Elbvertiefung, neue Kraftwerke, Straßen oder Überlandleitungen für das Stromnetz: Ab einer bestimmten Größenordnung dürfen Stadt, Land oder Bund solche Planungen und den Bau nicht einfach genehmigen. Die Bürger sollen eingebunden werden, sie sollen mitreden dürfen, wenn es um ihre Belange geht. Eine Umweltverträglichkeitsprüfung analysiert die Folgen eines Bauvorhabens für die Natur, auch Umweltverbände müssen gehört werden.

    Vier Wochen liegen die fertigen Pläne in einem Planfeststellungsverfahren aus. Zwei weitere Wochen haben die Bürger und Naturschutzverbände Zeit, Einwände zu formulieren. So steht es im Gesetz. Sämtliche Einwände, egal ob zur Lärmbelästigung, zur Trassenführung, zum Fällen von Bäumen oder zum Wegfall von Parkplätzen, werden dann in einem sogenannten Erörterungstermin öffentlich zur Sprache gebracht. Sind sie berechtigt, müssen Varianten geprüft und Pläne gegebenenfalls auch geändert werden - oder Bürger und Verbände können gegen den Bau klagen.

    Das Innenministerium hat im Dezember letzten Jahres den Entwurf für ein "Gesetz zur Vereinheitlichung und Beschleunigung von Planfeststellungsverfahren” vorgelegt. Zwei Maßnahmen stehen im Zentrum des Gesetzentwurfs: Erstens sollen im Vorfeld Fristen für die Abgabe von Stellungnahmen verkürzt werden, zweitens sollen die Behörden in Zukunft entscheiden dürfen, ob der bislang zwingend vorgeschriebene Erörterungstermin überhaupt stattfinden soll oder nicht.

    "Der Erörterungstermin ist keine allgemeine Informationsveranstaltung."

    So heißt es in der Begründung. Dennoch werden dort auch Fragen gestellt, für die es zuvor keinen Raum gab, wird Kritik geäußert, die sich auf das Projekt als Ganzes bezieht.

    "Da gibt es in der Praxis Verfahren, in denen offenkundig ist, dass Einwendungen vorgebracht worden sind von Bürgern, die gar nicht betroffen sind, es gibt hin und wieder auch Einwendungen, die erkennbar unsachlich sind. Und nur um solche Fälle geht es."

    So begründet die Staatssekretärin das Vorhaben.

    "Und da hat man eben gesagt, dann ist die Durchführung dieses Erörterungstermins nur ein formaler Akt, und dann ist es besser, die Behörde darüber entscheiden zu lassen, nach pflichtgemäßem Ermessen selbstverständlich, ob ein Erörterungstermin durchgeführt wird oder nicht."

    Wie viel Bürgerbeteiligung ist mindestens nötig, damit Pläne für Großprojekte am Ende von der Bevölkerung akzeptiert werden, wie viel Einfluss dürfen die Bürger höchstens haben, damit noch etwas gebaut werden kann? Wie können die Bürger an Entscheidungen beteiligt werden, ohne dass das St.-Florians-Prinzip regiert: Unbedingt nötige Flughäfen, Überlandleitungen, Autobahnen gerne - aber bitte nicht vor meiner Haustür!



    "Das ist doch aber erstmal immer nur der erste Reflex, wie wir ihn ja als Umweltverband auch erleben, dass die Menschen in der Nachbarschaft erstmal sagen, aber bitte nicht bei mir."

    So erklärt Olaf Bandt, Direktor für Politik und Kommunikation des Bundes für Umwelt und Naturschutz BUND e.V.

    "Aber so schnell geht es ja in Deutschland nicht, dass man mit dieser Haltung ein Verfahren aufhalten könnte, sondern dann wird diskutiert. Und deswegen ist ja der Variantenvergleich, das miteinander Diskutieren in einem Erörterungstermin so zentral."

    Der Auftrag, das Planungsrecht zu reformieren, Bürgerbeteiligung zu vereinfachen, Verfahren zu beschleunigen, stammt aus der Zeit vor Stuttgart 21: Schon im Verkehrswegebeschleunigungsgesetz 1991 für die neuen Bundesländer und im Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz 2006 gab es Vorstöße in die Richtung. Aber was als Sondergesetzgebung für einen schnellen Aufbau Ost begonnen hat und mit dem Abbau von Beteiligung verbunden war, soll jetzt, nach den Erfahrungen mit Stuttgart 21, zum Standard gemacht werden. Bandt:

    "Der Gesetzesentwurf stammt aus einer vergangenen Zeit, wenn ich das mal sagen darf. Weil ohne die Bürgerbeteiligung werden in Zukunft die großen Vorhaben, die wir in Deutschland haben, neue Flughäfen, neue Bahnstrecken, neue Strecken für Stromleitungen im Zuge des Ausbaus der erneuerbaren Energien, werden die so in dem Tempo, wie wir es brauchen, in dem Umfang, wie wir es brauchen, nicht mehr demokratietauglich umzusetzen sein."

    "Wenn Schnelligkeit oder Beschleunigung auf Kosten von Bürgerbeteiligung geht, dann können wir als SPD dem auf keinen Fall zustimmen. Die Qualität der Beteiligung der Bürger muss gewährleistet sein, ja, man muss sie vermutlich sogar eher verbessern. Also nicht weniger Bürgerrechte, nicht weniger Bürgerbeteiligung, sondern eher mehr Bürgerbeteiligung ist angesagt und muss gewährleistet werden."

    So wendet sich Dieter Wiefelspütz, innenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, gegen den Gesetzentwurf. Schaut man sich obendrein an, wie viel Zeit in Planungsverfahren durchschnittlich für welche Phase aufgewandt wird, kommt man zu einem überraschenden Ergebnis: Die Bürgerbeteiligung liegt weit hinten, deutlich hinter der Planerstellung, deutlich hinter der Beteiligung anderer Behörden und sogenannter Träger öffentlicher Belange. Wenn heute schon Pläne wie Stuttgart 21 oder für Stromleitungen im Überlandnetz politisch kaum durchsetzbar sind, muss die Politik andere Wege einschlagen: Das sagt auch Herbert Behrens, Bundestagsabgeordneter für die Linke und Mitglied des Verkehrsausschusses. Denn:

    "Wenn sie durchgeknüppelt werden sollen, hat das hohe finanzielle Kosten, aber auch soziale Kosten. Und dass man jetzt seitens der Bundesregierung darauf kommt, zu sagen, wir knapsen da einfach einen Erörterungstermin ab, dann kriegen wir es etwas schneller hin, und dann ist Ruhe im Karton, das wird sich nicht bewahrheiten. Wir werden dann an anderer Stelle massive Protestbewegungen initiieren, und das wird gesellschaftliche Folgen haben."

    Heiner Geißler fordert das Ende der Basta-Politik, FDP-Urgestein Burkhardt Hirsch spricht vom nötigen Ende der "Zuschauerdemokratie”, Stephan Mappus denkt darüber nach, Großprojekte künftig schon vor dem Beginn der Planung durch einen unabhängigen Moderator vorstellen zu lassen.

    In Kontroversen wie in Stuttgart, so hat des Politikwissenschaftler Hans J. Lietzmann von der Universität Wuppertal formuliert, wird Rechtsstaat gegen Demokratie gehandelt. Bürger fordern mehr demokratische Beteiligung bei der Planung von Großprojekten, als der Rechtsstaat heute vorsieht. Dieser Konflikt wird nicht nur auf der Straße ausgetragen, sondern oft auch im Erörterungstermin. In der Begründung des Gesetzentwurfs aus dem Innenministerium heißt es:

    "Hier wird die Erörterung zuweilen auch gezielt (zum Beispiel durch zahlreiche Befangenheitsanträge) gestört. Ihre Funktion kann die Erörterung auch dann nicht erfüllen, wenn Vorhaben erkennbar aus sachfremden Erwägungen kategorisch abgelehnt werden."

    Darf man den Erörterungstermin deshalb zur Disposition stellen? Der in Sachen Bürgerbeteiligung durchaus konservative Deutsche Anwaltsverein wendet sich einerseits strikt dagegen, die Zuständigkeiten der Bürgerbeteiligung weiter auszudehnen. Planungen wie die eines Bahnhofs in Stuttgart, so sein Argument, stehen ganz am Ende einer ganzen Kaskade von Grob- und Feinplanungen, vom Bundesverkehrswegeplan über Raumordnungsverfahren bis hin zur Planfeststellung.

    Über ein Ja oder Nein könne dann nicht mehr der Bürger vor Ort entscheiden. Das sei allein die Aufgabe der Politik. In Sachen Erörterungstermin äußert sich Christoph Moench. Vorsitzender des Verwaltungsrechtsausschusses des DAV, genauso pointiert für den Erhalt des Status quo:

    "Es muss einen Zwang geben, die Belange der Bürger und auch der Öffentlichkeit aufzuarbeiten und in einer offenen Diskussion im Erörterungstermin auszutauschen. Und der Einwand, hier werde verschleppt, hier werde Ideologie gemacht, und es gehe häufig nicht um sachliche Dinge - das mag ja richtig sein. Aber ein guter Verhandlungsleiter kann die Dinge auf den Punkt zurückführen, und ich meine, dass Großprojekte wie Stuttgart 21 oder der Frankfurter Flughafen, wo ja in der Tat über 100 Tage verhandelt wurde, dass es die Sache auch Wert ist."

    So erntet der Gesetzentwurf des Innenministeriums Kopfschütteln. Die fast einhellige Meinung lautet: Auf den Erörterungstermin darf nicht verzichtet werden. Im Gegenteil: Dieser Termin ist längst in die Kritik geraten, weil die Mitwirkungsmöglichkeiten, die er bietet, schon heute nicht mehr ausreichen.

    "Da wird bei einem Großvorhaben dann eine Turnhalle gemietet, und dann werden an drei Tagen sehr bürokratisch formal alle Einwände abgehandelt und aufgerufen, aber eine wirklich ernsthafte Auseinandersetzung mit den Interessen der Bürger, mit den Interessen derjenigen, die Einwände erheben, die das Gespräch wollen, die den Dialog wollen, findet nicht statt, und diese Art von Bürgerbeteiligung, die bringt uns nicht weiter, die schafft eigentlich eher Unfrieden."

    Dieter Wiefelspütz spricht vielen aus dem Herzen, die so einen Termin schon erlebt haben. Ihn einfach streichen schafft aber noch mehr Unfrieden. Die Alternative: Der Dialog über das große Ganze muss früher und tatsächlich ergebnisoffen geführt werden. Denn das Planfeststellungsverfahren beginnt heute ja erst, wenn die Pläne bereits fertig sind, wenn wie in Stuttgart sogar schon rechtlich bindende Verträge geschlossen sind, wenn der Spielraum für Alternativen bereits eng und ein grundsätzliches Nein gar nicht mehr möglich ist. Olaf Bandt vom BUND:

    "Im Zuge des Genehmigungsverfahrens ist es oft so, dass es monatelange Verhandlungen gibt zwischen Genehmigungsbehörde und Antragsteller. Und irgendwann ist es dann so, dass es sich die Genehmigungsbehörde zur Aufgabe gemacht hat, dieses Vorhaben auch durchzubringen. Und erst in diesem Augenblick ist es im Moment so, dass dann eine Bürgerbeteiligung stattfindet. Eigentlich ist die Genehmigungsbehörde dann nicht mehr neutral, sondern hat sich schon entschlossen, inhaltlich, durch eine Faktenprüfung, eine Diskussion mit dem Antragsteller, das Vorhaben zu genehmigen in einer bestimmten Art und Weise. Und wenn dann noch Bürger dazukommen, dann sind die nur noch störend."

    "Das wird dann mehr als notwendige Formalie betrachtet, und das erklärt dann auch, wie es kommen kann, dass ein solcher Gesetzentwurf auf dem Tisch liegt, wo man das dann auch ganz beiseite wischt und sagt, vielleicht machen wir es auch mal ab und zu gar nicht."

    Till Steffen, Mitglied der Grünen und in Hamburg bis zum Bruch der schwarz-grünen Koalition Justizsenator, sieht die Probleme ähnlich wie der BUND. Aber blicken wir noch einmal auf die mittlerweile gestoppten Planungen einer neuen Stadtbahn, für die seine grüne Senatskollegin Anja Hajduk zuständig war.

    Die Grünen, in Hamburg die GAL, profilieren sich als Partei der Bürgerrechte. Neben konkreten Einwendungen gegen einzelne Aspekte hat sich aber auch hier sofort Widerstand gegen das gesamte Projekt formiert, weil es keine ausreichende Diskussion darüber gegeben hat, ob Hamburg überhaupt eine Stadtbahn braucht und weil sie angesichts der Finanzkrise zu teuer ist. Dieses Manko kritisiert auch das Ehepaar, das sich die Pläne angeschaut hat und am Ende eigentlich zufrieden war:

    "Und insofern sind manche Leute auch ein bisschen abgeschreckt, weil sie gar nicht wissen, was passiert jetzt vor meiner Haustür wirklich. Und in dem Moment, wo sie jetzt die Pläne richtig sehen, kommen die Widersacher und sagen, nee, das hättet ihr früher sagen müssen. Und das hätte man umgehen können, indem man gesagt hätte: Ich zeig euch schon mal eine leichtere Version dieser Pläne, die verständlich ist, wo die Leute wirklich etwas in der Hand haben, sag ich mal."

    Hat die GAL hier einen Fehler gemacht? Denn die Stadtbahn ist ein Projekt der GAL. Sie stand im Wahlprogramm der Partei, die Partei ist in der Regierung, der Koalitionspartner hat zugestimmt. Der Wähler hat es also doch so gewollt, hieß es. Wahlentscheidungen bestimmen nur die Richtung der Politik, entgegnet dem der Bundestagsabgeordnete Herbert Behrens von den Linken. Große Infrastrukturprojekte müssten anders legitimiert werden.

    "Es ist falsch zu glauben, aufgrund einer Entscheidung für eine politische Partei sei es in Hamburg - Thema Stadtbahn - die Grünen, sei per se eine Stimmabgabe pro Stadtbahn gegeben worden. Sondern ich will, wir wollen als Links-Fraktion, dass insgesamt die Bewertung von vornherein einer Prüfung unterzogen wird mit der Frage, brauchen wir das eigentlich, was uns da vorgeschlagen wird von Planern oder Verantwortlichen aus den Rathäusern."

    Der Wählerwille von 2008 hat inzwischen ausgedient, die Koalition ist zerbrochen. Bürgermeister Ahlhaus hat einen Planungsstopp verfügt. Die Hamburger Initiative gegen die Stadtbahn sammelt weiter Unterschriften: Sie will das Projekt durch ein Volksbegehren endgültig zu Fall bringen. Till Steffen übt sich vorsichtig in Selbstkritik:

    "Wir sagen ganz klar, eine solche Entscheidung, das ist ja eine Systementscheidung für die Stadt und damit eine Entscheidung, die sich sehr lange auswirken wird, dafür brauchen wir einen breiteren Beteiligungsprozess als es am Anfang vorgesehen war, also gibt es Alternativen zur Stadtbahn und wie sehen die aus, und dann soll auch diskutiert werden, wie ist der richtige Einstieg, welche Strecke."

    Stuttgart 21 ist zum Symbol für das Missverhältnis rechtsstaatlicher Planung und demokratischer Legitimierung geworden. Beispiele wie das der Stadtbahn in Hamburg zeigen, dass es sich nicht nur um ein Stuttgarter Phänomen handelt. Demokratie und Rechtsstaat müssen weiterentwickelt werden. Auch Antragsteller und Investoren müssen stärker in die Pflicht genommen werden. Steffen:

    "Bisher ist es ja so: Der Investor spricht im stillen Kämmerlein mit den Vertretern der Verwaltung, und die Vertreter der Verwaltung und der Politik müssen sich dann dafür beschimpfen lassen dafür, dass sie sich die Interessen des Investors zu eigen gemacht haben, und der Investor kann sich schlank an die Seite stellen. So kann es dann natürlich nicht sein."

    Der BUND hat im Januar ein "Fünf-Punkte-Programm zum Ausbau und zur Effektivierung der Bürgerbeteiligung” veröffentlicht. Seine Forderungen gehen in dieselbe Richtung. Bandt:

    "Wenn man das ganz am Anfang macht, kann die Genehmigungsbehörde sich das angucken, und der Antragsteller kann das wirklich ernsthaft prüfen. Und in der Regel findet das jetzt, bei den jetzigen Genehmigungsverfahren ganz am Ende statt. Wenn wir manchmal gewinnen bei Gerichtsverfahren und sagen, so etwas ist nicht zulässig, dann werden nochmal Alternativen geprüft wie jetzt in Stuttgart 21 auch. Das wünschen wir uns viel früher, dann wollen wir weiter den Erörterungstermin, und wir wollen sicherstellen, dass diese Verfahren wirklich neutral laufen, über einen Schlichter."

    Den Ruf nach dem Ausbau und einer deutlichen Vorverlegung von Bürgerbeteiligung bei Großprojekten hört man mittlerweile auch im Bundesinnenministerium. Es scheint, als habe man dort die Diskussionen des letzten halben Jahres einfach ausgeblendet. Nach der Kritik am vorliegenden Gesetzentwurf soll sie jetzt wohl doch noch eingearbeitet werden. Rogall-Grothe:

    "Es ist die Frage, ob man ein gesondertes Gesetz macht zu den Konsequenzen aus Stuttgart 21, oder ob man das in dieses Gesetzgebungsverfahren mit aufnimmt. Das ist die Frage, die sich stellt."

    Eigentlich sollte der Entwurf schon auf dem Weg in den Bundesrat sein. Doch jetzt, so Staatssekretärin Cornelia Rogall-Grothe, geht er noch einmal in die interne Feinabstimmung.

    "Es gibt selbstverständlich gute Gründe dafür, das jetzt hier mit einzubeziehen und sich für diesen Entwurf etwas Zeit zu nehmen und da nochmal nachzusteuern, man kann es aber auch anders machen. Aber das ist eine rechtstechnische und auch eine politische Frage."