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Ruhrfestspiele Recklinghausen
"Purpurstaub" - dialektal platt gewalzt

Sebastian Hartmanns Nicht-Inszenierung von Sean O'Caseys "Purpurstaub" zeigt schöne Bilder - und die hässlichsten Kostüme der Saison. Schön, dass in Deutschland auch diese Art "kunstvoll verbrämten höheren Schwachsinns" subventioniert ist, meint Karin Fischer in ihrer Theaterkritik.

Von Karin Fischer | 19.05.2014
    Halle der Ruhrfestspiele in Recklinghausen, Blick vom Boden auf ein Glasgebäude, im Vordergrund eine Skulptur
    Die Ruhrfestspielhalle in Recklinghausen (dpa/picture alliance/Jan-Philipp Strobel)
    Es beginnt vielversprechend mit den Klängen von E-Gitarre und Orgel. Der Schriftzug "DUST" schiebt sich leuchtend von oben in den üppig wabernden Bühnennebel. Auf einem dünnen Silbervorhang vorne kann man PUR PUR lesen. Das ist für sehr lange Zeit auch der einzige Zusammenhang zwischen dem Stück und der Inszenierung: dieser aufgemalte Titel. Denn was dann folgt, stellt auch den abgebrühtesten Theater-Zuschauer auf eine harte Probe: Eine gefühlte halbe Stunde tanzt das Bühnenpersonal vor dem Vorhang zu einer Endlosschleife irischer Folklore-Musik so vor sich hin. Schon zwei Stunden vor Anpfiff des Pokalfinales ist man im Festspielhaus in Recklinghausen in demonstrativer Partylaune. Danach sprechen alle undeutlich und mit hochgetunten oder tief gestellten Stimmen, die Sprache schrecklich dialektal verstümmelt.
    "Schööuun. Nu hab dr mal nich sole. Es ist doch alles das Landlebele. Jetzt fängt das Lebele erst richtig anele!"
    In der ersten Stunde erfährt man in etwa, dass man sich in einem Landsitz aus der Tudor-Zeit in Irland befindet. Der Sinn des Stücks von Sean O'Casey und der Inszenierung bleibt aber auch für den Rest der vierstündigen Aufführung im Dunkeln.
    Die Rettung bringt eine inspirierte Livemusik des Musikers und Gitarristen Steve Binetti und die Aufforderung der Regie ans Publikum, den Saal für eine Erfrischungspause gern zu verlassen. Die ersten nehmen das Angebot schon nach zwanzig Minuten in Anspruch. Am Ende der Vorstellung ist das Theater nur noch zu einem Drittel besetzt. Auch die Rezensentin hat den Saal verlassen, und von Spielminute 55 bis 75 das Pokalfinale im Festspiel-Café verfolgt. Bei drei verständlichen Sätzen pro Stunde war das Risiko, etwas zu verpassen, kalkulierbar. Interessanterweise hatte das Spiel auf der Bühne trotz Beinahe-Tor im Pokalfinale die weit größeren Schau- und Reflexionswerte.
    Das sinnfreie Spiel bot ab und an nämlich schöne Bilder, viel Parodistisches, auch Pantomimisches, abgefahrene Requisiten wie Tiermasken, ein Alphorn oder eine riesige Walze, und die hässlichsten Kostüme der Saison.
    Also: wenn Ihnen Oliver Welke zu politisch, der 3Sat Satire-Gipfel zu harmlos oder zu wenig zynisch oder Anke Engelke zu feministisch ist. Wenn Ihnen der Clown im Zirkus zu rotnasig, Switch Reloaded zu kurz, eine Castorf-Inszenierung mit 5 ½ Stunden aber doch zu lang ist; und wenn Sie hier die ersten 1 ½ Stunden durchgehalten haben, dann werden Sie in der Inszenierung von Sebastian Hartmann Spaß haben. Ein bisschen wenigstens.
    Auf die Idee muss man erstmal kommen
    Allerdings ist das nicht der Castorf-Spaß mit Video-Overkill und verbalem Tiefgang. Humor in Recklinghausen ist, wenn man trotzdem lacht: weil man einen der vielen Sparwitze trotz des dialektalen Genuschels wenigstens rein akustisch verstanden hat. Weil sich das erschöpfte Publikum an jeden Spaß-Strohhalm klammert, den die Inszenierung abwirft. Und weil man erst mal auf die Idee kommen muss, ein lebendiges Huhn auf die Bühne zu tragen, um vor den blöden Börsianern aus England zu behaupten, das sei eine Kuh.
    "Man merkt daran, dass ein Huhn nicht genmanipuliert ist, dass es den Kopf bewegen kann. Achtung..."
    "Pass auf, Poges! Des Huhn wirft ein Ei. Des wirft ein Ei, ich schwörs dir!"
    "Sehn Sie, Huhn hat auch Flügel"
    Der Inhalt des Stücks? Vom Regisseur als völlig irrelevant bewertet. Die Namen der Schauspieler oder ihrer Protagonisten? Müssen deshalb hier nicht vorgetragen werden.
    Sagen wir so: Es ist schön, dass in Deutschland auch diese Art kunstvoll verbrämten höheren Schwachsinns als letzte Form von Provokation auf dem Theater subventioniert ist. Ja, das brauchen wir unbedingt. Denn natürlich hat diese Stück-Verweigerung eine Botschaft. In einer Welt, die sonst nur polierte Oberflächen, hohles Gerede in der Politik oder ökonomisch gesteuerte Termin-Taktung zu bieten hat, ist diese gedehnte, lange weilende Zeit mitsamt Ärger und Spaß nicht nur der anarchische Akt eines übermütigen Regisseurs, sondern auch eine kathartische Erfahrung. Wie gesagt, wir brauchen das. Vielleicht nicht öfter als ein Mal im Jahr.