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Rumänien
Referendum über umstrittene Justizreform

In Rumänien müssen die Wähler am Sonntag gleich zwei Stimmzettel ausfüllen. Neben der Wahl zum Europaparlament steht dort eine Volksabstimmung über eine höchst umstrittene Justizreform an. Die Regierung will bestimmte Korruptionsdelikte nachträglich legalisieren.

Von Thomas Wagner | 24.05.2019
Der rumänische Präsident Klaus Iohannis währen des EU-Gipfels zum Brexit am 25. November 2018
Bleibt Rumänien ein Rechtsstaat nach europäischen Maßstäben oder nicht? (imago / Thierry Roge)
Der Staatspräsident zu Besuch in der Revolutionsstadt: Der Rumäniendeutsche Klaus Iohannis, seit Dezember 2014 im höchsten Amt Rumäniens, besucht die Altstadt von Temeswar, jene Stadt, in der im Dezember 1989 mit einem Aufstand das Ende der kommunistischen Ceausescu-Diktatur eingeläutet wurde.
Obwohl der offizielle Anlass ein Universitätsjubiläum und eine Buchvorstellung ist, erinnert der Präsidentenbesuch manchmal eher an eine Art Wahlkampf.
Ein junger Mann, Mitte 20, wünscht dem Präsidenten viel Erfolg beim anstehenden Referendum, das Iohannis selbst am kommenden Sonntag, zeitgleich mit den Wahlen zum EU-Parlament, angesetzt hat. Dabei geht es nach Ansicht vieler bei dieser Volksabstimmung um eine Schicksalsfrage: Bleibt Rumänien ein Rechtsstaat nach europäischen Maßstäben oder nicht?
Dossier: Europawahlen
Europawahlen (picture alliance / dpa / Kay Nietfeld)
Aussicht auf geringere Strafen
"Das Parlament hat in den letzten zweieinhalb Jahren eine so genannte Justizreform durchgeführt, die von allen Seiten kritisiert wurde. Auch ich selbst habe stets dagegen gestimmt, weil ich sie grundsätzlich falsch finde", so Ovideo Gant, Parlamentsabgeordneter der rumäniendeutschen Minderheit.
Die Koalitionsregierung, bestehend aus den Parteien PSD, wie sich die rumänischen Sozialdemokraten nennen, und ALDE, so die Bezeichnung der Liberalen, haben die Justizreform durchgeboxt.
"Zum Beispiel hat man alles getan, um vorbestraften Politikern zu helfen, indem zum Beispiel Verjährungsfristen verkürzt werden und in verschiedenen Fällen Strafen geringer geworden sind."
Oder anders herum: Der Korruption überführte Politiker haben die Aussicht auf geringere Strafen oder sogar, wenn die Delikte weit genug zurückliegen, auf eine Amnestie - neue Gesetze, die, so der Parlamentsabgeordnete Ovideo Gant, "von der europäischen Kommission kritisiert werden, von der Venedig-Kommission, vom Europarat. Alle Leute, die sich im Auslad damit beschäftigen, finden, dass das falsch ist, was hier gemacht wurde. Kommissionsvize Timmermanns, aber auch verschiedene Premierminister Europas haben in der letzten Zeit geäußert, dass wir auf dem falschen Weg sind. Und das können wir uns als Nation, als Land, nicht leisten!"
Tatsächlich hat EU-Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans dieser Tage in einem Brief an die Regierung in Bukarest die Einleitung eines sogenannten Rechtsstaatverfahrens gegen Rumänien angedroht, sollte die umstrittene Justizreform nicht doch zurückgenommen werden. Vor allem viele jüngere Rumäninnen und Rumänen hoffen vor diesem Hintergrund auf ein eindeutiges Ergebnis bei dem anstehenden Referendum.
"Eine Amputation des Rechtsstaats"
Resita, eine alte Industriestadt, nicht allzu weit von der Grenze zu Serbien entfernt: Anka Rosnovian, Anfang 30, führt ihre Besucher in die erste Etage eines grauen Plattenbaus in der Innenstadt. Sie zeigt auf ein großes Bild, das den 'Palatu Parlamentului', also den riesigen Parlamentspalast in Bukarest zeigt, darunter die Aufschrift: "Keine Vorbestraften in öffentliche Ämter!"
Anka Rosnovianu gehört der Partei "Union Salvats Romania" an, zu deutsch: "Union zur Rettung Rumäniens", die das Referendum gegen die umstrittene Justizreform Rumäniens unterstützt. Andrei Brusa, Ende 20, ist Vorsitzender des USR-Kreisverbandes Caras-Severin im Westen Rumäniens:
"Das ist unser Hauptproblem in Rumänien: Die Korruption! Und deswegen haben wir hier in Rumänien eine tragische Situation derzeit!"
Der Versuch, der Korruption überführte Politiker im Nachhinein Straffreiheit zu gewähren, sei daher "eine Amputation der Justiz, des Rechtsstaates. Das einzige Interesse der Regierungspolitiker, die diese Justizreform vorantreiben, besteht darin, sich selbst vor dem Knast zu bewahren".
Dabei haben die jungen USR-Politiker vor allem einen im Visier:
Liviu Dragnea, Präsident der sich sozialdemokratisch nennenden Regierungspartei PSD, spricht von einer erfolgreichen Regierungsarbeit: Das Durchschnittsgehalt sei zum ersten Mal in der Geschichte auf über 3000 Lei gestiegen; also etwas über 630 Euro.
Die Kritik an der umstrittenen Justizreform weist er zurück, obwohl er einer der ersten Profiteure sein könnte: Denn Dragnea wurde bereits wegen Wahlbetruges im April 2016 zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt; im vergangenen Jahr kam eine Verurteilung wegen Amtsmissbrauchs zu dreieinhalb Jahren Haft hinzu; dieses Urteil ist aber noch nicht rechtskräftig. Wegen seiner Vorstrafen darf Dragnea kein offizielles Regierungsamt bekleiden, gilt aber als Strippenzieher der rumänischen Regierungsarbeit. Doch gerade auf dem Land genießt Dragnea hohes Ansehen.
18.000 Schafe, 2.000 Einwohner: Das Dorf Farliug im Kreis Caras-Severin ist ländlich geprägt. Ioan Borduz, Anfang 50 und stämmige Statur, ist dort seit Jahren Bürgermeister - und gilt als jemand, der anpacken kann, der was tut für seine Bürger. Borduz gehört der Regierungspartei PSD an, die derzeit wegen der Justizreform so heftig kritisiert wird. Die Kritik daran weist er zurück.
"Die dümmste Alternative? Nicht zur Abstimmung zu gehen"
"Aus meiner Sicht ist das eine falsche Sicht der Dinge. Wir wollen keineswegs den Rechtsstaat abschaffen. Aber ich habe ein Problem mit den Institutionen der Korruptionsbekämfung: Die sind längst zu einem politischen Instrument geworden, häufig gegen uns. Und das geht nicht. Wir Sozialdemokraten sind einverstanden mit dem Rechtsstaatsgedanken. Aber die Justiz muss Justiz bleiben und darf von niemandem geführt werden."
Er hält vor allem Staatspräsident Klaus Iohannis, der das Referendum dagegen organisiert hat, für unglaubwürdig:
"Von ihm bin ich sehr enttäuscht. Ich habe anfangs geglaubt, Ioannis sei ein Präsident aller Rumäninnen und Rumänen. Und jetzt benimmt der sich wie ein Parteipräsident, nicht wie ein Staatspräsident. Und aus diesem Grund werde ich das Referendum boykottieren."
Ein Referendum übrigens, dass keinen rechtsverbindlichen Charakter hat, das aber je nach Ausgangslage den politischen Druck erhöhen könnte, die umstrittene Justizreform in letzter Minute doch noch zurückzunehmen. Je höher die Wahlbeteiligung, desto größer das politische Gewicht des Abstimmungs-Ausgangs, so das Kalkül von Präsident Klaus Iohannis:
"Wir haben das Recht, zu wählen, abzustimmen. Das ist was Tolles! Ich gehöre einer Generation an, vor der Revolution 1989, da durfte man zwar auch wählen, aber eben damals einen unter einem. Und nun können wir uns unter mehreren Alternativen entscheiden - für die aus unserer Sicht beste. Und wissen Sie, was die dümmste Alternative ist? Nicht zur Abstimmung zu gehen!"