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Rumänien und die EU
Euphorie verflogen, Optimismus geblieben

Rumänien ist seit zehn Jahren Mitglied der EU, die Zahl der EU-Anhänger sinkt jedoch. Die Menschen sind von der anhaltenden Armut enttäuscht, viele fühlen sich als Europäer zweiter Klasse. Trotzdem ist die Union für das Land lebenswichtig.

Von Annett Müller | 02.01.2017
    Außenaufnahme des Parlamentsgebäudes in der rumänischen Hauptstadt Bukarest.
    Das Parlamentsgebäude in der rumänischen Hauptstadt Bukarest. (picture-alliance / dpa / Karl Thomas)
    Bei Robert Savu tragen die Tischbeine manchmal Füße. Der Unternehmer lässt in Bukarest ausgefallene Designermöbelstücke herstellen. Dank der EU kann der 48-Jährige sie unkompliziert in alle Mitgliedsstaaten liefern. Ein hart umkämpfter Markt:
    "Auch wenn wir seit zehn Jahren in der EU sind, heißt das nicht, dass unsere Kunden volles Vertrauen in uns haben. Wir werden als der äußerste Zipfel der EU wahrgenommen, dem man nicht unbedingt Qualität zutraut. Doch dann wundern sie sich, was wir leisten."
    Beim EU-Beitritt 2007 startete Savu als Ein-Mann-Unternehmen. Inzwischen hat der Bukarester so viele Aufträge, dass er in seiner Firma 20 Angestellte beschäftigt. Savus Materiallieferant aus Westeuropa hatte ihm kurz vor dem Beitritt einen großen Absatzmarkt auch im eigenen Land prophezeit:
    "Mein Geschäftspartner sagte mir damals, Studien zeigen, dass 70 Prozent der rumänischen Haushalte im ländlichen Raum immer noch ein Plumpsklo auf dem Hof haben. Wenn diese Leute in zehn Jahren genügend Geld verdienen, dann werden die sich neu einrichten und Ihre Möbel kaufen."
    Der monatliche Mindestlohn ist einer der niedrigsten in Europa
    In Erfüllung gegangen ist diese Vorhersage nicht. Denn Savus Absatzmarkt liegt in Westeuropa. Ein Großteil seiner Landsleute kann sich die Designermöbel nach wie vor gar nicht leisten. Der monatliche Mindestlohn ist mit rund 280 Euro einer der niedrigsten in Europa. Viele Rumänen hatten anderes erhofft:
    "Wir fühlen uns oft als Menschen zweiter Klasse. Doch vielleicht sind wir irgendwann einmal alle gleich in Europa, sollte es die EU dann noch geben."
    Unternehmer Robert Savu.
    Unternehmer Robert Savu. (Deutschlandfunk / Annett Müller)
    "Wir würden gern wie in Westeuropa leben. Doch schauen Sie sich die Korruption bei uns an. Die EU soll uns helfen, sie zu bekämpfen, damit wir endlich eine zivilisierte Gesellschaft werden."
    Damit das osteuropäische Land überhaupt der EU beitreten konnte, musste es vor Jahren auf Druck von Brüssel die Antikorruptionsbehörde DNA gründen. Die hatte zuletzt auch immer wieder hochrangige Politiker im Visier, die allerdings wiederholt versuchten, die Ermittlungen der Sonderstaatsanwaltschaft zu boykottieren.
    Die EU-Kommission setzt Rumänien immer noch unter Reformdruck
    Auch deshalb überwacht die EU-Kommission bis heute die Arbeit der DNA und setzt Rumänien anhaltend unter Reformdruck. Lange Zeit galt Brüssel als unbestrittene Autorität im Land, doch inzwischen macht sich laut Eurobarometer Skepsis in Rumänien breit. Die Politikjournalistin Sabina Fati verwundert das nicht:
    "Was haben die Leute persönlich durch den EU-Beitritt gewonnen? Es hat vor allem institutionelle Veränderungen gegeben. Die Justiz in Rumänien funktioniert jetzt deutlich besser. Doch das reicht nicht aus. Die Leute wollen die EU-Mitgliedschaft auch in ihrem Geldbeutel spüren."
    Bis heute gilt Rumänien als eines der wirtschaftsschwächsten Länder der EU. Die ausländischen Direktinvestitionen im Land sind seit der globalen Finanzkrise 2007 um mehr als die Hälfte zurückgegangen. Die Investoren zögern, weil die Infrastruktur im Land große Mängel aufweist. Doch fehle es auch an einer effizienten öffentlichen Verwaltung, meint der Wirtschaftsexperte Razvan Orasanu:
    "2008 wollte der Daimler-Konzern eine Milliarde Euro im Westen Rumäniens investieren. Das Unternehmen stellte sehr zielgerichtete Fragen nach Arbeitskräften und Ressourcen. Unsere Behörden waren damals außerstande, relevante Antworten zu geben. Daimler ging nach Ungarn. Eine solche Pleite könnte uns heute wieder passieren."
    Fast ein Sechstel aller Rumänen arbeitet in Westeuropa
    Weil sich ihr Land zu langsam entwickelt, arbeiten schätzungsweise bis zu einem Sechstel aller Rumänen inzwischen in Westeuropa. Dank der EU-Zugehörigkeit können sie in jedem Mitgliedsstaat leben und arbeiten. Im vorigen Jahr schickten sie allein rund 2,8 Milliarden Euro an ihre Familien nach Hause. Seine Landsleute wüssten sehr wohl, wie lebenswichtig die EU für sie sei, meint der Wirtschaftsexperte Orasanu:
    "Unser EU-Enthusiasmus ist gesunken, doch herrschte anfangs eine ungerechtfertigte Euphorie. Wir übertreiben gerne mal mit unseren Emotionen und wünschen uns immer einen Retter. Vor 50 Jahren sollten uns die Amerikaner retten, jetzt ist es die EU. Doch auch wenn die Anfangseuphorie verflogen ist, sind wir noch sehr optimistische Europäer."