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Rumration für Matrosen
Das Ende des "Daily Tot"

Jahrhundertelang nahmen britische Matrosen ihr tägliches Schlückchen - auf Englisch "Tot" - Rum zu sich. Doch die Schiffstechnologie wurde immer komplizierter und der Einsatz betrunkener Matrosen dafür viel zu gefährlich. So wurde die Rumration am 31. Juli 1970 - vor 50 Jahren - abgeschafft.

Von Ruth Rach | 31.07.2020
    Ein Fass mit Rum
    Ein Fass mit Rum: Bei der Royal Navy schätzte man das platzsparende und haltbare Getränk lange Zeit (dpa/picture-alliance/Herbert Lehmann/picturedesk.com)
    Sie trugen schwarze Armbänder, organisierten Beerdigungen, vergossen rituelle Tränen. Der "Black Tot Day" war für die Matrosen in der Royal Navy ein Tag der Trauer.
    Am 31. Juli 1970 wurde ihnen zum letzten Mal ihr Tot ausgeschenkt, ihre tägliche Rumration. Sie standen mit ihren Kübelchen Schlange, riefen "Stand fast the Holy Ghost". Kippten ihre Schlückchen. Und übergaben ihre Gläser für immer dem Meer. Ein Stück Marinegeschichte war zu Ende, im Mittelpunkt ein mächtiges Destillat: Rum. Vielleicht geht das Wort auf das englische "Rumbullion" zurück. Zu Deutsch: Aufruhr, Tumult. Vielleicht auch auf das lateinische Wort für Zucker: saccharum. Wie dem auch sein. Das Gebräu aus vergorener Melasse, einem Abfallprodukt aus der Zuckerproduktion, trat seinen Siegeszug im 17. Jahrhundert an, höchstwahrscheinlich von Barbados nach Nordamerika und weiter nach England und ganz Europa.
    Im Nu entwickelte sich Rum zum Lieblingsgetränk der Royal Navy, galt als informelles Zahlungsmittel und wurde schließlich sogar ganz offiziell ausgeteilt – hochprozentig, als Teil der regulären Bordverpflegung. Übliche Ration: ein halbes Pint, das entspricht fast einem drittel Liter. Die Stärke prüften die Matrosen, indem sie das Destillat über ein Häufchen Schießpulver gossen und anzündeten. Die englische Maßeinheit "proof" – zu Deutsch Nachweis, Probe – erinnert bis heute an diese Praxis.
    Rum konnte platzsparender transportiert werden
    Auf den ersten Blick brachten die täglichen Rumrationen handfeste Vorteile. Mit der Expansion des britischen Empire wurden Schiffsreisen immer länger. Das Trinkwasser an Bord aber wurde schnell faul und deshalb zunächst durch Bier ersetzt. Durch sehr viel Bier. Jedem Matrosen stand pro Tag eine Gallone Gerstensaft zu, also viereinhalb Liter. Aber auch Bier war nur begrenzt haltbar. Rum hingegen erwies sich als platzsparend und enorm lagerfähig. Einziger Nachteil: Mit einem Haufen Zechbrüder an Bord konnte ein Kapitän wenig anfangen.
    "Die verderbliche Sitte der Seeleute, ihre gesamte Tagesration auf einmal in sich hineinzuschütten, hat nicht nur für ihre Moral, sondern auch ihre Gesundheit die fatalsten Folgewirkungen."
    Erklärte Admiral Edward Vernon denn auch im Jahr 1740.
    "Viele Menschenleben sind auf diese Weise verkürzt worden. Ihre vernünftige Natur ist dem Stumpfsinn verfallen. Und das hat sie zu Sklaven jeder nur erdenklichen bestialischen Leidenschaft gemacht."
    Rumrationen wurden immer mehr verwässert
    Admiral Vernon – Spitzname Captain Grog - beschloss, das begehrte Destillat zweimal am Tag auszuschenken, in jeweils halber Menge und im Verhältnis 1 zu 4 verdünnt. Das neue Gemisch, später mit Zucker und Zitronensaft angereichert, wurde – frei nach Admiral Vernon – unter dem Namen "Grog" bekannt. Im Lauf der Jahrhunderte wurden die Rumrationen immer mehr verwässert und schließlich auf etwa ein Schnapsglas reduziert. Dennoch hielten die Matrosen hartnäckig an ihrer Tradition fest. Und an dem Ritual, das Innere der Gläser nicht auszuwaschen, um den kostbaren Bodensatz möglichst zu erhalten.
    Am 28. Januar 1970 fand im britischen Unterhaus eine Sitzung statt, die dem Tot endgültig den Todesstoß versetzte. Trotz der Einwände des wortgewaltigen Abgeordneten James Wellbeloved, Rum sei ein unabkömmliches Heilmittel zur Stabilisierung von Matrosenmägen, gewann die Gegenseite, mit dem Argument, der Umgang mit der inzwischen hochkomplizierten Schiffstechnologie sei unter dem Einfluss von Rum viel zu gefährlich. Ein halbes Jahr später wurde der "Daily Tot" der Royal Navy abgeschafft. Andere Commonwealth Mitglieder zogen nach. 1972 folgte die kanadische Royal Navy. Und 1990 erhielt auch die neuseeländische Kriegsmarine ihren letzten Tot.