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Rund um die Antarktis
Fortschreitende Meereis-Zunahme

Es ist eines der größten Rätsel der Klimaforschung. Während in der Arktis das Meereis seit Jahrzehnten zurückgeht, weil es dort viel wärmer geworden ist, ist es in der Antarktis, also am Südpol, genau anders herum: Das Meereis um den sechsten Kontinent herum nimmt seit Jahrzehnten zu. Hamburger Max-Planck-Forscher glauben, der Lösung näher gekommen zu sein.

Von Volker Mrasek | 15.12.2014
    20 Millionen Quadratkilometer. Das ist eine Fläche mehr als doppelt so groß wie die USA. Diese Ausdehnung erreichte das Meereis rund um die Antarktis vor Kurzem:
    "Ja, wir sehen in der Antarktis - ganz im Gegensatz zur Arktis - eine Zunahme des antarktischen Meereises.
    Der deutsche Klimaforscher Dirk Notz. Am Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg leitet er die Arbeitsgruppe "Meereis im Erdsystem".
    "Die Hauptveränderung sehen wir im Ross-Meer, also in dem Sektor der Antarktis, der sich Richtung Pazifik öffnet. Und wir haben jetzt im September 2014 die höchste Meereis-Ausdehnung in der Antarktis gehabt, seit wir angefangen haben, regelmäßig vom Satelliten aus zu messen. Also, seit etwa 35 Jahren."
    Sogenannte Klimaskeptiker greifen den Trend der Packeis-Zunahme am Südpol gerne auf. Als vermeintlichen Beleg gegen die globale Erwärmung. Wie könne das Meereis im Ross-Meer da zunehmen? fragen sie, lassen dabei aber eine entscheidende Sache außer Acht:
    "Wir sprechen dort unten vor allem über den Winter. Und im Winter ist es dort trotz Klimaerwärmung immer noch sehr, sehr kalt. Das kann man sich genau so vorstellen, [wie] wenn man seinen Gefrierschrank zuhause von -18 auf -15 Grad hochdreht. Dann fängt dort auch nicht plötzlich alles an abzuschmelzen."
    Veränderungen des Luftdrucks und der Windströmungen
    Doch warum dieser ständige Packeis-Zuwachs? Definitiv erklären konnten die Klimaforscher das Phänomen bisher nicht.
    Dirk Notz glaubt der Lösung des Rätsels aber jetzt sehr nahe gekommen zu sein. Demnach sind es Veränderungen des Luftdrucks und der Windströmungen, die den Eis-Gürtel seit Jahren weiter aufs Meer hinaus treiben und wachsen lassen. Diese Vermutung gibt es schon länger - geäußert zum Beispiel von Eric Rignot, Gletscherforscher an der Universität von Kalifornien in Irvine.
    Die neue Studie, die Dirk Notz und zwei Fachkollegen jetzt vorlegen, erhärtet die Theorie vom Wind als treibender Kraft ...
    "Der Rest der Welt erwärmt sich schneller als die Antarktis. In der Folge erhöht sich der Druck-Unterschied zwischen dem Äquator und dem Südkontinent. Und die Winde werden kräftiger. Auf der Südhalbkugel führt das dazu, dass das Oberflächenwasser des Ozeans stärker nach Norden gedrückt wird. Dadurch neigt das Meereis dazu, sich auszudehnen."
    Aufgeblasener Packeis-Gürtel der Antarktis
    Die ablandigen Winde werden stärker, also jene, die von der Antarktis aufs Meer hinaus wehen. Das treibt auch das Packeis von der Küste weg. Es entsteht offener Ozean, der aber immer wieder zufriert bei den tiefen Minus-Temperaturen, die vor Ort herrschen. So beschreibt Dirk Notz den Mechanismus, der den Packeis-Gürtel der Antarktis förmlich immer weiter aufbläst:
    "Wir sehen dort einen ganz, ganz klaren Zusammenhang, das in all den Regionen, wo die ablandigen Winde, die Winde von der Küste weg, zugenommen haben, dass dort das Eis auch weiter aufs Meer hinaus getrieben wird. Und sich in diesen Regionen genau auch das Meereis dann entsprechend ausdehnt."
    Rätsel nicht endgültig gelöst
    Über der Antarktis klafft bekanntlich ein Ozonloch. Jedes Jahr im Spätwinter beginnt es sich zu öffnen - und führt dazu, dass sich die Atmosphäre im Bereich der Ozonschicht abkühlt, rund 20 Kilometer über der Erde. In Bodennähe erwärmt sich die Luft dagegen, durch die ungebremste Zunahme von Treibhausgasen. Die dadurch ausgelösten Temperatur-Veränderungen sind es, die die Windfelder vor der Küste verstärken - das ist die Vermutung der Hamburger Forscher.
    Für endgültig gelöst halten sie das Meereis-Rätsel am Südpol aber noch nicht. Kräftigere Winde und mehr Packeis - das wird zwar beobachtet. Doch heutige Klimamodelle schaffen es nicht, das Ganze zu simulieren. Viele zeigen sogar eine Meereis-Abnahme. Weil sie, wie Dirk Notz vermutet, die Geländestruktur der antarktischen Eiswelten nicht genau genug abbilden ...
    "Wir haben das Rätsel noch nicht komplett gelöst. Der noch fehlende Schritt wäre es jetzt tatsächlich, in den Modellen die Windströmung so zu verbessern, dass wir diese Zunahme des Meereises im Modell sehen. Und dann hätten wir das Rätsel um das antarktische Meereis meiner Meinung nach vollständig gelöst."