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Russen in Berlin über FIFA-WM 2018
Begeisterung sieht anders aus

Fan-Kneipen, ein WM-Fan-Zentrum, Public Viewing: Für die rund 52.000 in Berlin lebenden Menschen mit russischem Migrationshintergrund gibt es zur FIFA-WM jede Menge Angebote. Dennoch hält sich die Vorfreude auf das Event bisher in Grenzen. Die Kreml-Politik spielt dabei allerdings nicht die Hauptrolle.

Von Mathias von Lieben | 14.06.2018
    Das Russische Haus der Wissenschaft und Kultur in Berlin Mitte
    Das Russische Haus der Wissenschaft und Kultur in Berlin Mitte: Im Erdgeschoss ist das WM-Fan-Zentrum eingerichtet (picture-alliance / ZB / Soeren Stache)
    Berlin Kreuzberg - Feierabendzeit. Vor der Bar "Kvartira 62" sitzen die ersten Gäste auf Holzbänken und trinken russisches Bier. Zwei Tische weiter gießt sich ein junger Mann ein Radler ein:
    "Ja ich bin Alexander Grüner, ich komme aus Russland. Seit 1998 bin ich in Berlin, also seit 20 Jahren. Und die Kneipe heißt 'Kvartira 62' und wir sind schon seit zehn Jahren hier. Und das ist so etwas wie eine russische Enklave in Kreuzberg."
    Grüner ist mit 17 Jahren mit seiner Familie von Russland nach Deutschland gezogen. Mittlerweile wohnt er mit seiner Frau und zwei kleinen Töchtern in Berlin Steglitz. Er ist einer von knapp 24.000 Russen, die ihren Hauptwohnsitz in Berlin haben. Insgesamt leben 52.000 Menschen mit russischem Migrationshintergrund in der Hauptstadt.
    Jetzt, so kurz vor dem Start der Fußball-Weltmeisterschaft: Spürt Grüner die Vorfreude auf das Turnier in der russischen Gemeinschaft Berlins?
    "Also die Russen sind nicht so geile Fußball-Fanatiker. Die stehen eher so auf Eishockey. So euphorisch werden die wahrscheinlich nicht sein."
    Alexander Grüner wird die Spiele von Russland in seiner Bar ausstrahlen und hat ein großes Public Viewing angekündigt. Dafür hat er sogar einen neuen Fernseher und einen Grill gekauft.
    "Ich hab auch einen Namen erfunden: WM-Haupt-Kvartira 62."
    "Fußball ist halt Fußball"
    Hier in Berlin-Kreuzberg ist alles angerichtet für ein Fußball-Fest. Das hat auch der russische Staatspräsident Wladimir Putin der Welt versprochen. Doch: Angesichts der Menschenrechtslage und des weltpolitischen Auftretens Russlands hält es fast jeder zweite Deutsche für falsch, dass die Fußball-WM dort stattfindet. Grüner auch?
    "Ich trenne das. Also ich weiß nicht. Politik und Sport. Bei manchen Leuten hat das was Gemeinsames. Bei mir halt nicht. Fußball ist halt Fußball. Das ist meine Meinung."
    Standortwechsel: Das Foyer im Russischen Haus der Wissenschaft und Kultur, Berlin Mitte. Auf einem Fernseher läuft eine russische Serie, nur vereinzelt huschen Mitarbeiter durch den Eingangsbereich. In Russland ist Nationalfeiertag, viele Mitarbeiter haben frei. So kurz vor der Fußball-Weltmeisterschaft kommt das für eine Person aber nicht infrage:
    "Ich heiße Alexandra Ogneva. Ich bin für Projekte im Bereich Kultur und Sport verantwortlich. Und gerade bin ich auch für das Projekt verantwortlich: Fußball-Weltmeisterschaft 2018."
    Fußball als Werbeplattform für Russland
    Zu dem Projekt gehört auch das WM-Fan-Zentrum, das im Erdgeschoss eingerichtet ist. Dort bekommen Fans zum Beispiel Informationen über die russischen Spielorte. Und: Sie können sie sich ihre sogenannte Fan-ID aushändigen lassen, die sowohl als Eintrittskarte für die Fußball-Spiele als auch als Visum gültig ist. Am Tag des Eröffnungsspiels wird für knapp 200 Fans auch der Kino-Saal geöffnet. Mit was für einem Publikum rechnet die Organisatorin dann?
    "Also in erster Linie sind das Männer. Aber nicht nur junge Männer, sondern auch Männer in einem soliden Alter würd ich mal sagen. Zum Beispiel war Ende Mai ein bekannter russischer Sportmoderator bei uns zu Gast. Und da kamen wirklich Männer um die 50, die noch den sowjetischen Fußball gut gekannt haben. Und die meinten: Naja, wir gucken auch mit und wollen das ganz genau verfolgen."
    Das Projekt von Alexandra Ogneva ist Teil der Strategie des russischen WM-Organisationskomitees, Werbung für Russland und die WM zu machen. Ogneva wohnt selbst schon seit mehreren Jahren in Berlin und hat überwiegend deutsche Freunde. Daher weiß sie auch, dass manche Deutsche Russland als WM-Gastgeber kritisch gegenüber stehen:
    "Also ich denke, dass Politik seinen Schatten auf Fußball wirft, obwohl ich glaube, dass wir versuchen müssten diese zwei Begriffe zu trennen. Die Russen freuen sich darüber, sein Bestes zu zeigen, so wie Deutschland das 2006 gemacht hat. Die Welt zu Gast bei Freunden, also willkommen heißen."
    Kritische Stimmen in "Charlottengrad"
    Die meisten Berliner Russen findet man allerdings in Charlottenburg, fast 4.000 sind hier gemeldet. Charlottengrad, so nennen viele den Stadtteil deswegen. Im S-Bahnhof Charlottenburg ist der russische 24-Stunden-Supermarkt Rossia. Hier gibt es: Trockenfisch, Buchweizen und russische Süßigkeiten. Fast ausschließlich Russen kaufen hier ein. Ist bei ihnen die WM-Euphorie schon ausgebrochen?
    "Ich werde sie nicht verfolgen. Ich boykottiere sie rigoros."
    "Warum?"
    "Weil Putin den Krieg in der Ukraine führt. Ich finde man soll nicht zu ihm reisen und ihn nicht unterstützen und keine Plattform bieten."
    "Ich würde gerne, aber ich muss arbeiten!"
    "Nein ich habe kein Interesse am Fußball. Meine Tochter hat großes Interesse. Sie ist fanatisch."
    Im Imbiss neben dem Supermarkt ist "Borschtsch", die traditionelle russische Rote-Beete-Suppe, der Verkaufsschlager. Hinterm Tresen arbeitet Irina Schmidt, die seit 15 Jahren in Deutschland lebt: Was das sportliche Abschneiden Russlands betrifft, ist sie im Vergleich zu vielen anderen Russen relativ optimistisch:
    "Sie kommen von Gruppe weiter, aber nicht ins Finale leider."