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Russisch-ukrainischer Konflikt
Der Ton wird wieder deutlich rauer

Eigentlich sollten im russisch-ukrainischen Konflikt schon längst die Waffen schweigen. Aber der im Friedensabkommen von Minsk vereinbarte Waffenstillstand hält nicht, derzeit scheint er sogar wieder brüchiger zu werden. Diplomatische Bemühungen bleiben weiter ohne Ergebnis.

Von Florian Kellermann | 30.08.2016
    Präsident Poroschenko besucht im März 2016 Soldaten in der umkämpften Ost-Ukraine.
    Der ukrainische Präsident Poroschenko besucht im März 2016 Soldaten in der umkämpften Ost-Ukraine. Frieden ist noch nicht in Sicht. (dpa / picture alliance / Mykola Lazarenko)
    Seit fast zweieinhalb Jahren gibt Alexander Hug regelmäßig seine Statements ab. Er ist stellvertretender Leiter der OSZE-Mission in der Ukraine und zählt auf: wie viele Explosionen seine Beobachter gehört, wie viel verbotenes Kriegsgerät sie festgestellt haben. Doch dem trockenen Vortrag des Diplomaten Hug ist immer häufiger anzuhören, wie enttäuscht er über die Entwicklung ist. So auch zuletzt:
    "In Marinka und im benachbarten Petrowskij-Viertel der Stadt Donezk haben schwere Waffen und diejenigen, die sie bedienen, keinen Unterschied zwischen Zivilisten und Kämpfenden gemacht. Unsere Beobachter haben bestätigt, dass im Petrowskij-Viertel drei Männer getötet und ein 16-jähriges Mädchen verletzt wurden. Drei ihrer Nachbarn in Marinka, eine Frau und zwei Jungen, acht und 13 Jahre alt, wurden durch Granatsplitter verletzt. Alles, was sie trennte, war eine künstliche Grenze, die sogenannte Kontaktlinie."
    Die OSZE kann wenig unternehmen. Ihre Beobachter bekommen häufig keinen Zutritt zu Gebieten, in denen sich Waffen vermuten, vor allem auf der Seite der Separatisten. Immer wieder werden sie auch bedroht und beschossen. Sie müssen zusehen, wie die Kämpfe zwischen der ukrainischen Armee und den von Russland unterstützten Separatisten seit Jahresbeginn wieder heftiger werden. Allein im Juli starben acht Zivilisten, 65 erlitten Verletzungen - so viele wie seit fast einem Jahr nicht mehr.
    Es scheint, dass Russland und die Ukraine gar nicht verhandeln wollen
    Damit werden nicht einmal die ersten Punkte des Minsker Friedens-Abkommens umgesetzt, das die Konfliktparteien vor anderthalb Jahren geschlossen haben. Ganz oben stehen dort ein Waffenstillstand und die Einrichtung einer Pufferzone. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier forderte gestern zum wiederholten Mal in einem ARD-Interview:
    "Wir müssen sehen, dass wir in diesem Jahr - und ich sage betont: über diesen Sommer hinweg - zu Fortschritten bei der Umsetzung von Minsk kommen. Das heißt ganz konkret, den Waffenstillstand, der vereinbart ist, wieder sicherer zu machen. Dazu verhandeln wir im Augenblick über eine Entflechtung der Truppenverbände beidseits der Konfrontationslinie längs der Ostukraine."
    Russland und die Ukraine jedoch wollen darüber gar nicht verhandeln, so scheint es. Fast im Wochentakt kommt es zu neuen Irritationen zwischen den beiden Ländern. Moskau wirft der Ukraine vor, sie wolle die Lage auf der von Russland annektierten Krim destabilisieren. Anfang des Monats habe die ukrainische Regierung Anschläge auf der Halbinsel geplant. Mitglieder einer terroristischen ukrainischen Gruppe seien festgenommen worden, nachdem sie schwer bewaffnet auf die Krim vorgedrungen seien.
    Chancen für Umsetzung des Minsker Abkommens sinken
    Die Ukraine bezeichnet die Nachricht als Provokation. Sie veröffentlichte ihrerseits Mitschnitte von Telefongesprächen, die ein Berater des russischen Präsidenten Vladimir Putin im Februar 2014 geführt habe. Sie sollen belegen, dass Russland damals separatistische Bewegungen in vielen ukrainischen Bezirken anzetteln wollte, ihnen Geld und militärische Hilfe versprach. Der ukrainische Generalstaatsanwalt Jurij Luzenko kündigte an, 18 Kreml-Vertreter zur Fahndung auszuschreiben.
    "Wenn wir offiziell festgestellt haben, dass sie sich derzeit nicht auf dem Gebiet der Ukraine befinden, werden wir die Fahndung internationalen Organen übergeben. Diese Leute wollten einem unabhängigen Land erheblichen Schaden zufügen. Ich bin überzeugt, dass Europol und Interpol das auch so sehen."
    Der Ton zwischen den Nachbarländern wird also wieder deutlich rauer - und die Chancen auf eine Umsetzung des Minsker Abkommens sinken. Das gilt auch, weil in der Ukraine zentrale Punkte der Vereinbarung politisch derzeit nicht durchsetzbar sind. Ein Amnestie-Gesetz für die separatistischen Kämpfer hat im Parlament ebenso wenig eine Mehrheit wie der versprochene Sonderstatus für das Donezbecken. Auf der anderen Seite denkt auch Russland nicht daran, seine Versprechen zu erfüllen und etwa die militärische Hilfe für die Separatisten wenigstens zu beschränken. Viele Beobachter meinen deshalb: Mittelfristig wäre ein Einfrieren des Konflikts schon als Erfolg zu werten.