Mittwoch, 24. April 2024

Archiv

Russische Agrarsanktionen
"Obst essen - fünfmal am Tag!"

Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) hält die negativen Auswirkungen der Agrarsanktionen von Russland für "überschaubar". Zwar müsse der Markt jetzt durch EU-Unterstützung "in den Griff" bekommen werden, aber jeder Einzelne könne etwas tun: Obst essen, am besten fünf Mal pro Tag, empfahl er im DLF.

Christian Schmidt im Gespräch mit Christine Heuer | 02.09.2014
    Der Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, Christian Schmidt (CSU), bei einer Konferenz in Rostock-Warnemünde
    Der Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, Christian Schmidt (CSU), bei einer Konferenz in Rostock-Warnemünde (picture-alliance / dpa / Bernd Wüstneck)
    Die Bauern sollten nicht mit einer "Eins-zu-eins-Entschädigung" rechnen, schließlich habe es immer gute und schlechte Ernten gegeben. Gemeinsam mit den Landwirtschaftsministern von Polen und Frankreich wolle man Maßnahmen beschließen, um "dem Markt Leitplanken zu geben" und da, wo es notwendig sei, zu unterstützen.
    Als weitere Maßnahme nannte er, mehr Obst zu essen. "Sie sollten essen, ich sollte essen, wir sollten essen und nicht darüber lamentieren, dass es zuviel Obst gibt!" Außerdem solle nach weiteren Exportwegen gesucht werden. Russland sei nicht "das einzige Land, das Äpfel brauche", so Schmidt. Er nannte Märkte in Asien und Südamerika.
    Schmidt spricht sich gegen die Lieferung von Waffen in die Ukraine aus. "Wir sollten versuchen, die Gewalt zu beenden, friedlich, durch Gespräche und nicht im kritischen Bereich Osteuropa keine andere Antwort haben, als Waffen zu liefern."
    Schmidt äußerte sich auch zum Rücktritt seiner Parteikollegin Christine Haderthauer. Es sei ein "bedauerlicher" Schritt, der jedoch Respekt verdiene.

    Das Interview in voller Länge:
    Christine Heuer: Russland annektiert die Krim, die EU verhängt Sanktionen. Russland schickt kaum verholen Soldaten und Waffen in die Ostukraine und die EU verschärft ihre Sanktionen. Und natürlich lässt Moskau all das nicht einfach auf sich beruhen. Seit Wochen dreht sich das Sanktions-Karussell. In Bonn beraten heute die Agrarminister des Weimarer Dreiecks, also Polens, Deutschlands und Frankreichs, über die Folgen, die Russlands Importstopp für europäische Bauern und den europäischen Lebensmittelmarkt hat.
    Ich bin am Telefon verbunden mit Christian Schmidt, CSU-Politiker, Bundeslandwirtschaftsminister, heute dabei natürlich bei den Verhandlungen der Agrarminister des Weimarer Dreiecks in Bonn. Guten Morgen, Herr Schmidt.
    Christian Schmidt: Guten Morgen.
    Heuer: Wie hoch sind die Butterberge denn schon in Europa und wie tief die Milchseen?
    Schmidt: Die Butterberge und Milchseen sind überschaubar. Was wir spüren, ist, dass jemand und manche versuchen, am Markt aus der relativ, zahlenmäßig quantitativ überschaubaren Beeinträchtigung durch den russischen Exportstopp ein finanzielles Kapital zu schlagen, indem die Preise nach unten gehen.
    Heuer: Wer versucht das? Wer versucht, daraus Kapital zu schlagen?
    Schmidt: Frau Heuer, das ist der Markt, das sind die Markterwartungen, und Sie wissen, der Markt hat viel mit Psychologie zu tun, und deswegen wollen wir dem Markt ein klein wenig Leitplanken geben, nämlich dass wir im Milchbereich sehr zurückhaltend, aber doch da, wo Notwendigkeit ist, unterstützen.
    "Wir sollten essen!"
    Heuer: Die EU will auch Obst und Gemüse aufkaufen und dann was damit machen? Vernichten?
    Schmidt: Nein! Überhaupt nicht. Essen! Sie sollten essen, ich sollte essen, wir sollten essen. Man kann natürlich nicht lamentieren darüber, dass es viel Obst gibt, und kein Obst essen. Ich muss das loswerden. Zu Beginn am frühen Morgen, fünfmal am Tag, Punkt.
    Das Zweite ist, dass ich daran denke und verlange, dass wir das Schulobst-Programm ausdehnen. Wir müssen ja in die Bereiche gehen, die kostenlos dann sind, die nicht den Markt dann nur verdrängen und verlagern. Und dann muss man Exportwege suchen. Russland ist übrigens nicht das einzige Land auf dieser Welt, das Äpfel braucht.
    Heuer: Genau. Wer braucht die noch? An wen wollen Sie die Waren verkaufen?
    Schmidt: Es gibt eine ganze Reihe von Ländern innerhalb Europas, außerhalb Europas. Was die verderbliche Ware betrifft, hat sich das natürlich auch regional etwas begrenzt darzustellen. Aber ich bin jetzt auf dem Weg in den nächsten Wochen nach China und auch andere Länder in Asien und in Südamerika, die ja jetzt den klimatischen Winter haben. Die sind durchaus Ansprechpartner. Da werden wir mal sehen, was wir tun können im Sinne der Obst- und Gemüseerzeuger.
    Heuer: Und wenn all die Maßnahmen, die Sie jetzt andenken, Herr Schmidt, wenn die nicht wirklich funktionieren, dann sinken die Preise weiter, weil es ein Überangebot gibt in Europa. Will die EU ihre Bauern dann in großem Maßstab entschädigen?
    Schmidt: Nein! Entschädigen wegen des Überangebotes nicht. Es gibt immer gute und schlechte Ernten. Markt ausgleichen, dort wo der Markt aus anderen Bedingungen und in einer konkreten Situation besonders stark belastet ist. Das ist übrigens auch der Grund, wieso - Sie gestatten doch, dass ich das sage - zum ersten Mal die Landwirtschaftsminister sich im Weimarer Format treffen. Das heißt, der französische Kollege, der polnische Kollege und ich, wir repräsentieren einen relativ starken Anteil an Obst- und Gemüseerzeugung, und da wollen wir gemeinsam im Sinne der Erzeuger, aber auch der Verbraucher versuchen, gute Dinge nach vorne zu bringen.
    "Eins-zu-eins-Entschädigung kann es nicht geben"
    Heuer: Herr Schmidt, aber Wladimir Putin ist keine schlechte Ernte. Wollen Sie die Bauern entschädigen, deshalb noch mal gefragt?
    Schmidt: Entschädigen im Sinne von Unterstützen ja. Den Markt besser in den Griff zu bekommen, ja. Deswegen gibt es ja ein 125-Millionen-Paket, das wir geschnürt haben auf europäischer Ebene für Obst und Gemüse. Aber Entschädigung klingt so danach, als ob man für jeden Apfel dann was bezahlt. Ja, er wird aber nicht in vollem Ausmaße. Beispielsweise für die, die sozial verwendet werden, gibt es, ich glaube, eine Größenordnung von bis zu 17 Cent. Das deckt natürlich nicht den Markt ab. Deswegen bin ich da, nicht den falschen Eindruck zu geben, es gäbe eine Eins-zu-eins-Entschädigung. Das kann es nicht geben.
    Heuer: Aber etwas Geld fließt schon. Wofür das alles, wenn andere einspringen, wenn zum Beispiel Brasilien, Ägypten und andere die Russen an unserer Stelle dann beliefern?
    Schmidt: Na ja, gut. Das warten wir mal alles in Ruhe ab und betrachten das. Man soll sich da nicht von einem zum anderen treiben lassen. Ich weise darauf hin, dass beispielsweise im Milchbereich interessanterweise für laktosefreie Milch und Milchprodukte Russland letzte Woche überraschend wieder aufgemacht hat, vielleicht, weil der Verbraucher in Russland der eigentliche Verlierer bei der ganzen Operation ist. Denn der muss mehr bezahlen, und da endet selbst die Freude an Herrn Putin beim einen oder anderen russischen Bürger.
    Heuer: Es geht aber ja eigentlich um die Ukraine. Die ist sicher dankbar für Sanktionen. Noch dankbarer wäre Kiew aber für echte Hilfe, zum Beispiel für Waffen im Kampf gegen die Separatisten. Sie waren ja viele Jahre Verteidigungspolitiker in Berlin, Herr Schmidt. Sollte Deutschland Kiew Waffen liefern?
    Schmidt: Äpfel hat jetzt die Ukraine zumindest genügend, über die kann ich entscheiden.
    Heuer: Aber zu dem anderen haben Sie eine Meinung?
    Schmidt: Ihren Gedankensprung vollziehe ich nach, meine aber schon, dass wir versuchen müssen, dass wir die gewalttätigen Auseinandersetzungen beenden, und zwar friedlich und durch Gespräche, und dass wir nicht in diesem kritischen Bereich Osteuropas keine andere Antwort wüssten, als einfach Waffen zu liefern.
    "Zone gemeinsamer Sicherheit in der Europäischen Union"
    Heuer: Die NATO entwickelt ja andere Antworten. Sie erwägt eine stärkere Präsenz in Osteuropa und eine schnelle Eingreiftruppe zum Beispiel. Sind Sie dafür?
    Schmidt: Für mich ist das eine vom anderen schon zu unterscheiden. Das eine hat mit dem anderen nicht sehr viel zu tun, sondern nur mit der Bekräftigung und Vergewisserung unserer Partner in Osteuropa, in den baltischen Staaten, in Polen, die eine gewisse Sorge haben. Und wer wollte denn die Sorge nicht nachvollziehen können, dass es Unruhe an ihrem östlichen Grenzbereich gibt, und die in einer Zone gemeinsamer Sicherheit in der Europäischen Union und in der NATO deswegen auch erwarten können - und wir tun das ja -, dass wir die NATO und das Bündnis und die Europäische Union insbesondere als eine einheitliche Zone der Sicherheit betrachten.
    Heuer: Soll die NATO dafür sorgen, dass sie schneller einsatzbereit ist in Osteuropa, Herr Schmidt?
    Schmidt: Die NATO ist schnell einsatzbereit.
    Heuer: Da muss nicht nachgelegt werden? Eigentlich ist das ja geplant, und zwar schon für Ende dieser Woche, dass da Beschlüsse gefasst werden.
    Schmidt: Nein. Es geht hier um die Frage von Präsenzen, und da will ich dem NATO-Gipfel in Wales noch nicht vorgreifen. Da gestatten Sie doch, dass ich meine, dass das die zuständigen Politiker und Minister entscheiden sollten. Wie gesagt, ich bin für Äpfel zuständig.
    Haderthauer-Rücktritt: "Verdient Respekt"
    Heuer: Sie sind auch zuständig für die CSU. Ich muss Sie heute Morgen auch noch als CSU-Politiker befragen. Sie ahnen es: zum Rücktritt von Christine Haderthauer, der Staatskanzlei-Chefin in München. Hand aufs Herz: Erleichtert Sie dieser Rücktritt?
    Schmidt: Er erleichtert mich nicht. Ich bedauere ihn sehr als Vorgang, weil Christine Haderthauer eine sehr geschätzte Kollegin und Politikerin ist. Dass sie die Konsequenzen zieht aus einer Gemengelage von rechtlichen Unsicherheiten, Ermittlungen - es gilt auch hier die Unschuldsvermutung - und aus einer Belastung für den politischen Betrieb, der sich dann halt auch so ergibt aus der Diskussion, Untersuchungsausschuss etc., dass sie durch diese Mühle, wenn Sie mir dieses Wort gestatten, sich selbst und auch ein Stück die Politik in Bayern nicht treiben lassen will, das verdient Respekt.
    Heuer: Diese Sache hat eine juristische Seite und eine politische, aber vielleicht auch eine moralische. Reicht es nicht aus in der CSU für einen Rücktritt, Herr Schmidt, wenn man sich jahrelang an der Arbeit Schutzbefohlener bereichert?
    Schmidt: Erstens mal ist das eine Unterstellung, die wir, Sie und ich nicht wirklich prüfen können. Dies sollen die Ermittlungen und Untersuchungen ergeben. Zum zweiten ist es so, dass ich nicht bei denen bin, die meinen, dass sofort auf ersten Anruf und erste Aufforderung jemand dann sofort die Konsequenzen für seine berufliche Karriere und politische Karriere und Existenz ziehen sollte und müsste. Nun lassen wir das mal. Auch ein Stück des Respekts vor jedem Menschen und konkret vor Christine Haderthauer, die sehr viel geleistet hat, und so viel Zeit muss sein. So viel Zeit war es übrigens gar nicht. Es waren gerade mal Sommerferien. Ich mache das Spiel nicht mit, dass wir gerade immer schnell wie die Fallbeil-Aktionäre hier handeln. Es sind Menschen und das müssen wir alle, auch wir im politischen Betrieb, im medialen Betrieb müssen uns das vor Augen führen.
    Heuer: Christian Schmidt, Bundeslandwirtschaftsminister, christsozialer Politiker in Berlin. Ich bedanke mich sehr für das Gespräch, Herr Schmidt.
    Schmidt: Gerne! Schönen Tag.
    Heuer: Ihnen auch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.