Samstag, 20. April 2024

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Russische Band OQJAV
„Indie meint: freier und individueller zu sein“

Die junge russische Band OQJAV ist in Russland derzeit in aller Munde – als Vertreter des in Russland immer beliebteren Genres „Indie Rock“. Mit kreativen Experimenten und Mut zum Individualismus hat sich das Trio einen Namen gemacht. Frontmann Wadim Korolev will sich nicht in Schubladen stecken lassen. Wadim Korolev im Corso-Gespräch mit Antonina Nikulina.

Wadim Korolev im Gespräch mit Antonina Nikulina | 07.10.2016
    Antonina Nikulina: Wadim Korolev, erklären Sie uns kurz den deutschen Zuhörern, die mit dem Bandnamen OQJAV wenig anfangen können: Was hat es mit der Abkürzung auf sich?
    Wadim Korolev: Der Bandname geht auf den Nachnamen des russischen Dichters Bulat Okudschawa zurück. In Moskau steht ein Okudschawa-Denkmal in der Arbat-Straße. Eines Tages bin ich durch die Stadt gelaufen und vor dem Denkmal stehen geblieben. Und wie durch ein Wunder ist mir dabei die Idee für einen Song gekommen. Ich finde, dass unsere Stücke wenig mit dem Werk des Dichters zu tun haben. Aber ich wollte diesen Moment der Kontemplation im Bandnamen festhalten.
    "Vielleicht sind unsere Pop-Songs einfach komplizierter"
    Nikulina: Wenn über Sie berichtet wird, heißt es, Sie würden Indie-Rock spielen. Können Sie sich mit diesem Label anfreunden?
    Korolev: Tatsächlich weiß ich gar nicht so genau, ob wir wirklich Indie-Rock machen. Und jedes Mal, wenn man uns sagt, dass wir indie sind, sind wir überrascht. Ich finde eher, dass wir Pop-Musik machen. Vielleicht sind unsere Pop-Songs einfach komplizierter als von anderen Bands. Indie-Rock meint ja, dass die Musik irgendwie freier und individueller ist. In diesem Sinn sind wir schon eine Indie-Rock-Gruppe, weil wir nämlich selbstorganisiert arbeiten und alles selbst machen. Aber jetzt führe ich ja ein Gespräch mit Ihnen, einer großen Organisation – und wer weiß, vielleicht sind wir bald nicht mehr so frei und unabhängig?
    Nikulina: Sie meinen kommerzielle Freiheit, oder?
    Korolev: Ja, genau. Noch redet uns niemand herein – zum Beispiel, wie viele Lieder wir im Jahr veröffentlichen müssen.
    Nikulina: Nochmal zurück zum Stichwort Indie: Was meinen Sie, warum bezeichnet man OQJAV als Indie-Rock-Band? Ist dieses Genre bei den russischen Zuhörern derzeit besonders beliebt?
    Korolev: Ich vermute einfach, dass es so ist. Aber ich bin kein Musikliebhaber, ich bevorzuge Bücher. Ich weiß nicht so genau, was sie mit dem Wort Genre meinen. Ich glaube, dass Indie-Bands zu unterschiedlich sind, deshalb gehören sie für mich nicht zu einem gemeinsamen Genre. Da gibt es zu viele Unterschiede. In meinen Augen zeichnen sich da keine gemeinsamen Musiktrends ab. Wenn ich dagegen zum Beispiel das Wort Rock’n‘Roll höre, weiß ich, wie die Musik klingt. Das ist genauso bei Funk und Disko. Und Indie-Rock ist für mich zu vielfältig. Ich denke, dass das Wort Indie nicht die Musik beschreibt, sondern eher den Schaffensprozess und die Umsetzung.
    "Wir nutzen die Hilfe unserer Freunde"
    Nikulina: Stichwort Umsetzung: Interessant sind Ihre kreativen Art-Work-Experimente. Zum Beispiel, haben Sie zum Stück "Chinatown" ein Musikvideo im senkrechten Bildformat gedreht. Haben Sie sich das selbst ausgedacht, nach dem Motto "Do-it-yourself"?
    Korolev: Es ist fast so, wir nutzen die Hilfe unserer Freunde. Wir haben so ein Prinzip, dass sie etwas für uns organisieren und wir machen alles möglich für sie. Es geht nur so, denn wir haben kein Geld, teure Musikvideos zu drehen. Wir können es uns nicht leisten, ein paar Millionen Rubel oder eine Million Dollar für einen Clip auszugeben. Zum Glück gibt es bei uns viele talentierte Freunde, wie das Studio "CVET", das unser erstes Musikvideo gedreht hat und ein senkrechtes Video für "Chinatown" vorgeschlagen hat.
    Nikulina: Was wollen Sie mit Ihrer Band erreichen?
    Korolev: Die Hauptsache ist, den Zuhörern eine Message mitzugeben. Wenn ich ein Lied schreibe, weiß ich, dass das Publikum wenig Zeit hat, um eine Gedanken zu verstehen. Und es ist wichtig, die Grundidee zu vermitteln.
    Nikulina: Sie sprechen über die Message – welche Botschaft will OQJAV denn verbreiten?
    Korolev: Es gibt keine konkrete. Ich glaube überhaupt nicht an die große Botschaften. Ich bin einfach froh, wenn mir etwas Spaß macht, und ich bin traurig, wenn es keinen Grund zur Freude gibt. Und ich will dieses Gefühl zu unseren Zuhörern geben.
    Das Direkte und Gefällige von Vincent van Gogh
    Nikulina: Was sind Ihre Vorbilder – welche Persönlichkeiten begeistern Sie?
    Korolev: Michael Jackson, Vladimir Nabokov und das 4.Konzert des Komponisten Rachmaninow - ich weiß nicht, warum ich vor allem das 4.Konzert höre. Und ich mag französische Impressionisten – auch wenn mir klar ist, dass das ein wenig altmodisch ist.
    Nikulina: Wen? Monet?
    Korolev: Monet auch. Cézanne. Manet wiederum weniger. Und ich mag das Direkte und Gefällige von Vincent van Gogh. Zumindest bewerten so viele Menschen seine Kunst, denn er ist, glaube ich, einfach zu populär. Aber ich schäme mich nicht, dass ich ein normaler Mann bin und niemande besonderes. Ich mag populäre Kultur. Natürlich gibt es in auch Dinge, die mir nicht so gut gefallen, aber das ist eher die Ausnahme.
    Nikulina: Ich glaube, dass es sich mit der Indie-Musik anders verhält. Man sucht sich Indie-Rock aus, um sich von anderen Personen zu unterscheiden.
    Korolev: Wenn man sich selbst von anderen unterscheiden möchte, dann ist das gut. Aber es ist schlimm, wenn man das nur mit der Absicht macht, um aufzufallen. Diese Haltung ist nur etwas für Verlierer.
    Emotionen in Songs ausdrücken
    Nikulina: Planen Sie eine Tour im Ausland oder ein Album für den internationalen Markt?
    Korolev: Leider kann ich Fremdsprachen nicht so gut. Ich kann ein wenig auf Französisch und auf Englisch sprechen. Ich kann mich mit Angestellten eines Hotels verständigen, aber ich kein ernstzunehmendes Gespräch führen, geschweige denn über Poesie sprechen. Ich finde, dass es gute Sprachkenntnisse erfordert, wenn man seine Emotionen in Songs ausdrücken will. In einer anderen Sprache geht es nicht so natürlich, wie in der Muttersprache. Das ist in der Musik genauso wie im Kinofilm. Ich verstehe nicht, warum sich manche Künstler eine fremde Sprache aussuchen und sich damit in ihren Möglichkeiten sich ausdrücken beschneiden Wir als Band spielen russische Songs und für den russischsprachigen Raum. Trotzdem gefällt es mir, wie andere Sprachen klingen. Zum Beispiel habe ich heute zum ersten Mal ein Gespräch auf Deutsch gehört. Das war sehr schön. Wenn ein Gedicht in einer fremden Sprache schon geschrieben wäre, könnte ich dazu Musik die schreiben – das wäre schon möglich.