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Russische Jugendarmee
Wehrerziehung, Patriotismus und Instagram

Es ist eine Mischung aus Dauer-Ferienlager, Sportklub und Militärtraining: Die russische Jugendarmee hat seit ihrer Gründung vor zwei Jahren rund 200.000 Mitglieder gewonnen. Mit Fanshop, Erlebnispark und prominenter Unterstützung sollen Jugendliche sich hier auf den Wehrdienst vorbereiten.

Von Thielko Grieß | 26.02.2018
    Ein Jungarmist in Uniform hält sein Smartphone in die Luft und macht ein Selfie. Im Hintergrund ist der Verteidigungsminister Sergej Schoigu zu sehen.
    Die russische Jugendarmee hat inzwischen rund 200.000 Mitglieder. (Deutschlandradio / Julia Larina)
    Selbst aus einem Verteidigungsminister lässt sich eine Art Pop-Star machen. Als Sergej Schoigu auf die Bühne im "Park Patriot" zuschreitet, umfunkelt von weiß-blau-roten LED-Wänden und untermalt von reichlich Beats, stehen einige tausend Jungarmisten und Betreuer aus ihren streng sortierten Sitzreihen auf, klatschen, filmen den Moment mit ihren Handys. Die meisten hier tragen neue, hell-sandfarbenen Jugendarmee-Uniformen, dazu saubere Schuhe und rotes oder blaues Barett.
    "Ich möchte allen Ihren Betreuern, Erziehern und Eltern herzlichen Dank sagen. Dafür, dass sie Sie erziehen, sie Sie großgezogen haben und aus Ihnen anständige, ehrbare Bürger unseres Landes gemacht haben."
    Der Verteidigungsminister bittet Radion Terechow auf die Bühne und heftet dem Schüler eine Medaille an die Brust. Die bekommt er dafür, dass er zwei Kinder aus einem Fluss gerettet hat, die zu ertrinken drohten. Ausgezeichnet salutiert er vor dem Minister, kehrt auf seinen Platz zurück, seine Hände zittern. Vor Aufregung. Ein Kinderchor besingt im Playback den Dienst am Vaterland und Terechows Hände beruhigen sich langsam. Erleichtert, den Auftritt gemeistert zu haben, geht er hinauf zur Kantine, Mittagessen.
    Verteidigungsminister Sergej Schoigu steht umringt von Jungarmisten an einer Tischtennisplatte und spielt einen Ball
    Ping Pong mit Dem Verteidigungsminister (Deutschlandradio / Thielko Grieß)
    "Das Land wie seine eigenen Eltern achten"
    Im Gespräch stellt sich Terechow als ein bedächtiger Jugendlicher heraus, dem die allersimpelsten, waffenstarrenden Parolen nicht über die Lippen kommen. Er nennt die Stichwörter, die hier praktisch jeder Angesprochene formuliert: Russland, Liebe zum Land, Schutz der Heimat.
    "Patriotismus heißt, sein Land zu lieben, es zu verehren, es nach vorn zu bringen. Das Land wie seine eigenen Eltern zu achten. Russland ist eine der Weltmächte. Und es ist ein sehr, sehr großes Land. Wir haben eine riesige Erfahrung, die unsere Vorfahren gemacht haben. Der Große Vaterländische Krieg hat bewiesen, dass das russische Volk unbesiegbar ist."
    Der Elftklässler will nach der Schule zur Armee. Die Jugendarmee bereitet ihn darauf vor.
    "Wir bekommen militär-taktische Wehrerziehung. Zum Beispiel Übungen am Schießstand. Es gibt patriotische Erziehung. Beispielweise fahren wir in eine Schule und erzählen Schülern unterer Jahrgänge von Helden Russlands. Drei oder vier Tage wöchentlich sind wir in der Jugendarmee, nach der Schule. Wir werden nicht dazu gezwungen. Wer will, der kommt."
    "Höfliche Menschen"
    Die Jugendarmee: eine Mischung aus Dauer-Ferienlager, Sportklub und Militärtraining mit deutlicher staatlicher Prägung. Sie besteht seit 2016; in kurzer Zeit hat sie landesweit rund 200.000 Mitglieder gewonnen. Es gibt Berichte darüber, dass ganze Schulklassen mit mehr oder weniger sanften Hinweisen seitens der Staatsmacht hinein bugsiert worden sind.
    Uniformierte Jugendliche halten Waffen in der Hand uns zielen
    Jungarmisten bei einer Schießübung (Deutschlandradio / Thielko Grieß)
    Radion Terechow verabschiedet sich und verschwindet in der Schlange vor der Essensausgabe. Über dem Eingang der Kantine ist in großen, roten Lettern zu lesen: "Höfliche Menschen". So hatte Präsident Putin einst die bewaffneten Kräfte ohne Hoheitsabzeichen genannt, die kurz vor der Annexion der Krim die dortigen Schaltstellen besetzten. "Höfliche Menschen", nicht nur unter Militärs längst ein geflügeltes, positiv besetztes Wort.
    Unterstützung vom mächtigsten Mann des russischen Kinos
    Wieder im Erdgeschoss. In großen, hohen Hallen ist eine Art Erlebnispark aufgebaut. Die Jugendlichen können am Liegestütz-Wettbewerb teilnehmen, in Visual-Reality-Computerspielen Panzer fahren oder Instagram-Fotos ausdrucken, die sie mit dem Hashtag "#яюнармия", "Ich bin die Jugendarmee", gepostet haben.
    Der Regisseur und Oscar-Preisträger Nikita Michalkow, mit 72 Jahren einer der ältesten hier, redet den Jugendlichen von einer Bühne aus ins Gewissen, was sich mit der Warnung zusammenfassen lässt, wer ein starkes Land wolle, dürfe nicht der Dekadenz des Westens zu erliegen. Manch ein Jungarmist sinkt auf bereit liegende Sitzkissen hinab, spielt abwesend mit dem Smartphone oder schläft.
    Am Ende der Halle bietet eine Art Fanshop das Lebensgefühl der Marke "Armija Rossii", "Armee Russlands", zum Kaufen. Das Logo ist ein fünfzackiger Stern. Im Angebot sind Modellpanzer, die traditionelle russische Grütze Kascha in drei Geschmacksvarianten aus der Dose, Tagesverpflegung für Soldaten, einfach mit heißem Wasser aufgießen, und T-Shirts. Verkäufer Ilja nimmt eins von der Stange.
    "Das ist ein ausgezeichnetes T-Shirt. Vorne steht drauf: 'Wer mit Lawrow nicht sprechen will ...', und hinten steht '... wird mit Schoigu sprechen'. Da ist schon etwa Sarkasmus dabei."
    Ein Mann hält ein schwarzes T-Shirt in die Luft auf dem auf Russisch der Satz "... wird mit Schoigu sprechen" steht
    "Wer mit Lawrow nicht sprechen will ..." steht auf der vorderseite des T-Shirts. Und hinten:"... wird mit Schoigu sprechen". (Deutschlandradio / Thielko Grieß)
    Lawrow ist Außenminister, Schoigu Verteidigungsminister. Bei der Jugendarmee und im Park Patriot ist schon geklärt, wer den Jugendlichen den Ton vorgibt. Der Diplomat ist es nicht.