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Russische Luftangriffe in Syrien
"Eine hegemoniale Politik der Machtsicherung"

Russland geht nach eigenen Angaben mit seinen Luftangriffen in Syrien gegen die Terrormiliz IS vor. Sadiqu Al-Mousllie, Mitglied des Syrischen Nationalrates, sagte hingegen im DLF, Russland habe in Syrien Orte bombardiert, in denen es keine IS-Stellungen gebe. Putin wolle eine Spaltung des Landes.

Sadiqu Al-Mousllie im Gespräch mit Sanda Schulz | 01.10.2015
    Sadiqu Al-Mousllie im schwarzen Sakko und weißem Hemd vor einem Türeingang mit arabischen Schriftzügen. Er blickt in die Kamera.
    "Das ist nicht das, was die Russen nach außen sagen und propagieren" - Sadiqu Al-Mousllie ist überzeugt davon, dass Russland keine IS-Stellungen angreift. (dpa / Stefan Jaitner)
    Wo sich die IS-Stellungen in Syrien befinden, sei bekannt und trotzdem hätte Russland Orte angegriffen, in denen sich nicht die Terrormiliz Islamischer Staat befinde, sagte Sadiqu Al-Mousllie. Es seien vor allem Zivilisten bei den Angriffen getroffen worden. Das sei der Beweis dafür, dass Russland eine ganz andere Politik verfolge, als vorgegeben werde: "Die Politik von Herrn Putin und Co ist eine hegemoniale Politik der Machtsicherung - nicht mehr und nicht weniger."
    Die USA habe die Opposition bisher kaum unterstützt. Al-Mousllie kritisierte, Europa habe zwar humanitäre Hilfe geleistet, aber nicht aktiv oppositionellen Kräften geholfen. Assad bekomme viel Hilfe von seinen Freunden, aber die syrische Bevölkerung erhalte kaum Hilfe.
    Russland hatte gestern erstmals Luftangriffe in Syrien geflogen, die sich nach eigener Darstellung gegen Stellungen der Terrormiliz IS richteten.

    Das Interview in voller Länge:
    Sandra Schulz: Russische Kampfjets sind über Syrien seit gestern im Einsatz. Aber die Angaben darüber, wen genau die russischen Kampfflieger angreifen, die gehen ziemlich stark auseinander. Moskau spricht von Angriffen auf den sogenannten Islamischen Staat, aber die USA haben Zweifel an dieser Darstellung, denn offenbar wurden vor allem Gebiete bombardiert, die von den gemäßigten Rebellen gehalten werden. Klar ist: Nach wochenlangen Spekulationen ist der russische Präsident Putin jetzt nicht länger Beobachter des Krieges in Syrien, sondern er greift ein, und wir können darüber jetzt sprechen mit Sadiqu Al-Mousllie, Mitglied des Syrischen Nationalrats in Deutschland. Das ist ein Zusammenschluss syrischer Oppositionsgruppen. Sadiqu Al-Mousllie ist jetzt am Telefon. Guten Morgen!
    Sadiqu Al-Mousllie: Guten Morgen, Frau Schulz.
    Schulz: Russland fliegt Luftangriffe. Welche Informationen haben Sie darüber, gegen wen?
    Al-Mousllie: Wir wissen, dass die Russen gestern Stellungen bombardiert haben um Homs und in Latamne und Hamar. Wir wissen, dass in diesen Orten keine IS-Soldaten sind beziehungsweise Truppen sind, und wir wissen auch, dass sie darunter Zivilisten getroffen haben, und wir haben auch Bilder. Das ist nicht das, was die Russen nach außen sagen und propagieren. Das ist der Beweis, dass die Russen eine ganz andere Politik verfolgen.
    Russland will Teilung Syriens vorantreiben
    Schulz: Auf welchem Weg bekommen Sie Informationen aus Syrien?
    Al-Mousllie: Wir haben Aktivisten, die uns das auch weiterleiten, was da ist. Sicherlich: Einige Informationen gehen auch natürlich direkt an die Medien. Aber auch Leute, die da unten leben. Sie müssen sich das vorstellen: Wir haben hier Familien in Deutschland und auch außerhalb Syriens, die noch Angehörige in Syrien haben, weil sie nicht rausgehen konnten oder nicht rausgehen wollen, weil sie denken, dass das ein falscher Weg ist, rauszugehen. Die transportieren natürlich weiterhin die Informationen, neben auch den professionellen Fotografen beziehungsweise auch Presseleuten, die wir schon für den Nationalrat oder die nationale Koalition auch haben.
    Schulz: Aus Ihrer Sicht steht jetzt schon fest, dass die russische Darstellung, wonach der IS Ziel dieser Luftangriffe ist, dass diese Darstellung falsch ist?
    Al-Mousllie: Aus unserer Sicht ist das falsch, ja, und die Informationen, die jetzt aus Syrien kommen, zeigen, dass das nicht richtig ist.
    Schulz: Und was heißt das russische Eingreifen dann jetzt für die Opposition in Syrien?
    Al-Mousllie: Die Russen verfolgen einfach die Politik, wie es jetzt aussieht, dass man eine Teilung Syriens noch stärker machen will. Homs und Hamar sind sehr wichtige Städte, um den sogenannten Küstenstaat mal zu etablieren. Die Russen arbeiten dahin, unserer Meinung nach, in der Hinsicht, Plan B quasi zu implementieren, wenn es noch nicht klappt, dass man ganz Syrien dann behält. Wichtig in dieser Sache, dass man auch noch mal sieht, dass die Russen nach außen propagiert haben, wir wollen gegen IS kämpfen. IS-Stellungen sind bekannt. Man weiß, wo sie sitzen. Man weiß auch, wo sie kämpfen. Also es zeigt schon leider Gottes, dass diese Politik von Herrn Putin und Co. eine hegemoniale Politik ist, Machtsicherung, nicht mehr und nicht weniger.
    "Es könnte zur Eskalation kommen"
    Schulz: Sie sagen, Syrien, wenn ich Sie richtig verstehe, stehe vor einer Spaltung. Welche Kräfte stehen denn da bereit?
    Al-Mousllie: Ja. Die Assad-Truppen beziehungsweise die Assad-Befürworter, in diesem Fall auch der Iran und die irakische Regierung, neben Hisbollah-Kräften beziehungsweise auch Kämpfern, arbeiten schon seit einiger Zeit an diesem Szenario, um Plan B wie gesagt zu implementieren, weil man die syrische Revolution nicht zum Stillschweigen bringen konnte. Die Sache ist nur die, dass die Weltgemeinschaft leider Gottes nach wie vor nur schaut, und diese Zurückhaltung lässt Putin und auch die anderen Kräfte weiterarbeiten.
    Schulz: Die Weltgemeinschaft bleibt ja auch gespalten. Sie sehen auch nach den Entwicklungen jetzt dieser Tage, auch nach den russischen Luftangriffen, zwischen Russland und Washington eher weiteres Eskalationspotenzial? Verstehe ich das richtig?
    Al-Mousllie: Es könnte zur Eskalation kommen. Allerdings haben wir eigentlich viele Statements gehört in der Vergangenheit, sei es von Herrn Obama oder von Herrn Kerry, und am Ende waren diese Statements nichts außer Statements. Das heißt, keine Umsetzung dieser Statements auf den Boden der Tatsachen. Es gab viele Versprechungen, viele Strategien, zumindest hinter verschlossenen Türen, die man auch gesagt hat, aber doch am Ende nicht umgesetzt hat. Aber eine sehr besorgniserregende Entwicklung, die ich beobachtet habe, ist, dass gestern die russische orthodoxe Kirche öffentlich den Krieg Putins auch gesegnet hat, und das ist eine Instrumentalisierung der Religion, die dann nicht dazu beitragen würde, dass es sich in Syrien und natürlich außerhalb Syriens befrieden würde. Das ist eine sehr schlechte Entwicklung.
    "Die syrische Bevölkerung kriegt kaum Hilfe"
    Schulz: Das klingt in der Tat bedrückend. - Washington will ja, um noch mal auf diese Ausgangslage zurückzukommen, den Rückzug Assads und den IS schwächen. Russland sagt, abgesehen davon, dass Assad ja ein Verbündeter Russlands ist, beides gleichzeitig geht gar nicht. Ist es eine Illusion, was Washington verfolgt?
    Al-Mousllie: Es ist eine Illusion. Das ist das, was es uns scheint. Aber wenn man jetzt aktiv auf dem Boden der Tatsachen arbeitet, ist es keine Illusion. Die USA hat bis jetzt sehr spärlich Hilfen an die moderate Opposition weiterkommen lassen, sehr spärlich bis fast nichts. Und wenn Sie auch sehen, was Europa verfolgt hat, das war eigentlich mehr in Richtung wie eine humanitäre Hilfe und so weiter. Aber man hat nicht aktiv geholfen, der moderaten Opposition, noch weiterzukommen. Das heißt, wir waren gezwungen, mit Saudi-Arabien, mit Katar, mit der Türkei auch zu arbeiten, und das ist auch richtig. Ich halte es für richtig, dass diese Länder auch helfen, weil sie regionale Länder sind, und sie sind auch auf jeden Fall betroffen von der ganzen Geschichte, insbesondere hier die Türkei mit 1,5 bis zwei Millionen Flüchtlingen. Das lässt einen großen Spielraum. Assad kriegt sehr viel Hilfe von seinen Freunden, aber die syrische Bevölkerung, die eigentlich Freunde haben sollte, kriegt kaum Hilfe.
    Schulz: Sadiqu Al-Mousllie, Sprecher des Syrischen Nationalrats in Deutschland, heute hier in den "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk. Herzlichen Dank für diese Einschätzungen.
    Al-Mousllie: Bitte schön.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.