Freitag, 19. April 2024

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Russische Menschenrechtlerin
"Das mit der Ukraine ist eine einzige Schande"

Swetlana Gannuschkina ist diesjährige Preisträgerin des Alternativen Nobelpreises. Im DLF sprach die russische Menschenrechtlerin über Russlands Außenpolitik, die Probleme russischer NGOs - und erklärt, warum Angela Merkel den Friedensnobelpreis erhalten sollte.

Swetlana Gannuschkina im Gespräch mit Sabine Adler | 13.10.2016
    Die russische Bürgerrechtlerin Swetlana Gannuschkina am 2011 in ihrer Wohnung in Moskau.
    Die russische Bürgerrechtlerin Swetlana Gannuschkina. (picture alliance / dpa / Ulf Mauder)
    Sabine Adler: Herzlichen Glückwunsch zum Preis! Erwartet wurde ja schon einige Jahre dass sie den Alternativen Nobelpreis oder gar den Nobelpreis bekommen. Jetzt ist es der Alternative. Freuen Sie sich?
    Swetlana Gannuschkina: Das war natürlich sehr angenehm und eine große Ehre und ich würde mir wünschen, dass auch meine Landsleute den Preis als Ehre verstehen und nicht, wie das bei uns üblich ist, als unfreundlichen Akt gegen die Regierung.
    Adler: Gab es Reaktionen vonseiten des Staates?
    Gannuschkina: So gut wie keine. Es gab Glückwünsche vom Vorsitzenden des Menschenrechtsrates und seinem Vorgänger, aber das sind Personen, die mich persönlich kennen. Offiziell von der russischen Regierung, vom Präsidenten kam nichts, dafür umso mehr von Bekannten, Freunden oder Kollegen. Ich hätte mich sehr gefreut, wenn der Friedensnobelpreis dieses Jahr an Angela Merkel gegangen wäre. Sie ist die stärkste unter Europas Politikern und in der Lage, humanistische, aber unpopuläre Entscheidungen zu treffen. Es ist wichtig, einen Schlag auszuhalten, standhaft zu bleiben.
    Adler: Die Flüchtlingskrise, die uns derzeit in Atem hält, beschäftigt Sie, Swetlana Gannuschkina, ja schon jahrzehntelang. So lange unterstützen Sie ja schon die, die in Russland Schutz suchen. Wie wirkt auf Sie der Umgang mit den Flüchtlingen im Westen in den vergangenen Monaten?
    Gannuschkina: Der Westen hat jetzt großen Druck auszuhalten und steht vor sehr großen Migrationsproblemen. Aber davor steht nicht nur die westliche, sondern die ganze Welt.
    "Ich selbst bin schon zum vierten Mal ausländischer Agent geworden"
    Adler: Wenn wir über den Alternativen Nobelpreis sprechen, den Sie erhalten, müssen wir auch darüber reden, dass ihre Organisation in Russland zu denen gehört, die als sogenannte "Ausländische Agenten" gelten.
    Gannuschkina: Ich selbst bin vor Kurzem schon zum vierten Mal ausländischer Agent geworden. Vor zweieinhalb Jahren wurde "Memorial" dazu erklärt, ich habe dort ein großes Projekt "Migration und Recht". Dann betraf es das Sacharow-Zentrum, wo ich in der Kommissionsmitglied bin, dann im April vorigen Jahres meine Hilfsorganisation "Bürger-Unterstützung" und jetzt Memorial International. Dieses Gesetz, uns derart abzustempeln, ist beleidigend. Man fällt unter dieses Gesetz, sobald man auch nur einen Dollar ausländischer Hilfe angeboten bekommt, selbst wenn man ihn nicht annimmt. Und der zweite Punkt betrifft die politische Tätigkeit, wenn sie sich - so wörtlich - gegen die Politik des Staates richtet. Wir haben zum Beispiel in der Hilfsorganisation "Bürger-Unterstützung" eine Liste aufgestellt, welche Migrationsgesetze und -einrichtungen Korruption verhindern oder fördern. Dann stellt sich doch die Frage: Zielt der Kampf gegen die Korruption auf eine Änderung der Politik ab. Oder ist es so, dass der Staat lieber weiter die Korruption weiter unterstützt? Und jetzt ist jede politische Tätigkeit verboten. Jede Kritik an einem einzelnen Beamten gilt schon als politische Tätigkeit. Dass jetzt auch "Memorial International" als ausländischer Agent gebrandmarkt wurde, ist gegen das Gesetz, denn internationale Organisationen fielen bislang nicht darunter. Ich frage mich, was sie mit der Liste, auf der wir jetzt alle stehen, machen. Werden sie all diese Organisationen ganz verbieten? Sich zusätzliche Strafen ausdenken? Auf unseren Internetseiten müssen wir uns selbst so nennen: ausländische Agenten. Das ist eine Schande, allerdings nicht für uns, sondern für das Justizministerium.
    "Russland dürfte lange Zeit keinen Krieg außerhalb des Landes führen"
    Adler: Wir können nicht über die Situation in Russland sprechen, ohne auf Russlands Rolle im Krieg in Syrien einzugehen. Was denken Sie, vertieft Russland mit seinem Auftreten in Syrien die Krise?
    Gannuschkina: Ich bin keine Politikerin, aber wenn Russland an diesem Krieg teilnimmt, und wenn Russland seine Streitkräfte dort hinbringt und den syrischen Regierungstruppen hilft, dann ist das ein Eingeständnis, dass dort nicht alles zum Besten bestellt ist. Und wie kann es dann sein, dass es in Russland exakt zwei syrische Bürger gibt, die anerkannte Flüchtlinge sind? Und wie können wir denen Zuflucht verwehren, die nicht nur, aber auch mit unserem Zutun zur Flucht gezwungen worden sind? Zwei Syrer sind anerkannte Flüchtlinge, rund 1.000 haben einen vorläufigen Status, der ihnen noch keinerlei materielle Hilfe oder ein Dach über dem Kopf gewährt. Allerdings haben sie das Recht zu arbeiten. Ich finde, wir müssten mindestens rund 6.000 Syrer aufnehmen. Außerdem gibt es bei uns 2.000 syrische Bürger, meist Ehepartner von russischen Staatsbürgern, die seit Jahren legal in Russland sind. Wegen des Kriegs können sie nicht nach Hause, um ihre Visa zu verlängern. Viele stammen zum Beispiel aus Aleppo. Und so werden jetzt Flüchtlinge von Gerichten zur Ausreise gezwungen. Wenn es nach mir ginge, müsste sich Russland für eine sehr lange Zeit jeglicher Kriegshandlungen außerhalb seiner Landesgrenzen enthalten.
    Adler: Und das gilt auch für die Ukraine?
    Gannuschkina: Das mit der Ukraine ist eine einzige Schande, eine einzige Schande!
    Adler: Heute sollte in Paris eigentlich Präsident Putin mit Präsident Holland zusammentreffen. Putin hat das Gespräch auf unbestimmte Zeit vertagt. Man hat den Eindruck, dass es ihm leichter fällt, sich mit Autokraten wie dem türkischen Präsidenten Erdogan oder dem syrischen Präsidenten Assad zu verständigen als mit demokratischen Staatsoberhäuptern.
    Gannuschkina: Das ist wohl so. Das ist seine Vorstellung von der Welt. Ramsan Kadyrow, der tschetschenische Präsident, spiegelt das in gewisser Weise wider: Er hält sich für den Garanten der Verfassung, der Einhaltung der Menschenrechte, für alles. Nicht umsonst reden wir von einer Tschetschenisierung Russlands. Die Tschetschenen sagen: Wir sind das Versuchslabor dafür. An uns probiert man diese Art Führung aus, die von der Demokratie weit entfernt ist, alle einschüchtert, alles erstickt, aber mit der sich die Leute nicht anfreunden.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.