Dienstag, 19. März 2024

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Russische Oppositionspolitikerin
"Sanktionen haben auf autoritäre Regime keine Wirkung"

Härtere EU-Sanktionen gegen Russland träfen nur die einfachen Leute, sagte Galina Michailova im DLF. Nur eine Politik des Dialogs könne Veränderungen bewirken. Und auch "schwarze Listen" von Putin-Beratern hätten eher eine gegenteilige Wirkung.

Galina Michailova im Gespräch mit Christine Heuer | 28.07.2014
    Wladimir Putin sitzt an einem Mikrofon, gestikuliert und spricht
    Es gebe keine Leute, die wirklich einen großen Einfluss auf Wladimir Putin hätten, sagt Galina Michailova. (picture alliance / dpa / Metzel Mikhail)
    Christine Heuer: Am Telefon begrüße ich Galina Michailova, sie ist Oppositionspolitikerin bei der russischen Jabloko-Partei, wir erreichen sie in Moskau. Guten Tag, Frau Michailova!
    Galina Michailova: Guten Tag!
    Heuer: Sind Sie für oder gegen härtere Sanktionen der Europäischen Union gegen Russland?
    Michailova: Wissen Sie, wir sind für unsere Leute, für unser Volk, und die weiteren Sanktionen werden auch bedeuten, dass auch einfache Leute leiden, nicht nur diejenigen, die das Geld in Hülle und Fülle haben oder sich aus dem Staat irgendwie bedienen. Und viele bei uns haben noch nicht verstanden, was das alles bedeuten wird. Nur die Experten sprechen darüber, dass es weitgehende Folgen für das ganze Land haben wird.
    Heuer: Glauben Sie, dass die Wirtschaftssanktionen vor allem die russische Bevölkerung treffen werden?
    Michailova: Natürlich. Weil das ist bei uns immer so. Wenn es ein Problem gibt, dann wird es so gelöst, dass das den einfachen Leuten aus der Tasche gezogen wird. Das hat schon jetzt angefangen, weil es werden schon die Gelder aus dem Rentenfonds genommen, um sie für andere Zwecke zu nutzen.
    Heuer: Das heißt, die Regierung nimmt eigentlich die Bevölkerung in Russland dann in eine Art Geiselhaft?
    Michailova: Ja, das stimmt leider, und gleichzeitig herrscht eine gewisse Schizophrenie in den Köpfen der Leute, weil nach den letzten Umfragen liegt die Unterstützung von Putin bei 86 Prozent. Und die Leute. Das wird schon eine Weile dauern, bis die Leute verstehen, dass die ganze Politik, die jetzt geführt wird, sehr viel Geld kostet und für sie persönlich auch was kostet.
    Keine Leute, die wirklich großen Einfluss auf Putin haben
    Heuer: Jetzt haben Sie meine Frage, meine Eingangsfrage aber noch nicht wirklich beantwortet, Frau Michailova. Vor dem Hintergrund, den Sie uns schildern und der ja sehr schwierig ist: Sind Sie für oder gegen härtere Sanktionen gegen Russland?
    Michailova: Ich bin gegen härtere Sanktionen. Wissen Sie, warum? Die Geschichte hat gezeigt, dass eigentlich nur die Politik des Dialogs, die Politik der Gespräche wirkungsvoll sein kann. Und die Sanktionen, na ja, einerseits wird das auch Verluste für Europa bedeuten, andererseits, für die autoritären Regime hat das überhaupt keine Wirkung.
    Heuer: Das glauben Sie. Wir lesen hier, dass der Bundesnachrichtendienst in Deutschland sagt, der Machtblock um Putin, der bröckele bereits, weil die Oligarchen nämlich ihre Felle davonschwimmen sehen. Ist das falsch?
    Michailova: Ich weiß ja nicht, was diese Spezialisten unter Oligarchen verstehen. Die Zeit der Oligarchen ist schon längst vorbei. Es existierten Oligarchen unter Jelzin, unter Putin gibt es nur Leute, die in seiner Nähe sind und ihm folgen. Und es gibt ja keine Leute, die wirklich einen großen Einfluss auf ihn haben können.
    Heuer: Aber kann diese Rechnung nicht aufgehen, dass wenn Menschen, die ihm nahestehen, die Putin nahestehen, die ihn vielleicht beraten, dass wenn die auf Listen gesetzt werden, nicht mehr in die EU oder nach Amerika ausreisen dürfen, wenn deren Konten eingefroren werden, dass die dann Druck machen auf Wladimir Putin und ihn vielleicht drängen, doch etwas mehr einzulenken?
    Michailova: Wissen Sie, gerade umgekehrt. Viele Leute sind stolz darauf, dass sie auf der Liste stehen, und manche haben sogar erklärt, sie plädieren dafür, auch auf diese Liste gesetzt zu werden.
    Heuer: Weil sie das mit Nationalstolz erfüllt.
    Michailova: Ja, genau.
    "Land kann nur von innen verändert werden"
    Heuer: Aber die schneiden sich doch dann ins eigene Fleisch.
    Michailova: Ja, das ist die allgemeine Stimmung, und diese Leute, die verstehen, dass die Situation so ist, dass sie nirgendwo hingehen können. Und na ja, dann bleiben sie eben in Russland. Hauptsache, dass sie nicht im Gefängnis sitzen, verstehen Sie.
    Heuer: Das heißt...
    Michailova: Oder irgendwo auf der Krim zum Beispiel.
    Heuer: Also die Botschaft, die Sie uns heute Mittag geben, ist, der Westen kann machen, was er will, Russland wird auf keinerlei Sanktionen reagieren, weder auf Namenslisten noch auf wirklich harte Wirtschaftssanktionen?
    Michailova: Hm, na ja, mal sehen. Mal sehen. Wissen Sie, ich bin keine Wahrsagerin...
    Heuer: Aber Sie können die Lage in Russland ja besser einschätzen als wir hier.
    Michailova: Na ja, jedenfalls nicht von heute auf morgen.
    Heuer: Im Westen, Frau Michailova, gibt es ja viel Kritik an der Europäischen Union, die Regierungen, die seien zu geduldig, zu wenig entschlossen, zu stark an ihren eigenen Vorteilen interessiert - teilen Sie diese Kritik?
    Michailova: Eigentlich nicht ganz, weil jedes Land hat seine eigenen Interessen erstens, und zweitens, wie ich schon gesagt habe, ich glaube nicht, dass diese Sanktionen auf diese Regimetypen irgendeinen Einfluss haben können. Nur von innen kann das Land verändert werden, nicht von außen.
    Wunsch nach großer internationaler Konferenz
    Heuer: Aber im Inneren gerät die Opposition ja immer stärker unter Druck, erst letzte Woche gab es neue Maßnahmen. Wie erleben Sie die Repression durch den Kreml?
    Michailova: Na ja, so stark sind die Repressionen nun auch wieder nicht. Die betreffen nur einzelne Leute, nicht die ganze Opposition. Das ist so, wissen Sie, so halbherzig sozusagen, das ist nicht wie unter Breschnew. Unsere Partei kann noch existieren, einige Sender, einige Zeitungen, das ist so halb sechs, wissen Sie, ein Druck auf einzelne Leute. Wenn Sie entschlossen und gleichzeitig gemäßigt sind, da können Sie immer noch arbeiten.
    Heuer: Wenn Sie jetzt einen Wunsch frei hätten an die Europäische Union oder an den Westen insgesamt, Frau Michailova, jetzt mit Blick auf die Ukraine-Krise und den Krieg dort und das Verhalten Russlands, welcher Wunsch wäre das?
    Michailova: Eine große internationale Konferenz, dann die europäischen Beobachter in dieser Krisenregion und mehr Gespräche führen, mehr Gespräche, nicht nur mit der Führung, mit der russischen Führung, sondern auch mit den anderen Kreisen - mit den Experten, mit der Opposition, mit der Bürgergesellschaft.
    Heuer: In Europa sagt man gerne, Gespräche sind jetzt sehr lange geführt worden, und das hat alles zu nichts geführt. Glauben Sie, dass Wladimir Putin, dass der Kreml noch zu bewegen ist, in Gesprächen seine politische Haltung zu verändern?
    Michailova: Ich glaube schon. Wenn man wirklich das ernst meint, dann schon. Und es gibt ja keinen anderen Weg.
    Heuer: Galina Michailova, Oppositionspolitikerin, Mitglied der russischen Jabloko-Partei. Frau Michailova, vielen Dank für das Gespräch, das wir mit Ihnen führen konnten, und für Ihre interessanten Einschätzungen.
    Michailova: Bitte schön. Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.