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Russische Straflager
"Das ist Sklavenarbeit"

Wladimir Perewerzin, Ex-Manager des Ölkonzerns Jukos, hat sieben Jahre in russischen Straflagern verbracht. Der Alltag dort grenzt an Sklavenhaltung, sagt er. Perewerzin will gegen die Verhältnisse im russischen Strafvollzug kämpfen und hat seine Erfahrungen in einem Buch veröffentlicht.

Von Gesine Dornblüth | 12.12.2013
    Wladimir Perewerzin hat sich auch in sieben Jahren Haft seinen Sinn für Humor bewahrt. Entspannt sitzt der 47-Jährige in Sweatshirt und Jeans am Tisch und erzählt von seinem Alltag im russischen Lager. Seit Februar 2012 ist er wieder auf freiem Fuß.
    "Oft fragst du dich, ob du in einem Straflager oder in einem Irrenhaus bist. Manchmal werden Chorwettbewerbe organisiert. Stellen Sie sich das mal vor. Mörder, Gewaltverbrecher, richtig schwere Jungs müssen zum Gesangswettbewerb antreten. Die Wärter mit ihren Schulterklappen sitzen dann da, hören sich das Gesinge an und vergeben Noten. Das ist wirklich der komplette Irrsinn."
    Vor allem aber ist der Lageralltag hart, daran lässt der ehemalige Manager keinen Zweifel.
    "Neuankömmlinge werden immer geschlagen. Das ist die Regel. Zumindest in den Männerlagern. Bei den Prügelorgien machen die Wärter mit, die gerade Dienst haben. Das geschieht ungestraft. Die Aufseher verwirklichen sich da offenbar selbst. So einer mag außerhalb des Lagers ein Lamm sein. Sobald er eine Uniform überzieht, fühlt er sich mindestens so mächtig wie der Präsident Russlands."
    Perewerzin saß in vier unterschiedlichen Strafkolonien. Die ersten Jahre hat er in einem sogenannten Besserungslager verbracht. Dort mussten die Häftlinge stundenlang marschieren.
    "Im Schnee, im Regen, im Matsch. Dabei machen sich die Wärter noch lustig. Sie rufen: „Guten Tag, Bürger Verurteilte!“ Die Häftlinge müssen dann im Chor antworten, aus voller Kehle, gleichzeitig. Wenn einer aus der Reihe tanzt, kann das Marschieren Stunden dauern. Ich bin aber gut damit zurechtgekommen, ich habe das einfach als Frühsport betrachtet."
    Später arbeitete er in einer Näherei und stapelte Gehwegplatten.
    "Das ist Sklavenarbeit"
    "Verstöße gegen das Arbeitsrecht sind normal. In einem Lager musste ich zwölf, dreizehn Stunden am Tag arbeiten. Die Normen sind so hoch, dass du sie niemals erfüllen kannst, rein körperlich nicht. Das ist Sklavenarbeit."
    Perewerzin beschwerte sich. Daraufhin hetzten die Wärter die Mitgefangenen gegen ihn auf. Er bekam Todesangst.
    "Da wurde mir klar: Ich muss raus aus dem Lager. Das ist natürlich ein Problem. Der einzige Weg ist das Krankenhaus. Ich habe versucht, mir den Bauch aufzuschlitzen. Der Schnitt war nicht so tief, wie ich wollte, aber es hat gereicht. Ich kam dann in ein anderes Lager."
    Derartige extreme Schritte kommen in russischen Lagern nicht selten vor. Nadjeschda Tolokonnikowa, inhaftiertes Mitglied der Performance-Gruppe Pussy Riot, wählte den Hungerstreik. Auch sie hatte sich über die Haftbedingungen beschwert, sogar öffentlich, und war daraufhin nach eigener Darstellung bedroht worden, von Mitgefangenen, auch von der Lagerleitung. Perewerzin hat Respekt vor ihr. Tolokonnikowa genieße aufgrund ihrer Prominenz aber auch einen gewissen Schutz.
    "Sie ist eine mutige Frau. Öffentliche Aufmerksamkeit, die Sorge von Menschenrechtlern, sind viel wert. Das Lagerpersonal hat dann Angst, über die Stränge zu schlagen."
    Wladimir Perewerzin hat sich entschlossen, gegen die Verhältnisse im russischen Strafvollzug zu kämpfen. Deshalb hat er seine Erfahrungen in einem Buch veröffentlicht. Und er engagiert sich ehrenamtlich in einer Menschenrechtsgruppe.