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Russischer Dopingskandal
"Die Notbremse muss jetzt gezogen werden"

Wenn sich die Vorwürfe bestätigen sollten, dass russische Sportler staatlich gedopt worden seien, müssen nicht nur Sportler, sondern auch das russische Nationale Olympische Komitee von den Olympischen Spielen suspendiert werden, sagte Hajo Seppelt. Die Zeit der alten Sportstrukturen sei vorbei, betonte der ARD-Dopingexperte im Deutschlandfunk.

Hajo Seppelt im Gespräch mit Dirk Müller | 13.05.2016
    Der ARD-Journalist und Doping-Experte Hajo Seppelt.
    Der Sportjournalist Hajo Seppelt gilt als einer der herausragenden Dopingexperten in Deutschland (picture alliance/dpa - Jens Wolf)
    Dirk Müller: Mindestens 15 gedopte russische Medaillengewinner, darunter auch Olympiasieger. Geheimaktionen in der Nacht, speziell gemixte Präparate. Nach einem Bericht der "New York Times" haben die Gastgeber bei Olympia 2014 massiv betrogen. Die Winterspiele in Sotschi drohen, zur Farce zu werden. ARD-Doping-Experte Hajo Seppelt ist nun in unserer Leitung. Was ist genau bekannt?
    Hajo Seppelt: Es ist bekannt, dass offensichtlich über Jahre hinweg mit Wissen und Unterstützung der russischen Sportführung - so lauten die Vorwürfe des ehemaligen Leiters des Moskauer Doping-Kontrolllabors - Grigori Rodschenkow - über Jahre hinweg Russen mit Dopingprogrammen intensiv auf die Olympischen Winterspiele in Sotschi vorbereitet worden sind, damit nicht nur rein infrastrukturell, was Bauten und was die Vorbereitung an sich der Spiele betrifft, das als Erfolg gewertet werden konnte und sollte, sondern damit auch im Medaillenspiegel die Russen ganz vorne sind.
    So lautete offensichtlich der Auftrag. Dieser Auftrag ist erfüllt worden. Die Russen waren die Besten. Jetzt aber muss man offensichtlich sagen, wenn denn die Vorwürfe stimmen - und sie sind nach meinem Eindruck sehr glaubwürdig, dann muss man wohl sagen, dass die gesamten Ergebnisse der Olympischen Winterspiele von Sotschi 2014, was den Medaillenspiegel betrifft, nun in einem ganz anderen Licht zu sehen sind, offensichtlich manipuliert waren.
    Müller: Herr Seppelt, Sie recherchieren ja seit vielen, vielen, vielen Jahren für die ARD zum Thema Doping. Sie haben sehr viel fast schon naturgemäß, muss man dazu sagen, in Russland auch recherchiert und darüber Informationen über Informationen gesammelt. Für Sie jetzt diese Dimension auch überraschend?
    "Diese Dimension ist überraschend"
    Seppelt: Diese Dimension ist in der Tat für mich auch überraschend. Wir haben ja in der ARD im Dezember 2014 einen Film gemacht, in dem eigentlich schon klar wurde, dass es sich dabei um ein systematisches Doping handelt über Jahre, wenn nicht sogar Jahrzehnte, auch mit der Tradition der ehemaligen Sowjetunion. Analog übrigens ein Stück weit auch zu dem, was in der DDR passiert ist, kann man da von einem staatlich gestützten, wenn nicht sogar staatlich gesteuerten Dopingsystem sprechen.
    Aber was wir jetzt hören, dass trotz all der Weiterentwicklungen in der Dopingbekämpfung über Jahrzehnte hinweg quasi jetzt noch in der Jetztzeit ein solches System möglich ist, etabliert worden ist, wie gesagt, wenn die Vorwürfe stimmen, und das auch noch mit Unterstützung des Geheimdienstes, das schlägt dem Fass den Boden aus. Und ich glaube, das muss ernsthafte Konsequenzen haben. Das müsste eigentlich, wenn das IOC, wenn die Welt-Anti-Doping-Agentur konsequent sind, zur Folge haben, dass nicht nur russische Leichtathleten suspendiert werden von Olympischen Spielen, wie das ja jetzt Status quo der Fall ist, sondern eigentlich das gesamte russische Nationale Olympische Komitee.
    Müller: Ich muss Sie das auch aus Ihrer Erfahrung heraus jetzt noch einmal fragen. Sie sagen, wenn die Vorwürfe stimmen. Wir spekulieren noch, wir reden im Konjunktiv. Was könnte dafür sprechen, dass es stimmt?
    Seppelt: Grigori Rodschenkow ist der Leiter des Moskauer Doping-Kontrolllabors. Er ist gefeuert worden, nachdem in der ARD die Enthüllungen öffentlich geworden sind auch zu den Machenschaften in seinem Labor. Die sind auch nicht bestritten worden, jedenfalls nicht von ihm. Er hat daraufhin, nachdem er entlassen wurde, das Land verlassen, suchte Schutz in den USA, übrigens auch wie die Whistleblower Stepanowa, die ja auch in der ARD als Kronzeugen dieses ganze System ins Wanken gebracht hatten.
    Ich habe mit ihm immer in Kontakt gestanden. Es war immer klar, dass er noch viel mehr erzählen möchte. Was er sagte deckte sich mit vielen Erfahrungen, die ich in Russland gemacht hatte, und er hat sich jetzt offensichtlich an die "New York Times" gewendet und hat das öffentlich gemacht, was ich eigentlich schon lange ahnte, dass es irgendwann kommen würde, wenngleich wie gesagt auch nicht in dieser Dimension. Ich halte es aus den genannten Gründen, mit dem Erfahrungshintergrund zu Russland und mit den vielen Gesprächen, die ich mit Grigori Rodschenkow geführt habe, für sehr glaubwürdig.
    "Müde Propaganda" des russischen Sportministers
    Müller: Die russischen Funktionäre und Verantwortlichen vor allem auch in diesem Dopingskandal, auch auf der politischen Ebene sagen, das sind alles Wichtigtuer, davon stimmt nichts.
    Seppelt: Ja, das sagen sie häufig. Interessant ist auch das, was Witali Mutko sagt, der russische Sportminister, der übrigens heute - das ist jetzt reiner zeitlicher Zufall - auf Sportschau.de in einem einstündigen Interview präsentiert wird. Ich habe ihn vor zwei Wochen aufgenommen in Moskau, habe ihn zu vielen Vorwürfen befragt. Auch da war eigentlich immer wieder klar erkennbar: Das sind alles nur wüste Angriffe des Westens, vor allem der westlichen Medien gegen Russland. Das stimme alles nicht. Russland habe seine Erfolge nicht auf der Basis von Doping erzielt. Ehrlicherweise hört sich das inzwischen nur noch wie müde Propaganda an. Es ist nicht glaubwürdig.
    Die Beweise, die wir ja auch schon damals in der ARD-Doku vorgelegt haben, jetzt die neuen Anschuldigungen, die Belastung ist so massiv, dass eigentlich jetzt die Notbremse gezogen werden muss weltweit. Die Welt-Anti-Doping-Agentur hat das übrigens gestern auch schon gesagt. Es scheint, jetzt ein Umschwenken zu geben. Früher hieß es ja immer, beschwichtigen, das ein bisschen runterspielen alles. Ich glaube, diese Zeiten sind jetzt vorbei, und wir erleben jetzt, glaube ich, auch ein Stück weit die Götterdämmerung der alten Sportstrukturen, und daran sind in diesem Fall Whistleblower, also Informanten wie Grigori Rodschenkow massiv beteiligt, der Mann, der quasi jetzt das Lager gewechselt hat von Russland in die USA.
    Müller: Wir haben Sie tief, tief, tief im Norden Skandinaviens erreicht. Vielen Dank, dass Sie für uns über Handy jetzt Zeit gefunden haben. ARD-Dopingexperte Hajo Seppelt.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.