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Russischer Hilfskonvoi in Ukraine
"Kein Grund für eine neue Eskalation"

Erneut hat Russland ohne Zustimmung aus Kiew einen Hilfskonvoi in die Ukraine geschickt. Der Linken-Politiker Dietmar Bartsch hält das für problematisch, warnt aber vor einer neuen Eskalation. "Wenn man an die Menschen vor Ort denkt, ist jede Hilfe wichtig", sagte Bartsch im DLF.

Dietmar Bartsch im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 13.09.2014
    Der Direktkandidat der Partei Die Linke, Dietmar Bartsch, sitzt in seinem Wahlbüro in Schwerin (Mecklenburg-Vorpommern)
    Parteivize der Linkspartei, Dietmar Bartsch (dpa/Jens Büttner)
    Nach Medienberichten fuhren heute früh 200 Lastwagen eines russischen Hilfskonvois über die Grenze in die Ukraine. Die Ladung soll unter anderem aus Lebensmitteln, Medikamenten und Stromgeneratoren bestehen. Der neue Konvoi sei ein Problem, weil er ohne die Zustimmung der ukrainischen Regierung die Grenze passiert habe und zwar an einer Stelle, die von Separatisten kontrolliert werde, sagte der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linkspartei im Bundestag, Dietmar Bartsch, im DLF-Interview. "So etwas muss abgestimmt sein." Vor drei Wochen hatte bereits ein erster russischer Hilfskonvoi die Auseinandersetzungen im Ukraine-Konflikt angeheizt.
    Das Wichtigste sei derzeit allerdings, dass die Waffen im Ukraine-Konflikt schweigen und die Zeichen auf Entspannung stehen, betonte Bartsch. Dazu hatte unter anderem beigetragen, dass die Umsetzung des Freihandelsabkommens zwischen der EU und der Ukraine gestern auf Ende 2015 verschoben wurde. Bartsch bezeichnete das als richtige Entscheidung und räumte ein, dass dieser deutliche Schritt der EU in Richtung Moskau nicht zu der Verletzung der ukrainischen Grenze durch Russland wenige Stunden später passe. Ein Hilfskonvoi sei jedoch kein Grund für eine neue Eskalation: "Bitte nicht eine neue Spirale, die zu Gewalt führt", appellierte der Linken-Politiker.

    Das Interview in voller Länge:
    Tobias Armbrüster: Im Ukraine-Konflikt befinden sich zurzeit viele Beteiligte in einer Wartestellung. Seit gut einer Woche ist die Waffenruhe in Kraft, sie wird immer wieder gebrochen, aber die Kämpfe sind trotzdem deutlich abgeflaut. Die EU hat deshalb in dieser Woche noch etwas gezögert, bevor sie weitere Sanktionen gegen Moskau in Kraft gesetzt hat. Aber die EU ist gestern auch einen Schritt auf Moskau zugegangen und hat das von Russland kritisierte Freihandelsabkommen bis Ende 2015 ausgesetzt, das Freihandelsabkommen natürlich mit der Ukraine. Aber in der vergangenen Nacht nun diese Meldung: Ein russischer Lkw-Konvoi hat erneut ohne Erlaubnis die ukrainische Grenze überschritten.
    - Einspielung Beitrag -
    Armbrüster: Und mitgehört hat Dietmar Bartsch, der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linken im Deutschen Bundestag. Schönen guten Tag, Herr Bartsch!
    Dietmar Bartsch: Guten Tag, ich grüße Sie!
    Armbrüster: Herr Bartsch, können Sie sich darauf einen Reim machen? Im Konflikt um die Ukraine stehen die Zeichen auf Entspannung, und jetzt wieder ein russischer Hilfskonvoi, der die Grenze verlässt!
    Bartsch: Erst mal bin ich sehr froh, dass die Zeichen auf Entspannung stehen, dass es einen Waffenstillstand gibt bei allen Problemen, die damit existieren, bei allen Verletzungen. Es muss darum gehen, diesen weitgehend umzusetzen. Der Hilfskonvoi ist natürlich deshalb ein Problem, weil er ohne Zustimmung der Ukraine und an einer Stelle, die von den sogenannten Separatisten kontrolliert wird, da rüberfährt. Auf der anderen Seite ist Hilfe für die Menschen, die dort verblieben sind in der Region, dringend notwendig. Also, hier sind problematische Dinge auf der einen Seite, wenn man aber an die Menschen vor Ort denkt, ist, glaube ich, jede Hilfe wichtig.
    Armbrüster: Aber Sie haben es gesagt, das Problematische ist, dass niemand diesen Konvoi tatsächlich untersuchen konnte. Das heißt, niemand weiß, was tatsächlich in diesen Lkw drinsteckt. Ist das nicht ein weiteres deutliches Zeichen dafür, dass Russland in diesem Konflikt immer wieder provoziert?
    "Dass die Waffen schweigen, ist das Allerwichtigste"
    Bartsch: Das ist zweifelsfrei ein Problem, nur glaube ich wahrhaftig nicht, dass, wenn Russland Waffen liefern will, dieser Hilfskonvoi genutzt werden muss. Das ist auf andere Art und Weise möglich. Nichtsdestotrotz bleibt die Position: So etwas muss abgestimmt sein, wenn man genau diesen humanitären Akt will, dann sollte man auch den Weg, der rechtlich sauber ist, gehen. Natürlich ist es so, dass beide Seiten sich immer wieder neue Provokationen vorwerfen. Ich finde aber gut, dass Poroschenko und Putin miteinander reden und – noch mal – dass dort die Waffen schweigen. Das ist das Allerwichtigste, der Friedensplan ist zunächst einmal akzeptiert und er sollte jetzt umgesetzt werden. Es gibt so reichlich Probleme und die Ukraine als gesamtes Land wird vor vielen, vielen Problemen stehen, die wirtschaftliche Lage, die finanzielle Lage ist im gesamten Land höchst problematisch. Und deswegen ist dieser Waffenstillstand und eine mittelfristige Lösung für das gesamte Land so enorm wichtig.
    Armbrüster: Aber was sagt Ihnen denn dieser ungenehmigte Hilfskonvoi, dieser sogenannte Hilfskonvoi über das Verhalten der russischen Politik?
    Bartsch: Ich kritisiere das, dass man nicht das auf andere Art und Weise realisiert hat. Den Menschen helfen ist richtig, aber man hätte es auf einer anderen Grundlage tun müssen, aber nicht ...
    Armbrüster: Und warum geschieht so etwas, warum macht die russische Regierung so etwas?
    Bartsch: Ja, ich kann das nur vermuten, ich habe jetzt keinen direkten Kontakt zur russischen Regierung. Aber da dieser erste Hilfskonvoi auf so eine breite Unterstützung in Russland gestoßen ist, dadurch, dass diese weißen Lkw natürlich weltweit eher ein Friedenszeichen mit Bildern dargestellt haben, setzt man das fort. Man will hier natürlich auch immer wieder Stärke zeigen, aber die Antwort kann nicht sein, dass man auch mit Stärke antwortet. Das Gute ist, dass sich diejenigen, die dort Scharfmacher waren, die auf Provokation auch seitens der NATO immer wieder gesetzt haben, dass sich das nicht durchgesetzt hat. Es wird nur eine friedliche Lösung geben. Und deshalb muss man das deutlich kritisieren. Ich bin sicher, das wird auch angesprochen. Aber ein Hilfskonvoi ist jetzt nicht der Grund für eine neue Eskalation. Ich kritisiere das, bleibe dabei, aber bitte nicht eine neue Spirale, die wieder zu Gewalt führt.
    Armbrüster: Aber interessant ist ja dabei schon der Zeitpunkt dieses Signals aus Moskau, Stärke zu zeigen, weil wenige Stunden zuvor die EU sich ja bereit erklärt hat, dieses Freihandelsabkommen mit der Ukraine, dieses sehr umstrittene Freihandelsabkommen zumindest zu einem Teil außer Kraft zu setzen bis Ende 2015. Da fragen sich jetzt viele natürlich: Reicht das als Signal nicht aus?
    Bartsch: Also, ich finde, dass dieses Abkommen ja eines der großen Probleme dargestellt hat, weil man die Ukraine dort vor die Wahl gestellt hat: Zollunion mit Russland oder EU? Das ist ein ganz großes Problem, das ist auch für Russland ein Problem und ich weiß nicht, ob das nur positiv für die Ukraine ist. Dass es jetzt hier diese Aussetzung gegeben hat, ist sicherlich seitens der EU, ist im Übrigen ja auch offensichtlich unter, sage ich mal, Zustimmung Putins und, wie man hört, auch nicht ohne Aktivitäten der Kanzlerin zustande gekommen ... Ich glaube, dass es richtig ist, denn es ist ein Teil eines Pakets für eine Lösung. Dieser Prozess wird lange dauern, und da kann das eine Brücke sein, eine Brücke, die dazu führt, dass die Ukraine ihre Funktion in dieser Region deutlich außerhalb der NATO mit guten Beziehungen nach Russland und guten Beziehungen in die EU ausfüllen kann. Das wird einen langen Prozess erfordern und da ist auch Versöhnung innerhalb des Landes notwendig.
    Armbrüster: Reicht eine Verschiebung bis Ende 2015 aus?
    Bartsch: Zumindest ist es erst mal jetzt eine Zeit, um genau zu prüfen, miteinander zu reden und vielleicht sogar eine kreative Lösung hinzubekommen, die allen Seiten gerecht wird.
    Armbrüster: Aber dann noch einmal die Frage: Wir hatten erst diesen deutlichen Schritt der EU in Richtung Moskau, Aussetzung dieses Freihandelsabkommens, und dann wenige Stunden später eben diese Verletzung der ukrainischen Grenze. Wie passt das zusammen?
    Bartsch: Den Hilfskonvoi nicht zum "Überproblem" machen
    Bartsch: Das passt natürlich nicht zusammen. Aber ich würde wirklich nachdrücklich alle Beteiligten darum ersuchen, doch mal die Zeichen ... Putin hat den Waffenstillstand durchgesetzt mithilfe anderer, das sollten wir als erstes und positivstes Zeichen sehen. Und der Hilfskonvoi, diesen zu einem Überproblem zu machen, davon rate ich ab. Das ist zu kritisieren, es war falsch, dass er ohne Genehmigung der ukrainischen Regierung dort hingelaufen ist, ich habe das gesagt, wiederhole das gern, aber man sollte einen Hilfskonvoi, der Menschen mit wirklich dem Nötigsten versorgt, nun wirklich nicht zu dem Anlass machen und sagen, jetzt drehen wir an anderer Stelle wieder zurück. Da ist Diplomatie gefragt, der Weg zurück zu Diplomatie ist gegangen und den sollten wir weiter beschreiten, selbst wenn es hier und da einen Rückschlag gibt.
    Armbrüster: Und hat er diesen Waffenstillstand denn erst durchgesetzt, als er vonseiten der EU und auch vonseiten der NATO ordentlich unter Druck geraten ist?
    Bartsch: Sie sehen mich jetzt fast als Sprecher Putins, das bin ich nicht, das kann ich nicht einschätzen. Aber man kann eines doch feststellen: Die Sanktionen und auch der sogenannte Druck haben in Russland das Gegenteil bewirkt. Die Zustimmung zu Putin ist riesengroß und es bewirkt nicht etwa, dass man ihn auf diese Art und Weise in die Knie zwingt. Das sollte man überhaupt nicht als Ziel haben. Ein Land, was diese Tradition hat, ein Land, was in einem Krieg 20 Millionen Tote hatte, was gehungert hat und so weiter, wird man nicht mit diesen Sanktionen treffen. Ich glaube, dass die Sanktionen, dass Drohungen der falsche Weg sind. Ich glaube aber auch, dass klar sein muss, dass das für Putin genauso gilt und dass er nicht die Ukraine zu einem Spielball russischer Großmachtpolitik machen kann.
    Armbrüster: Herr Bartsch, ich weiß natürlich, dass Sie nicht der Sprecher von Wladimir Putin sind, aber ich frage Sie das trotzdem auch, weil Sie sich ja mit diesen Fragen im Bundestag immer wieder beschäftigen müssen: Mehrere Staaten in Osteuropa melden jetzt bereits, dass Russland seine Gaslieferungen deutlich gedrosselt hat, das wird an einem Druckabfall in verschiedenen Pipelines festgestellt. Müssen wir uns auf kalte Winter in Deutschland einstellen?
    Bartsch: Ob der Winter kalt wird, das entscheidet ja nicht Herr Putin, sondern immer noch eher das Weltklima. Aber ich glaube das genau nicht. Aber wir müssen eines wissen: Sanktionen wirken nicht etwa so, dass eine Seite getroffen ist und die andere nicht. Es ist schon jetzt so, ich kann das insbesondere für die neuen Länder, auch für mein Heimatland Mecklenburg-Vorpommern sagen, dass die Nichtlieferung von Käse, von Fleisch, von Gemüse sehr wohl für die Landwirtschaft negativ ist. Sanktionen treffen immer zwei. Vorher war es zum gegenseitigen Nutzen, danach ist es zum gegenseitigen Schaden. Und historisch kann man eins sehen: Wo haben Sanktionen wirklich relevant etwas bewegt? Es war immer die Diplomatie. Und der scheinbare Druck mit NATO-Drohungen und Säbelrasseln, dass man jetzt dort ein Manöver in der Ukraine durchführt, auch das könnte man wirklich alles sein lassen, weil natürlich die russische Propaganda genau darauf abhebt und sagt, die NATO führt ein Manöver in der Ukraine durch und über unseren Hilfskonvoi wird gestritten. Also, lassen Sie dort alle Beteiligten möglichst abrüsten und deeskalieren.
    Armbrüster: Dietmar Bartsch war das, der Fraktionsvize der Partei Die Linke im Deutschen Bundestag. Vielen Dank, Herr Bartsch, dass Sie sich an diesem Samstagmittag die Zeit genommen haben!
    Bartsch: Gerne, danke!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.