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Russischer Hilfskonvoi
"Putin spricht von Neu-Russland"

Der CDU-Außenpolitiker Andreas Schockenhoff hält die Skepsis der Ukraine gegenüber dem russischen Hilfskonvoi für berechtigt. Die Gefahr, dass dahinter ein Trick stecke, sei sehr groß, sagte der Russland-Experte im Deutschlandfunk. Präsident Putin spreche nicht von Hilfslieferungen in die Ost-Ukraine, sondern nach "Neu-Russland".

Andreas Schockenhoff im Gespräch mit Christine Heuer | 14.08.2014
    Andreas Schockenhoff, stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion
    Andreas Schockenhoff (picture alliance/ZB/Karlheinz Schindler)
    Die Ukraine erinnere sich noch sehr genau an das "Drehbuch aus dem Georgien-Krieg 2008", als Russland unter dem Deckmantel von Hilfslieferungen in Abchasien und Süd-Ossetien einmarschiert sei, sagte Andreas Schockenhoff (CDU), ehemaliger Koordinator für die deutsch-russische Zusammenarbeit im Auswärtigen Amt. Die Menschen in der Ost-Ukraine wüssten nicht, was die russischen Lastwagen tatsächlich enthielten. Sie hätten keine Gelegenheit gehabt, dringend benötigte Dinge aufzulisten. Umso wichtiger sei daher, dass die Verteilung der Ladung vom Roten Kreuz beaufsichtigt werde, betonte Schockenhoff.
    Die Europäische Union habe mit ihren Sanktionen gegen Russland ein starkes Zeichen politischer Führungsstärke gesetzt. In Deutschland würden die Strafmaßnahmen selbst von Wirtschaftsvertretern mitgetragen; damit habe auch die Bundesrepublik Verantwortung übernommen. "Das hat Putin unterschätzt", meinte der Russland-Experte im DLF-Interview. Man habe schon viel erreicht, wenn man die Entschlossenheit gegenüber Russland durchhalte.
    Schockenhoff hält es für richtig, nicht militärisch auf die Krise zu reagieren. Doch gebe es zwischen nicht reagieren und militärisch reagieren noch eine große Breite von Machtmitteln, die zur Verfügung stünden.

    Das Interview in voller Länge:
    Christine Heuer: Am Telefon ist Andreas Schockenhoff, CDU-Außenpolitiker, früher war Koordinator für die deutsch-russischen Beziehungen, er ist und bleibt ein Russland-Experte. Guten Morgen, Herr Schockenhoff!
    Andreas Schockenhoff: Guten Morgen, Frau Heuer!
    Heuer: Der russische Konvoi, angeblich mit Hilfsgütern an Bord, wird ja mit viel Misstrauen beäugt - auch von Ihnen?
    Schockenhoff: Ja, und vor allem kennt die ukrainische Regierung natürlich genau das Drehbuch aus dem Georgienkrieg 2008, als Russland unter dem Deckmantel von Hilfskonvois in Abchasien und Südossetien einmarschiert ist. Russland hat 45.000 Soldaten an der Grenze zur Ukraine zusammengezogen, und Präsident Putin spricht nicht von Hilfslieferungen in die Ost-Ukraine, sondern von Hilfslieferungen nach Neu-Russland. Deswegen ist natürlich hier Skepsis geboten. Die Forderung, dass die Verteilung der Hilfsgüter unter der Aufsicht des Roten Kreuzes erfolgen muss und vor allem der Zivilbevölkerung zugutekommen muss und nicht von Russland an pro-russische Kämpfer geliefert werden darf, ist berechtigt.
    Heuer: Sie halten also diesen Hilfskonvoi schlicht und einfach für einen Trick?
    Schockenhoff: Es ist die Gefahr, dass dahinter ein Trick steckt, sehr groß. Es gibt zwar eine Liste, aber die Ukrainer wissen nicht, was wirklich in dem Konvoi drin ist. Es ist die Rede von 100 Tonnen Zucker, 30 Tonnen Salz. Das brauchen die Ukrainer nicht. Dann ist die Rede von 69 Notstromaggregaten und medizinischem Gerät, Medikamenten. Aber was sich dahinter verbirgt, das wissen die Ukrainer nicht. Sie hatten auch nicht die Gelegenheit, aufzulisten, was zur Versorgung der Zivilbevölkerung wirklich notwendig ist. Deswegen muss man schon wissen, was da drin ist, und deswegen ist es auch richtig, dass eben unter internationaler Aufsicht beziehungsweise unter der Aufsicht des Roten Kreuzes, das ja für die humanitäre Hilfe vor Ort auch koordinierend zuständig ist, die Verteilung erfolgt.
    "Massive kriegerische Handlung, die täglich stattfindet"
    Heuer: Was glauben Sie denn, was an Bord ist?
    Schockenhoff: Was an Bord ist, das weiß ich nicht, aber dass Vorsicht geboten ist, das ist auf jeden Fall auf der Hand liegend. Außerdem darf man nicht vergessen, dass es Tag und Nacht massiven russischen Beschuss auf das ukrainische ... auf das Gebiet in der Ukraine jenseits der Grenze, zwischen Luganzk und der russischen Grenze gibt. Es gibt ein neues Waffensystem, eine Batterie von Artilleriewerfern, in dem ein Koordinatensystem eingegeben wird und dann nicht nur einzelne Schüsse, einzelne Ziele, sondern ganze Planquadrate im Grunde genommen unpassierbar gemacht werden. Und deswegen ist es schon eine massive kriegerische Handlung, die tagtäglich stattfindet, ohne dass offiziell ein Krieg erklärt ist. Deswegen muss jetzt vor allem darauf geachtet werden, dass diese Situation nicht auch wieder unter dem Vorwand eines Waffenstillstandes sich verstetigt, dass es nicht einen neuen frozen conflict gibt, der eben dann in diesem Teil Osteuropas nicht eine stabile Entwicklung ermöglicht, sondern Instabilität praktisch dauerhaft festzurrt.
    "Deutschland hat Führungsverantwortung übernommen"
    Heuer: Herr Schockenhoff, im Moment sprechen wir ja aber weniger über eingefrorene Konflikte, sondern über die Gefahr einer starken Eskalation. Sie selbst haben gerade geschildert, wie groß Sie das Risiko finden, dass Russland tatsächlich Truppen schickt. Wenn das so wäre, wie müsste denn darauf dann der Westen reagieren?
    Schockenhoff: Dass der Westen, dass die Europäische Union mit 28 Mitgliedsstaaten eine einheitliche Haltung gefunden hat zu den Sanktionen, war schwierig, das ist aber ein ganz starkes Zeichen. Aber auch innenpolitisch haben wir in Deutschland eine Situation, wo auch Vertreter der deutschen Wirtschaft die Notwendigkeit von Sanktionen akzeptieren. Und das ist schon ein starkes Zeichen von politischer Führungsstärke: Deutschland hat Führungsverantwortung in dieser Frage übernommen. Und diese Einheit - sowohl innerhalb der Europäischen Union, aber auch in der öffentlichen Meinung in Deutschland - hat Putin unterschätzt. Deswegen haben wir schon sehr viel erreicht, wenn wir diese Geschlossenheit durchhalten. Dann versteht Putin, dass er nicht gegen den Westen uns spalten kann.
    "Hybride Kriegsführung"
    Heuer: Okay, aber nehmen wir mal an, er versteht es nicht und er schickt Truppen in die Ukraine. Wie reagiert darauf der Westen? Mit neuen Sanktionen oder mit Militär?
    Schockenhoff: Also zurzeit haben wir eine hybride Kriegsführung, das heißt, nicht massiven Einmarsch von Truppenverbänden, wir haben die Instrumentalisierung der russischsprachigen Bevölkerung, wir haben verdeckte Aktionen von Geheimdienstleuten und von Spezialkräften, wir haben militärische Drohungen. Auf alle diese Dinge müssen wir reagieren. Die wichtigste und sichtbarste Reaktion ist Wirtschaftshilfe, ist eine schnelle und für die Bevölkerung auch nachvollziehbare Wirkung des Assoziierungsabkommens, ist die klare politische Unterstützung für den europäischen Kurs, sind aber auch praktische Hilfen wie Feldlazarette, jetzt, wenn der Winter kommt, Schneeräumfahrzeuge, Visaerleichterungen. Diese Dinge werden die Stimmung sehr schnell zulasten und gegen die russische Invasion im Land ändern, und damit wird auch in Russland, wo zurzeit eine gewaltige Propagandamaschine läuft, die Debatte sich ändern.
    "Große Breite auch von Machtmitteln, die uns zur Verfügung stehen"
    Heuer: Aber militärisch soll sich der Westen aus Ihrer Sicht und wird sich der Westen aus Ihrer Sicht auf gar keinen Fall einmischen, egal, was passiert?
    Schockenhoff: Die Aussage "Wir werden auf militärische Aggressionen nicht mit militärischen Mitteln reagieren" ist richtig, aber zwischen nicht militärisch reagieren und gar nicht reagieren gibt es eine große Breite auch von Machtmitteln, die uns zur Verfügung stehen. Und wenn die Union, die Europäische Union einig ist und wenn auch die öffentliche Meinung im Westen nicht manipuliert werden kann, weil in einer offenen und demokratischen Gesellschaft zwar Diskussionen stattfinden, aber die Wahrheit eben nicht getürkt werden kann, dann sitzen wir am längeren Hebel.
    Heuer: Die Machtmittel, die bisher eingesetzt wurden vom Westen, sind die Sanktionen. Das erste Ergebnis, das wir sehen, ist neuerliche Provokation aus Moskau. Ist Putin mit Sanktionen tatsächlich mittel- oder langfristig zu kriegen? Sind Sie da sicher?
    Schockenhoff: Die russische Situation ist in einer ganz prekären Situation, und Putins innenpolitische Position in Moskau ist nicht so strahlend, wie sie tagtäglich im Fernsehen dargestellt wird. Wenn Putin nicht liefert und wenn die Isolierung Russlands, die zuallererst der eigenen Bevölkerung schadet, dann auch im Laufe der nächsten Monate Wirkungen zeigt, dann wird diese Position nicht unangefochten sein. Und Putin geht es um die Absicherung der Macht einer kleptokratischen Gruppe im Kreml, und wenn er dabei in der eigenen Bevölkerung auf Widerstand stößt. Wir haben das Ende der 90er-Jahre erlebt, wie die russische Bevölkerung reagiert hat, als Versorgungsprobleme auftauchten, als massive wirtschaftliche Schwierigkeiten auftauchten. Und wenn Russland hier nicht der strahlende Herrscher ist, dann wird er auch seinen Führungsanspruch im eigenen Land nicht untermauern können. Deswegen wird er auf Sanktionen, wenn sie wirklich durchgehalten werden und wenn sie einheitlich auch getragen werden, reagieren.
    Irak: "Dass die Amerikaner Waffen hinschicken, das ist richtig"
    Heuer: Herr Schockenhoff, ganz kurz zum Schluss noch ein anderes Thema: Wir haben eine Krise auch im Nordirak, die deutsche Debatte darüber, ob wir Waffen an die Peschmerga liefern, die läuft. Sie haben sich dazu geäußert. Sind Sie inzwischen deutlicher als vielleicht noch vor wenigen Tagen dafür, dass Deutschland Waffen liefert?
    Schockenhoff: Es geht um das Überleben der Bevölkerung. Dass sie dazu auch Waffen brauchen, das liegt auf der Hand. Aber stellen Sie sich ganz praktische Fragen: Die kurdischen Soldaten sind ausgebildet an amerikanischem, an russischem Gerät. Deswegen jetzt unkoordiniert aus allen Ländern dort bestimmte Kontingente an Waffen hinzuschicken, das ist der falsche Weg. Wir müssen das koordinieren. Dass die Amerikaner Waffen hinschicken, das ist richtig. Ob wir das dann auch tun müssen oder ob wir in Ergänzung andere Hilfen leisten, auch sicherheitsrelevante Hilfe leisten, auch Militärgerät schicken und dann welches, das muss genau überlegt werden. Man darf das jetzt nicht auf eine oberflächliche Frage, ja oder nein, verkürzen.
    Heuer: Der CDU-Außenpolitiker Andreas Schockenhoff, den wir in Kiew erreicht haben, wo er politische Gespräche über die Lage in der Ukraine führt. Herr Schockenhoff, vielen Dank!
    Schockenhoff: Schönen Tag, Frau Heuer!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.