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Russisches Gas für Europa

Seit Anfang September wird die Ostseepipeline, die Deutschland mit russischem Gas versorgen soll, getestet. In wenigen Wochen sollen deutsche Verbraucher erstmals mit Erdgas aus der Pipeline versorgt werden. Das Unternehmen mit Stammsitz in der Schweiz kümmert sich um den Bau und den Betrieb der Pipeline.

Von Mirko Smiljanic | 07.10.2011
    Lubmin am Greifswalder Bodden, ein windiger Vormittag. Ein paar Arbeiter sichern Spundwände, zwischen denen sich zwei Röhren aus der Ostsee heraus ein paar Hundert Meter rauf aufs Land schieben. Hier enden die beiden Stränge der Nord-Stream-Pipeline, die jedes Jahr 55 Milliarden Kubikmeter sibirisches Erdgas nach Europa transportieren - genug für 26 Millionen Haushalte,…

    "…in Russland gehen wir mit einem Druck von 220 bar in die Leitung!"

    Nord-Stream-Projektmanager Georg Nowack:

    "Das heißt, dort verbauen wir Rohre, die eine Rohrwanddicke von 4,1 Zentimeter haben. Diese Rohrwanddicke wird dann in Richtung Deutschland immer dünner, hier in Deutschland haben die Rohre dann 2,8 Zentimeter, und zwischendrin gibt es da noch eine Größe 3,2 Zentimetern."

    Die Pipelines haben einen Innendurchmesser von 1,15 Meter und sind 1.224 Kilometer lang. Sie führen durch die Ostsee und dabei durch finnische, schwedische, dänische und deutsche Gewässer. Jeder der parallel laufenden Stränge setzt sich aus 100.000 einzelnen Stahlrohren zusammen. Ein Rohr ist zwölf Meter lang und wiegt zwölf Tonnen, ein Betonmantel verdoppelt das Gewicht. Erst jetzt ist es schwer genug, damit es auf dem Meeresboden liegen bleibt.

    Unterwegs mit Steffen Ebert von der Nord Stream AG zum Verlegeschiff "Castoro 10". Links das ehemalige Atomkraftwerk Greifswald, weiter vorne wiegen sich die Masten von Segelschiffen im Wind, der Sporthafen von Lubmin:

    "Dann werden wir in der Marina unser Shuttleschiff, die "Nadir", besteigen, um eine kleine Tour auf dem Bodden zum Verlegeschiff zu machen, um uns einfach aus der Nähe anzusehen, wie dieses Schiff arbeitet und was auf dem Bodden bautechnisch alles passiert."

    Die Nord Stream AG wurde 2005 zur Planung, zum Bau und zum Betrieb der Ostseepipeline gegründet. Sie hat ihren Firmenhauptsitz in Zug bei Zürich. Hauptanteilseigner ist die russische OAO Gazprom, gefolgt von der Wintershall Holding GmbH, der E.ON Ruhrgas AG, der N.V. Nederlandse Gasunie und der GDF SUEZ. Ursprünglich hieß das Unternehmen Nordeuropäische Gasleitungs-Gesellschaft, wurde im Oktober 2006 aber in Nord Stream AG umbenannt. Bei der Wahl des Namens standen die Erdgasleitungen Blue Stream durch das Schwarze Meer und Greenstream im Mittelmeer Pate.

    Die Investitionskosten der Pipeline belaufen sich auf 7,4 Milliarden Euro. 30 Prozent bringen die Nord Stream-Anteilseigner durch Eigenkapital auf, den Rest decken Kredite. Kritiker bemängeln, dass die Pipeline Deutschland von Russland abhängig und politisch erpressbar mache. Zumindest pikant war zudem, den Vorsitz des Aktionärsausschusses – vergleichbar mit dem Aufsichtsrat – dem deutschen Altbundeskanzlers Gerhard Schröder zu geben, einem Duz-Freund Wladimir Putins.

    "Na, Jungs, mit Euch hier allen auf dem Steg gelingt mir dat nich, na ja klar, das taucht ab…."

    Kapitän Eckard Heidmann, Kapitän der "Nadir", die zwischen Hafen und Verlegeschiff pendelt:
    "Das ist ein altes Grenzkontrollboot, knapp zehn Meter lang, drei Meter breit, 70 Zentimeter Tiefgang, 20 Knoten schnell - in der Regel."

    Ein Grenzkontrollboot, gebaut 1968: Wie viele Republikflüchtige wurden mit ihm wohl aus der Ostsee gefischt?

    "Na ja, das wollen wir nicht weiter erörtern, da wissen wir nix von!"

    Heidmann möchte rasch ablegen, am Horizont baut sich drohend eine schwarze Wolkenwand auf. "Da kommt noch was", sagt er.

    "Marin, where are you? Na, na, I'm here,… okay, we have people on board and we can go ahead.”"

    So kritisch der Pipelinebau von vielen auch gesehen wird, es gibt auch beschwichtigende Stimmen. Roland Götz, Russlandexperte der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik, weist darauf hin, dass Deutschlang zu Russland keine Alternativen habe. Nordafrika und der Iran seien politisch zu unsicher, außerdem schade sich Russland selbst, würde es Energieexporte als "Waffe" einsetzen.

    Kabbelige See. Das Boot kann die Wellen nicht austanzen und wird kräftig durchgeschüttelt. Dann taucht das Verlegeschiff aus dem Dunst auf: Ein Flachwasserboot ohne eigenen Antrieb mit einer Länge von 140 Metern und einer Breite von 40 Metern. Kein Schiff im eigentlichen Sinne, eher eine Rohrverlegefabrik für 200 Arbeiter und Ingenieure, die dort – wie auf einer Ölförderplattform – Tag und Nacht bleiben.

    ""Sie kann sich nur durch Schlepper fortbewegen, in dem Fall während der Verlegung ist es, dass sie sich mit ihren insgesamt acht Ankern positioniert, dass heißt an jeder Ecke zwei Anker, diese Anker gewährleisten zum einen, dass die Position des Verlegeschiffes immer absolut korrekt ist, was die Verlegung betrifft, dass die entsprechende Spannung immer auf der Pipeline drauf ist, damit nichts abknickt und nichts anderes passiert!" Dann das Zeichen, das ertönt, wenn wieder zwölf Meter Pipeline in der Ostsee verschwinden: "Man kann sehen, wie sich der helle Ring, wo die Manschette drum ist, langsam Richtung Wasser bewegt, das heißt, das Verlegeschiff hat jetzt wieder ein Rohr von zwölf Metern Länge angeschweißt, das ist alles gecheckt worden, die Schweißnaht ist in Ordnung, die Versiegelungen sind alle vorgenommen und jetzt bewegt sich das Verlegeschiff so knappe zwölf Meter vorwärts."

    Wenn alles nach Plan läuft, verschweißen Taucher in den kommenden Wochen die letzten Teilstücke. Der erste Leitungsstrang ist fertig und wird zurzeit mit technischem Gas gefüllt, der zweite folgt in Kürze. Im November wird dann im Rahmen einer Feier in Berlin und Lubmin die Pipeline offiziell eingeweiht. Die Nord Stream AG übernimmt dann ab 2012 den Betrieb der Pipeline: Russisches Gas für Europa gesteuert aus der neutralen Schweiz.

    Mehr zum Thema:
    Erdgas für Europa - Baustart der Ostseepipeline