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Russland
Die sozialen Folgen der Wirtschaftskrise

Russland steckt in einer wirtschaftlichen Krise. Gründe sind der niedrige Ölpreis und auch die Sanktionen gegen das Land. Mittlerweile macht sich die Krise auch im Portemonnaie der Russen bemerkbar. Und immer wieder wird gefragt: Drohen nun soziale Proteste?

Von Gesine Dornblüth | 14.01.2016
    Journalisten während der Jahrespressekonferenz des russischen Präsidenten Wladimir Putin.
    Präsident Putin wies die Regierung gestern an, die wirtschaftliche Entwicklung aufmerksam zu verfolgen. (picture alliance / dpa / Mikhail Japaridze)
    Die Armut hat in Russland im vergangenen Jahr um zwei Prozent zugenommen. Die Reallöhne sind um neun bis zehn Prozent gesunken. Die Kaufkraft ist um rund fünf Prozent geschrumpft. Derart erschreckende Zahlen sind oft zu hören auf dem Gaidar-Forum diese Woche in Moskau. Für die Soziologin Tatjana Malewa von der Russischen Akademie für Volkswirtschaft und Staatsdienst steht fest:
    "In der Bevölkerung gibt es zwar keine dramatische Proteststimmung, aber eine Art "Negativ-Stabilisierung". Die Leute begreifen, dass die Krise ernst ist und lange anhalten wird."
    Regierung und Experten streiten, wie die sozialen Folgen der Krise abgefedert werden können. Das ist umso schwieriger, als Finanzminister Siluanow soeben angekündigt hat, den Staatshaushalt 2016 um zehn Prozent zu kürzen. Der niedrige Ölpreis macht es nötig.
    An der gesetzlich vorgeschriebenen Anpassung der Renten an die Inflation solle trotz allem festgehalten werden, sagt der Arbeits- und Sozialminister Maksim Topilin. Unklar ist, wann und in welcher Höhe. Eine gute Nachricht gibt es: Massenarbeitslosigkeit wird in Russland nicht erwartet.
    Regierung und Experten streiten
    Der Staat hat begonnen, Beschäftigung zu subventionieren. Allerdings nicht so breit angelegt wie während der letzten Krise 2008 bis 2010, als die Regierung im ganzen Land flächendeckend Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen finanzierte, sondern beschränkt auf Regionen und Branchen.
    "Das sind vor allem Großbetriebe in der Automobilindustrie, im Waggonbau, in der Chemie- und in der Baubranche. Und zwar vor allem in den Gebieten Twer, Altaj, Samara, Tatarstan. Wir haben sehr gezielt genau die Unternehmen ausgewählt, in denen soziale Spannungen entstehen könnten."
    So Arbeits- und Sozialminister Topilin. Er fordert zudem, endlich die Unternehmenssteuern zu erhöhen.
    "Wir sagen seit Jahrzehnten: "Die Wirtschaft ist heilig, sie schafft Arbeitsplätze." Steuererhöhungen sind tabu. Angesichts dessen, was jetzt mit den Reallöhnen passiert, müssen wir das überdenken."
    Russland braucht ein Wirtschaftswachstum
    Auch der wirtschaftsliberale ehemalige Finanzminister Russlands Aleksej Kudrin, Mitorganisator des Gaidar-Forums, hält Steuererhöhungen für unausweichlich - es sei denn Russland entscheide sich endlich zu tiefgreifenden strukturellen Reformen. Er rät zum Beispiel, dringend das Renteneintrittsalter zu erhöhen. Es sei ein Teufelskreis, die Sozialausgaben immer weiter zu steigern, so Kudrin. Das gehe zulasten der Wirtschaft. Nur eine florierende Wirtschaft aber sorge für genügend Einnahmen, um einen Sozialstaat zu schaffen, der den Namen verdiene.
    "Für einen echten Sozialstaat brauchen wir in Russland ein Wirtschaftswachstum von mindestens fünf Prozent im Jahr. Nur das sorgt dafür, dass die Realeinkommen wachsen und dafür, dass wir Schritt für Schritt die Sozialausgaben steigern können."
    Kudrin hat aber nur noch wenig Einfluss. Präsident Putin wies die Regierung gestern an, die wirtschaftliche Entwicklung aufmerksam zu verfolgen. Das bedeute aber nicht, so der Präsident, dass jetzt irgendetwas kardinal geändert werden müsse.